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Moderne Ausbeuter buchen Elite zum Nulltarif

 
     
 
Für unseren Zentralbereich Marketing in Essen suchen wir ab sofort für sechs Monate einen Praktikanten Marketing. Berufserfahrung erbeten." "Suchen Praktikanten für unsere Abteilung Rechnungswesen für ein Jahr." Stellenausschreibungen wie jene finden sich immer mehr vor allem in Internetjobbörsen, aber auch in den Printmedien. Nicht, daß es nicht schon immer Praktikums-plätze gegeben hätte. Studenten sind während ihres Studiums
sogar dringend darauf angewiesen, daß Unternehmen ihnen die Möglichkeit des Hereinschnupperns in den Beruf ermöglichen. Allerdings werden die ein bis zwei Pflichtpraktika meistens während der Semesterferien absolviert und können somit gar nicht mehr als drei Monate dauern. Selbst ein Praxissemester umfaßt bekanntlich nicht mehr als maximal sechs Monate, daher ist es ziemlich offensichtlich, daß derartige Stellengesuche direkt auf Universitäts-Absolventen zielen.

Solche, wie die 28jährige Julia. Nach ihrer Bankausbildung entschied sie sich für ein Studium der Kommunikationswissenschaften. Die zwei Pflichtpraktika hat sie in einer Werbeagentur und einer Presseabteilung eines Unternehmens absolviert. Schon während sie ihre Diplomarbeit schrieb, suchte sie nach einem Job, doch sozialversicherte Festanstellungen waren so gut wie gar nicht ausgeschrieben. Nach einem Einstellungstest hatte die junge Frau ein sechsmonatiges Praktikum in einer Internet-PR-Agentur in Hamburg bekommen. Da sich ihr keine Alternative bot und man ihr bei guter Arbeit eine Festanstellung in Aussicht stellte, nahm sie an. Schon nach einer Woche vertraute man ihr einen festen Kundenstamm an. Arbeitszeit war von 9 bis 20 oder 21 Uhr. Ihr Gehalt lag bei 400 Euro im Monat.

Fälle wie den Julias gibt es immer mehr, da die frisch examinierten jungen Menschen einmalig billig sind. Da viele noch Studentenstatus haben, werden zudem für den Arbeitgeber keine Sozialversicherungsbeiträge fällig.

"Studiert, auslanderfahren, und trotzdem im unbezahlten Praktikum gelandet", so skizziert DGB-Vorstandmitglied Ingrid Sehrbrock den inzwischen keineswegs mehr untypischen nachakademischen Lebenslauf.

In der kürzlich erschienenen Studie "Praktika von Hochschulabsolventen", vom Deutschen Gewerkschaftsbund mit Unterstützung (DGB) der Hans-Böckler-Stiftung, wird eine äußerst bedenkliche Entwicklung beschrieben, die zwar keineswegs neu ist, aber an Intensität zunimmt.

Obwohl die Arbeitslosenquote von hoch Qualifizierten immer noch unter dem Durchschnitt liegt, fällt auf, daß der Übergang vom Studium in den Beruf immer schwieriger wird. Das gilt nicht nur für Geisteswissenschaftlicher, die schon immer etwas schwerer vermittelbar waren, sondern in letzter Zeit auch vermehrt für Architekten und Absolventen der Betriebswirtschaft sowie junge Juristen. "In der vagen Hoffnung auf eine feste Stelle hangeln sich junge Akademiker von Praktikum zu Praktikum", stellte schon der "Spiegel" fest. Dabei werden die jungen Menschen als volle Arbeitskräfte eingesetzt, erhalten allerdings, wenn überhaupt, nur ein Taschengeld.

Julia hat diese Ausbeutung nach vier Monaten nicht mehr ertragen. Hochmotiviert hatte sie sich in die Firma eingebracht, doch mit den 400 Euro konnte sie gerade die Zimmermiete in ihrer Wohngemeinschaft zahlen und Nahrungsmittel kaufen. Für einen Nebenjob war bei den Arbeitszeiten keine Zeit mehr und im Hinterkopf hatte sie stets die 16000 Euro Bafög-Schulden. Fünf Jahre Studium und Bafög-Schulden für 400 Euro monatlich bei einer 55- bis 60-Stundenwoche ohne auch nur einen Tag Urlaub in den sechs Monaten. Julia kündigte, wollte in Ruhe weiter neue Stellen suchen, doch sie hat nur die Wahl zwischen einem weiteren Praktikum oder Hartz IV.

Wobei anzumerken ist, daß nicht alle Unternehmen ihre Praktikanten billig arbeiten lassen und sie dann nach der vereinbarten Zeit wieder auf den Arbeitsmarkt entlassen. Es gibt durchaus Unternehmen, die die Chance des Praktikums nutzen, um einen zukünftigen Mitarbeiter günstig einzuarbeiten und auf seine Tauglichkeit zu überprüfen und bei Gefallen auch einstellen. Diese Tatsache spielt jedoch auch jenen Unternehmen zu, die nur auf billige Arbeitskräfte aus sind, denn so hoffen die Absolventen immer, daß ihr Unternehmen redliche Absichten habe und am Ende eine feste Arbeitsstelle winke.

