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Nie wieder Deutschland

 
     
 
Wir Deutschen sind auf mancherlei Gebieten Weltmeister, auch wenn solche Vorrangstellung immer wieder verloren- gehen kann. In zwei Bereichen aber sind wir Weltmeister, wo wir von anderen Staaten gar nicht eingeholt oder überholt werden möchten: auf dem Gebiet des Erinnerns und dem des Vergessens. Das klingt zunächst außerordentliche disparat, beides - ein Übermaß des Erinnerns wie ein Übermaß des Vergessens - hängt aber durchaus miteinander zusammen, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Und noch auf eine andere scheinbare Disparität ist hier schon hinzuweisen: Erinnern ist nicht nur positiv zu deuten und umgekehrt das Vergessen nicht nur negativ. Auch das wird konkret zu begründen sein. Wie es sich hier überhaupt im Ganzen nicht um ein akademisches Thema handelt, nicht um eine abermals gut gemeinte Bemühung der politischen Bildung. Es geht bei unserem Thema vielmehr um nichts weniger als um zwei wahrhaft existentielle Bereiche: erstens um die Identität unserer Nation - und die betrifft sowohl ihre Geschichte wie ihre Gegenwart - und zweitens geht es um die Bewahrung oder derzeit vielmehr um die Wiederherstellung der materiellen und sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft.

Auch hier hängt beides - die ideelle wie die konkrete Existenzsicherung auf der Grundlage gesicherter Identität - eng miteinander zusammen, und zwar so eng und so konfliktreich, daß ein Dramatiker sich eigentlich kein größeres Thema wünschen könnte. Daß dieser Konflikt, der mittlerweile das Ausmaß einer klassischen Tragödie erreicht hat, für unsere Schriftsteller kein Thema ist, das versteht sich leider von selbst. Und für unsere Politiker ist dieser fundamentale Konflikt, in dem sich unsere Nation derzeit befindet, offenbar ebenfalls nicht vorhanden.

Die "Kunst des Erinnerns" - das ist angesichts der hier vorhandenen Selbstblockaden und aufgrund der mit dem Aussterben der Kriegsgeneration zu befürchtenden weiteren, geradezu hysterischen Fehlentwick-lungen zeitgeschichtlicher
Erinnerung also alles andere als ein Istzustand, sondern leider im Gegenteil immer noch eine Mahnung, eine Herausforderung, diese schwierige Kunst zu erlernen. Nur dann kommen auch die beiden Begriffe wieder zusammen, die der verstorbene Papst Johannes Paul II. seinem letzten, kürzlich erschienenen Buch als Titel gegeben hat: "Erinnerung und Identität". Diese beiden Worte könnten in ihrer so wichtigen wechselseitigen Bedingung auch hier als eine Art Leitmotiv gelten. Denn Identität ist ohne Erinnerung nicht möglich; eine einseitige Erinnerung aber führt zu einer gestörten Identität. Die Arbeit an einer vollständigen, komplexen Erinnerung - eben die "Kunst der Erinnerns" -, wie sie uns die deutsche Zeitgeschichte auferlegt hat, ist nur mit einer nicht in Frage gestellten Identität möglich. Gelingt dies nicht, werden Ungeheuer geboren. Es darf nicht dazu kommen, daß eine unaufhörliche "Bewältigung der Vergangenheit" letztlich eine Überwältigung der Gegenwart und sodann eine Nichtmehrbewältigung der Zukunft zur Folge hat. Dieses große Spannungsverhältnis soll also der Rahmen für die folgenden Ausführungen sein.

Der jüdische Talmud enthält einen Spruch, der auch bei uns sehr geschätzt wird: "Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung." In der Bundesrepublik gibt es seit über einem halben Jahrhundert ein ehrliches, außerordentlich intensives Gedenken an die Holocaust-Opfer; die Zahl der Erinnerungstafeln, der Mahnmale und Gedenkstätten ist kaum noch überschaubar. Allein die beiden von der Bundeszentrale für politische Bildung erstellten gewichtigen Dokumentationsbände beschreiben über 8.000 solcher Erinnerungsmale. Haben wir damit "Erlösung" erreicht?

Offenbar aber trifft dieser Spruch auch in seinem Gegenteil zu: "Das Geheimnis der Erlösung heißt Vergessen" - nämlich dann, wenn es um "deutsche" Opfer geht. Ganz offensichtlich gilt für sie nicht die Maxime, nach der sich bei uns sogar eine eigene Initiative benannt hat: "Gegen das Vergessen". Für deutsche Opfer lautet die politisch korrekte Forderung vielmehr: "Für das Vergessen!" Gegenteilige Versuche des Erinnerns werden sogleich als "ewiggestrig" verurteilt. "Ewiggestrig" soll also offenbar nur die Erinnerung an die "eigenen" Opfer sein, die Erinnerung an die "anderen" dagegen zukunftsweisend. Das ist eine sehr seltsame, ja gegensätzliche Zweiteilung des Opfergedenkens und für die politische Kultur unseres Landes äußerst problematisch.

