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Der designierte Nachfolger von Premier Tony Blair, Großbritanniens derzeitiger Finanzminister Gordon Brown, ist alarmiert. In einer Fernsehkampagne warnt der Sozialdemokrat vor einer "Balkanisierung" des Inselreichs. Seine eigenen schottischen Landsleute , die am
3. Mai einen neuen Landtag wählen, rauben dem gebürtigen Glasgower den Schlaf. Laut einer Umfrage sprechen sich 52 Prozent der Schotten für die staatliche Unabhängigkeit ihres Landes von Großbritannien aus. In England stehen derselben Erhebung zufolge sogar 59 Prozent einer Trennung vom nördlichen Nachbarn positiv gegenüber. Das letztere mag überraschen, hat aber wohl sehr handfeste Gründe: Es geht um Geld. Während der Londoner Finanzminister rund 68 Milliarden Euro jährlich in die Nordregion pumpt, fließen ihm von dort nur gut 50 Milliarden Euro zu. Trotz seines Ölreichtums, der pro Jahr rund 7,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen abwirft, kostet Schottland also Jahr für Jahr Milliarden, die der vornehmlich englische Steuerzahler berappen muß.
Und noch etwa anderes empfinden die Engländer als üble Ungerechtigkeit: Schottland hat seit 1999 ein eigenes Regionalparlament mit Haushaltsrecht. Auch Wales wählt seitdem einen separaten Landtag, der allerdings über weniger Kompetenzen verfügt als der schottische. England indes besitzt keine eigene regionale Volksvertretung, alle England betreffenden Fragen werden weiterhin vom britischen Unterhaus, inklusive seiner schottischen Abgeordneten, entschieden. So dürfen zwar die Schotten über Englands Regionalbelange umfassend mitbestimmen, umgekehrt gilt dies aber nicht.
Ein Webfehler in Tony Blairs Regionalisierungspolitik der späten 90er Jahre?
Kritiker sehen in der Privilegierung Schottlands eher kühl kalkulierte Bestechung, um die Abspaltungstendenzen einzudämmen - nicht nur aus nationalem, sondern vor allem aus parteitaktischem Interesse. Die oppositionellen Konservativen sind im Norden eine Partei von der Größenordnung der deutschen FDP. Von den 129 Abgeordneten im schottischen Landtag stellen die "Tories" gerade einmal 17. Blairs und Browns sozialdemokratische "Labour Party" hingegen sitzt mit 50 Abgeordneten im Landtag und bildet mit den Liberaldemokraten, deren Fraktion ebenso groß ist wie die der Konservativen, eine Koalitionsregierung. Ähnlich gestaltet sich die parteipolitische Verteilung der schottischen Unterhaus-Abgeordneten in London. England hingegen gehört mehrheitlich den Tories. Eine Abtrennung Schottlands brächte die Sozialdemokraten somit um ihre Mehrheitsfähigkeit im Unterhaus.
Labour-Politiker drohen den Schotten mit massiven wirtschaftlichen Einbußen für den Fall ihrer Unabhängigkeit. Blairs Rüstungsminister Adam Ingram prophezeite dem Norden einen ökonomischen "Hammerschlag", sollten sich die Schotten tatsächlich von England trennen. Denn dann entzögen die britischen Streitkräfte den schottischen Werften ebenso die Aufträge wie der Forschung, Luft- und Seebasen würden geschlossen.
Ob die düsteren Drohungen Wirkung zeigen, scheint allerdings fraglich. Offenbar lassen sich die Anhänger eines unabhängigen Schottland von den Kassandras an der Themse nicht sonderlich beeindrucken, was sich sehr bald auf die Mehrheitsverhältnisse im Regionalparlament niederschlagen könnte. Der 3. Mai könnte der "Schottischen Nationalpartei" (SNP) einen Erdrutschsieg bescheren. Demoskopen prophezeien der SNP, die erklärtermaßen für die staatliche Unabhängigkeit des Fünf-Millionen-Landes eintritt, 45 der insgesamt 129 Mandate - beinahe eine Verdoppelung ihrer derzeit 26 Sitze. Zwar hätte die SNP damit keine Mehrheit, doch auch die bislang in Edinburgh regierende Koalition wäre nicht mehr regierungsfähig. Neben den vier großen Parteien sitzen noch die Schottischen Grünen mit sieben, die Schottischen Sozialisten mit sechs sowie fünf Unabhängige oder Vertreter von Splittergruppen in dem Parlament gegenüber dem Edinburgher Holyrood-Palast, dem schottischen Sitz von Königin Elisabeth.
Eine SNP-geführte Landesregierung würde umgehend Kurs nehmen auf ein Referendum für die Unabhängigkeit.
Parteichef Alex Salmon hat die Abstimmung für das Jahr 2011 avisiert. Dabei steht ihnen allerdings noch das britische Gesetz im Wege, welches Abspaltungsreferenden nicht vorsieht. Mit großem Interesse nahmen die schottischen Nationalisten daher die Empfehlungen von UN-Vermittler Martti Ahtisaari für die Zukunft des Kosovo auf, die eine Art "provisorische Unabhängigkeit" für die südserbische Provinz vorsehen. Wenn sich, wie von Salmon erhofft, eine große Mehrheit der Schotten für einen eigenen Staat ausspräche, dann wäre die Problemlage - rein juristisch gesehen natürlich - tatsächlich vergleichbar: Hier eine Provinz, deren Bevölkerung die Souveränität wünscht - dort das Gesetz des Gesamtstaates, das die Spaltung verbietet.
Für die Anhänger eines einigen Großbritannien ist die Entwicklung so oder so ein Trauerspiel. Ausgerechnet zwei Tage vor den schottischen Wahlen, am 1. Mai 2007, jährt sich die Union von England und Schottland zum Vereinigten Königreich zum 300. Mal - eigentlich Anlaß für eine großartige Feier zum "Geburtstag Großbritanniens".
Angesichts der Spaltungsdebatte aber haben die offiziellen Kreise beschlossen, den Jubeltag "low-key" zu zelebrieren, was ins Preußische übersetzt soviel heißt wie "tiefer hängen".
Teure Tradition: Das ärmere Schottland kostet Großbritannien mehr al |
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