In jedem Fall ist es jedoch für die Studienabgänger frustrierend. Nach Jahren des Lernens und dem erfolgreichen Abschluß können sie keineswegs ihr Wissen gleich voll einbringen, sondern sitzen auf dem untersten Platz der betrieblichen Hierarchie - all das mit Ende 20. Statt Aufbruchstimmung sind Verunsicherung, Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe die Folge.

"Also, Arbeit kann auf jeden Fall Spaß machen, es ist auch wunderbar, wenn es so ist, aber sie macht auch bezahlt Spaß, da sehe ich kein Gegensatz", äußerte sich die Ex-Praktikantin Bettina Richter anläßlich der DGB-Studie. "Das ist auch ein psychisches Problem, wenn man voll arbeitet mit Überstunden und man bekommt kein Geld, und daneben sitzt jemand, der macht das gleiche dann für 2000 Euro." Auch empfände sie es als äußerst demütigend, daß ihr kleiner Cousin, der eine Lehre mache, mehr verdiene als sie mit fast 30 und Hochschulstudium.

Was ist von einer Gesellschaft zu erwarten, die ihre sogenannte Elite, jene Menschen, die teils auf eigene Kosten, teils auf Kosten der Allgemeinheit sich über Jahre Wissen angeeignet hat, derart behandelt?

Die Politik reagiert nur am Rande. "Man soll sich fragen: Wie sieht meine Zukunft aus? Angenommen, jemand weiß, was er will, dann sollte er kein Praktikum machen, sondern ein Normalarbeitsverhältnis anstreben", schlug die Grünen-Abgeordnete Thea Dückert auf einer vom DGB veranstalteten Podiumsdiskussion vor und offenbarte damit ihre vollständige Unkenntnis der Situation. Aber auch der DGB-Bundesjugendsekretär zeigte wenig Verständnis, indem er die Praktikanten als Täter und Opfer zugleich bezeichnete, da sie sich auf die Konkurrenzsituation einließen. So schlägt der DGB den jungen Leuten am 1. April einen bundesweiten Praktikantenstreik vor. Doch was soll der bringen? Die nächsten Praktikanten stehen vor der Tür. Sie wollen keine Lücke im Lebenslauf, Arbeitserfahrung nachweisen und sich einbringen. Kann man diesen Menschen übelnehmen, daß sie nicht gleich nach dem Universitätsabschluß Hartz-IV-Empfänger sein wollen und statt dessen lieber für ein paar Euro in der Stunde arbeiten? Zumal aktuelle Wirtschaftszahlen die Chance auf eine Festanstellung als gering erscheinen lassen. So ist die Zahl der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer von 1991 bis 2004 um ein Fünftel gesunken. Zirka sechs Millionen sind aus dieser Gruppe ausgeschieden, so daß sich der Gesamtumfang von ehemals 29,5 Millionen Vollzeitbeschäftigten auf 23,75 Millionen verringerte. Die Anzahl der Geringfügigbeschäftigten hingegen hat sich verdoppelt und auch die der Selbständigen ist angewachsen. Kein Wunder bei den hohen Lohnnebenkosten.

Die vielen ungenügend sozialversicherten Praktikanten sind auch ein Problem für die Sozialkassen. Es gibt schon jetzt zu wenig junge Leute, die einzahlen, die sogenannte "Generation Praktikum" verschlimmert die Lage noch. Aber nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für sich selbst, denn jedes weitere verlorene Jahr ist ein verlorenes Jahr bei der eigenen Rentenanrechnung.

Frustrierend ist die Situation nicht nur für die Praktikanten. Häufig werden die Absolventen weiter von ihren Eltern finanziert. Diese wollen irgendwann gern ihr Geld für sich haben und nicht ihren fast 30jährigen Sprößling durchfüttern müssen. Sind die Eltern gar von der hohen Altersarbeitslosigkeit betroffen, droht Verzweiflung. Der 59jährige Vater der beiden Studentinnen Natalie und Valerie hat Ende 2005 seine Arbeitsstelle als Ingenieur verloren. Die Mutter ist Hausfrau, der 16jährige Bruder wollte eigentlich auch nach dem Abitur studieren. Natalie hat ihr Studium zwar beendet, findet aber keine Stelle. Guter Rat ist da teuer.

Auch bei der Familienplanung sieht es für die vielen Endzwanziger - Zahlen liefert auch die DGB-Studie nicht - schlecht aus. Wer für sich selber kaum sorgen kann, gründet keine Familie. Bettina Richter empfindet die gesamte Debatte um Akademikerinnen, die immer weniger Kinder kriegen, angesichts der Arbeitsmarktlage als "total verlogen". Selbst wer dann endlich einen häufig auch nur befristeten Arbeitsvertrag bekommt, wird kaum gleich danach Kinder bekommen.

Unternehmen beteiligten sich übrigens an der DGB-Studie kaum, obwohl man ihnen Anonymität anbot. Die zwei, die an der Befragung teilnahmen, waren mit ihren Praktikanten sehr zufrieden. Insgesamt sei das "Niveau sehr hoch" - nur warum will kaum einer dafür zahlen?
 
     
     
 
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