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Mut tanken im Spreewald

 
     
 
Wir werden die nicht mehr los", sagt Dieter Friese. Er spricht über die alten Fabrikgebäude der Textil-, Glas- und Chemieindustrie im Landkreis Spree-Neiße, seinem Landkreis. Die Betriebe stünden leer und symbolisierten nur noch den Niedergang, seufzt er - "die Situation ist weder lustig, noch vergnügungssteuerpflichtig".

134000 Einwohner zählt der Kreis in der Lausitz. Tendenz sinkend. 1990 lebten noch 90000 Erwerbstätige in Spree-Neiße. Davon blieben 50000. Welche Chancen bieten sich einem solchen Landkreis - weitab von Berlin? Berlins Regierender Bürgermeister
Klaus Wowereit und der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck wollten sich ein Bild von der Lage machen und begaben sich vergangene Woche zum Tagesausflug gemeinsam in den Spreewald. Von einem Trupp Journalisten begleitet wollten die beiden Sozialdemokraten einen Blick auf Unternehmen werfen, die Mut machen sollen.

Fast auf den Tag genau zehn Jahre ist sie her, die gescheiterte Volksabstimmung über die Länderfusion von Berlin und Brandenburg. Vor allem Klaus Wowereit liegt ein Neuanlauf am Herzen. "Ich brauche nicht zu betonen", sagt er zu den 30 mitgereisten Medienleuten, "daß Berlin nach wie vor für die Fusion der Länder ist. Das ist ein mühseliger Prozeß." Und fügt nach einer Denkpause hinzu: "... in Brandenburg".

Matthias Platzeck, der erst auf einer Autobahnraststätte in Brandenburg zusteigt, setzt andere Schwerpunkte. "Die Arbeitslosigkeit wird uns noch eine Weile begleiten", räumt er ein.

Das erste Fahrziel ist Schwarze Pumpe - eines der modernsten und umweltschonendsten Kraftwerke, wie der Betreiber "Vattenfall" versichert. Das Werk produziert Energie für die ganze Region. "Wir könnten aber auch halb Berlin mit Strom versorgen", gibt sich Klaus Aha vom Vattenfall-Vorstand selbstbewußt.

Wowereit und Platzeck lassen sich anhand von Schautafeln und einem Modell erklären, wie hier die Braunkohle der Gegend verstromt wird. Dann geht es ins Hauptgebäude. Platzeck und Wowereit vorweg, das Hauptstadtpressekorps hinterher. Alle mit einem weißen Helm auf dem Kopf.

Auf der Aussichtsplattform in 158 Metern Höhe drängeln sich Journalisten und Fotografen. Das gute Wetter erlaubt die Sicht bis nach Schlesien und Sachsen. Zwischendurch werden ein paar Häppchen eingeworfen. Und weiter geht es. Der Reisebus fährt nach Nordwesten.

Während Platzeck das erste Bier aufmacht, verzichtet Wowereit auf Alkohol. Auch später, als es Kräuterlikör, Champagner oder Wein zu trinken gibt, hält er sich zurück. Nur nicht wieder das schräge Image als "Partymeister" stärken, denkt er wohl. Die Wortschöpfung aus "Bürgermeister" und "Partylöwe" hat er sich durch ein Übermaß an locker-flockigen Auftritten selbst zugezogen. Seit dem Heer arbeits- und hoffnungsloser Berliner das Lächeln über die dauernde Heiterkeit und Feierlaune ihres Stadtoberhaupts gefroren ist, will Wowereit nun um jeden Preis Ernsthaftigkeit versprühen. Also: Finger weg vom Gläschen, sobald Kameras lauern.

Im Bus eröffnet Landrat Friese seinen Vortrag über den Spree-Neiße-Kreis im Stil einer Verkaufsveranstaltung für Senioren: "Ich rede jetzt über meinen Landkreis. Sie können ja nicht aussteigen!"

Erst 1815 kam der zuvor sächsische Kreis zu Preußen. Als Strafe dafür, daß Sachsen im Napoleonischen Krieg auf der falschen Seite - nämlich derjenigen Napoleons - gestanden hatte. Ein Teil der Lausitz steht heute unter polnischer Flagge.

15000 Sorben leben in Spree-Neiße, die meisten Schilder sind zweisprachig. Eine Vertreterin der slawischen Volksgruppe steigt in den Bus. Sie spricht über ihr Volk, über Störche, zitiert Fontane. Dann redet sie Wowereit - scheinbar wie bestellt - als "Herr Oberbürgermeister" an. Der Regierende Bürgermeister verbessert sie, um dann feinsinnig hinzuzufügen: "Das wollen wir doch, daß Berlin wieder kreisfreie Stadt wird." Nach einem Länderzusammenschluß mit Brandenburg wäre der "Regierende" tatsächlich nur noch Oberbürgermeister.

Der Bus hält vor der Spreewaldtherme in Burg. Das Spaßbad ist eines jener unzähligen, aus staatlichen Mitteln geförderten Projekte, Zeugnis einer zwar postkommunistischen, aber auch nicht gerade marktwirtschaftlichen Politik in Brandenburg. Im September wurde das Bad eröffnet.

Therme-Chef Stefan Kannewischer tritt der Kritik entgegen: "Die Fördermittel haben sich gelohnt." Platzeck will das sehen: "Machen wir eine kleine Runde?" Kannewischer übernimmt die Führung. Im oberen Stockwerk ist eine junge Frau in einem separaten Raum, sie nimmt ein Schaumbad und hält ein Glas Sekt in der Hand. Die 19jährige Badenixe heißt Juliette, ist Praktikantin in der Spreewaldtherme und wurde von der Geschäftsführung gezielt plaziert. Platzeck streichelt Juliette über den Kopf. Die Fotojournalisten sind vollauf begeistert. Eine Reporterin sagt, daß sei ja wie im Zoo. Es geht weiter zur Kanufahrt.

Dann besucht die Truppe das preisgekrönte Nobelhotel (Denglisch: Wellnesshotel) "Zur Bleiche". In dem Haus geht es ausgesprochen luxuriös zu. 130 Euro kostet das kleinste Zimmer ("Storchennest") pro Nacht und Person.

Wowereit wiederholt seine Botschaft von der Notwendigkeit der Länderfusion. Und: "Der Tourismus ist für uns sehr wichtig, aber auch für Brandenburg. Deswegen sind auch die Fördermittel wichtig, wie wir in der Therme gesehen haben."

Wie denkt eigentlich der Brandenburger über die Verschmelzung mit der Hauptstadt? Platzeck gefällt der Druck aus Berlin nicht: "Die Frage der Fusion steht immer im Raum. Sie ist wichtig für die Menschen und die Wirtschaft. Das ergibt sich von selbst, da müssen wir nicht ständig drüber reden."

Als der Bus abends wieder vor dem Roten Rathaus die erschöpfte Journalistenschar absetzt, begibt sich Wowereit noch einmal in sein Amtsgebäude. "Hallo, Herr Wowereit", wird er von einem Touristen begrüßt. Wowereit winkt freundlich, murmelt etwas und verschwindet im Rathaus. "Das war der Oberbürgermeister", klärt der Passant seine Frau auf.

Hände weg vom Gläschen: Mattias Platzeck (li.) und Klaus Wowereit auf gemeinsamer Tour im Spreewald
 
     
     
 
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