Ist das in dieser Kürze zu hart, zu polemisch formuliert? Ich meine nicht, denn wenn es um die "eigenen" Opfer geht - von den Millionen gefallener und vermißter Soldaten, den Millionen Verwundeter, den Hunderttausenden Frauen, Kindern und alter Menschen, die absichtlich von den Alliierten durch den Bombenkrieg getötet wurden, bis hin zu den 15 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, von denen zweieinhalb Millionen ihr Leben lassen mußten - wenn es um dieses riesige Millionenheer von Opfern geht, zudem um den Verlust von fast einem Drittel des deutschen Reichsgebietes sowie um die bis in die letzten Kriegstage hinein versuchte Auslöschung der alten deutschen Städtekultur - dann ist hierzulande Vergessen und Schweigen geboten. Aber wäre es doch "wenigstens" nur Schweigen! Nein, diese Abermillionen von Toten und Vertriebenen werden bei uns - von uns! - verhöhnt, verspottet, diffamiert und die wenigen Erinnerungsmale geschändet, ohne daß sich öffentlicher Protest bemerkbar machen würde! Man stelle sich hingegen die politischen Reaktionen vor, bis hin zu sofortigen strafrechtlichen Maßnahmen, wenn eine andere Opfergruppe auch nur sehr entfernt so behandelt werden würde.

Für dieses zutiefst amoralische zweierlei Maß ist unter anderem die Parole verantwortlich: "Deutsche Täter sind keine Opfer!" Diese zuerst von linksextremen "Antifa"-Gruppen benutzte Unterstellung und Ausgrenzung scheint mir nichts weniger zu sein als Volksverhetzung, die neue Form eines "linken Rassismus" - wenn nämlich große Menschengruppen nicht aufgrund von ethnischen Eigenarten, sondern wenn sie als Angehörige des eigenen Volkes infolge traumatischer Katastrophen und Schicksalsschläge verachtet und ausgegrenzt werden. Mir ist kein anderes Land der Welt bekannt, in dem etwas Vergleichbares möglich wäre.

Wenn es um das Gedenken an unsere in zwei Weltkriegen gefallenen Soldaten geht, so hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten auch hier einen weltweit einmaligen Sonderweg in einen moralischen Abgrund beschritten. In keinem anderen Kulturstaat wäre es auch nur denkbar, daß ein solches Gedenken verweigert, mißachtet, ja geschändet würde. Auch eine Diffamierungskampagne wie die sogenannte "Wehrmachtsausstellung" - hierzulande öffentlich gefördert und gepriesen - wäre in keinem anderen Staat, der sich noch einen Rest von Selbstachtung bewahrt hat, möglich gewesen.

Während für die Bundeswehrführung die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs (und selbst die des Ersten Weltkriegs), das heißt die eigenen Väter und Großväter, offenbar keine Kameraden sind, setzen sich ihre früheren Gegner bei unseren Politikern - bis hin zum Bundespräsidenten - für "ihre Kameraden" ein! "Um für die Ehre des deutschen Soldaten einzutreten", die in Deutschland mißachtet werde, obwohl "sie ihr Leben für Deutschland gaben", wandte sich beispielsweise der Sprecher des Veteranenverbandes der 8. britischen Armee - die in Afrika harte Kämpfe gegen Rommel führen mußte - an deutsche Politiker: "Wie ich, haben diese Männer nur noch wenig Zeit vor sich, aber es ist genug Zeit für Deutschland, ihnen ihren Stolz zurückzugeben. In der Zeit des Krieges haben sie ihre Pflicht vorangestellt; es ist jetzt Zeit für Deutschland, seinerseits seine Pflicht für sie zu tun."

Dieser Pflicht zur objektiven Würdigung kommt öffentlich bisher nur das Ausland nach. Eine internationale Studie des israelischen Generalstabs stellte zum Beispiel fest, daß sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg von allen beteiligten Armeen die deutschen Soldaten die tapfersten waren. Auch der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld konstatierte, daß die Wehrmacht "besser als jede andere moderne Streitkraft die Verbindung von Initiative und Disziplin" verkörperte, sie ferner insgeheim das Vorbild der israelischen Armee sei, ohne daß diese ihre Qualitäten je erreicht habe. Und der französische Staatspräsident Mitterand erklärte am 8. Mai 1995 anläßlich des 50. Jahrestages des Kriegsendes: "Die deutschen Soldaten - sie waren tapfer. Sie nahmen den Verlust ihres Lebens hin, sie liebten ihr Vaterland. Ich verneige mich vor ihnen allen und ihnen gehört meine Hochachtung und Verehrung."

Wie demgegenüber von der Bundeswehrführung sowie vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt über die Wehrmacht - die "Nazi-Wehrmacht" oder "Hitler-Wehrmacht", wie man sie neuerdings diffamiert -, wie also über die seinerzeit mehr als 18 Millionen deutschen Soldaten und damit zugleich über ihre Familien und das heißt letztlich über das ganze Volk geurteilt wird, das ist eigentlich nur noch mit Hilfe pathologischer Kategorien darzustellen. Der eigene Traditionserlaß von 1982, der immer noch gilt, wird seit langem in sein Gegenteil verkehrt. Dort heißt es nämlich: "Tradition verbindet die Generationen, sichert die Identität und schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Tradition ist eine wesentliche Grundlage für menschliche Kultur." Mit dieser Formulierung wäre es immerhin möglich gewesen, wenigstens für das auf Tradition so angewiesene Militär die "Kunst des Erinnerns" zu verwirklichen. Aber, wie gesagt, das absolute Gegenteil ist leider der Fall.

Beispiel für die Zerstörung von Tradition und Identität ist die Umbenennungen von Kasernen. Jüngste Maßnahme ist die Abschaffung des Traditions- und Ehrennamens "Mölders" für das Jagdgeschwader und eine Kaserne.

In jeder Hinsicht ein Beleg für die deutsche Neigung zu Extremen: Das letzten Dienstag eingeweihte Holocaustmahnmal in Berlins Mitte
 
     
     
 
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