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Selten gab es einen", so E.T.A. Hoffmann, der Dichter und Komponist, zum Tod seines Landsmanns und Lehrmeisters Johann Friedrich Reichardt vor 185 Jahren in der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung", "der so wie Reichardt, mit reichen musikalischen Kenntnissen, mit einem tiefen Gemüt, mit einem lebhaften reizbaren Geiste eine vollendete ästhetische Ausbildung verband, so daß er nicht allein die Dichtung, welche er musikalisch auszuschmücken unternahm, ganz durchdrang, sondern zugleich als Herr und Meister darüber schwebte, und sie unumschränkt beherrschte."
"Königsberg war es, das ihm alles mitgab, was ihn zu einem der wichtigsten Wegbereiter der Musikanschauung des 19. Jahrhunderts machen sollte, mochte es um das Lied, das Singspiel, die Oper oder um eine neue musikalische Journalistik gehen", schrieb Dr. Erwin Kroll in seinem Buch "Musikstadt Königsberg" (Freiburg, 1966) einmal über Reichardt, der am 25. November 1752 in der Stadt am Pregel geboren wurde.
Schon früh wurde Reichardt, der bis zum Hofkapellmeister Friedrichs des Großen avancieren sollte und 1786 zu dessen Beisetzung als sein wohl bedeutendstes Werk die Trauerkantate schrieb, durch Kindheits- und Jugenderlebnisse für sein späteres Werk geprägt. So nimmt er als Sechsjähriger während der ersten russischen Besetzung Königsbergs (175862) die Klänge russischer Volkslieder in sich auf, um sie später in seinen Werken zu verarbeiten; als Zehnjähriger wiederum vernimmt er durch österreichische Kriegsgefangene, die 1762 in das von den Russen noch nicht völlig geräumte Preußen überführt wurden, die Klänge Haydnscher Melodien. Eine Reise über das stürmische Kurische Haff findet ihren Niederschlag in der Komposition der Hexenchöre zu Shakespeares "Macbeth" (1787).
Johann Friedrich Reichardt, Sohn eines Stadtmusikus und geachteten Lautenlehrers, gilt als musikalisches Wunderkind; er erhält Unterricht bei Johann Friedrich Hartknoch (Klavier), dem späteren Verleger und Buchhändler in Riga, bei dem Herzoglich Kurländischen Kapellmeister Adam Veichtner (Geige) und bei Carl Gottlieb Richter (Cembalo), der aus der Schule Philipp Emanuel Bachs kommt. Darüberhinaus hört Reichardt drei Jahre lang bei Immanuel Kant philosophische Vorlesungen an der Königsberger Albertina. 1791 schrieb Reichardt in dem "Musikalischen Kunstmagazin", das er herausgab: "Dem Hrn. Prof. Kant einzig und allein verdank ichs, daß ich von meinen frühesten Jugendjahren an, nie den gewöhnlich erniedrigenden Weg der meisten Künstler unserer Zeit betrat, und seinen akademischen Unterricht ... dank ich das frühe Glück, die Kunst von Anfang an aus ihrem wahren höhern Gesichtspunkte betrachtet zu haben ..."
Im Alter von 19 Jahren schließlich machte Reichardt sich auf die damals übliche Bildungsreise, die ihn nach Berlin, Hamburg, Danzig und schließlich bis nach Böhmen führte und in deren Verlauf er unter anderem mit Klopstock zusammentraf. 1774 kehrte er in seine Vaterstadt zurück, wurde preußisch-extraordinärer Kammersekretär in Ragnit und hatte sich offenbar von einer musikalischen Laufbahn abgewandt. Dennoch erschienen 1773 seine "Vermischten Musikalien" bei Hartknoch in Riga, ein Jahr zuvor waren das Singspiel "Hänschen und Gretchen" entstanden sowie Klaviersonaten und ein Concerto per il Clavicembalo. Zahllose Lieder, Oden und Balladen, Singspiele, Opern und Ballette, Motetten, Kantaten und Oratorien sollten in der nächsten Zeit folgen. Vor allem die Lieder (Reichardt komponierte über 1500!) haben die Zeiten überdauert. Wer kennt nicht die Weisen "Wenn ich ein Vöglein wär" oder "Schlaf Kindchen schlaf"? Es war sein Landsmann Herder, der Reichardt der Volksweise öffnete. "Durch Herders Volksliedersammlungen und literarische Schriften, insbesondere seine ,Blätter von deutscher Art und Kunst, wurde Reichardt für das Volkslied gewonnen", so Kroll. "Er schuf nun selbst Lieder im Volkston, Lieder, die den ,Schein des Bekannten hatten, und machte sich darüber hinaus als Vertoner von über hundert Goetheschen Gedichten bekannt." Auch Versen von Friedrich Schiller gab Reichardt eine Melodie. So erschien im vergangenen Jahr eine CD bei Cavalli Records (Ludwigshöhe 4, 96049 Bamberg) mit 13 Schiller-Vertonungen, darunter allein neun von Reichardt (CCD 306).
Man schreibt das Jahr 1775, als Friedrich der Große den Königsberger unerwartet als königlich preußischen Kapellmeister nach Berlin beruft, ein Amt, das Reichardt bis 1794 innehat und währenddessen er für Berlin viel Neues auf musikalischem Gebiet einführt, so die 1773 von ihm ins Leben gerufenen Spiritual-Konzerte mit analytischen Programmen.
Das Leben des Königsbergers war geprägt von Begegnungen mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit; so bestand reger Kontakt zu Matthias Claudius in Wandsbek bei Hamburg, zu Herder in Weimar, Hamann in Königsberg und Lavater in Zürich. Als Reichardt von seinen Widersachern am Hofe der Sympathien für die Französische Revolution bezichtigt und entlassen wurde, zog er sich auf seinen Landsitz Giebichenstein bei Halle zurück. Auch dort entwickelte sich bald wieder ein beeindruckendes gesellschaftliches Leben, an dem Goethe, Arnim, von Brentano, Hegel, Grimm, Schleiermacher und Ludwig Tieck teilnahmen. Während dieser Zeit war Reichardt keineswegs untätig; er widmete sich wie auch später journalistischen Aufgaben und gab Zeitschriften heraus: Frankreich. Aus den Briefen deutscher Männer in Paris (17951800), Deutschland (1796), das Musikalische Wochenblatt (1791), Musikalische Monatsschrift (seit 1792). Reichardt nahm in seinen Veröffentlichungen kein Blatt vor den Mund. Goethe und Schiller gehörten zu denjenigen, die Reichardt harsch kritisierten. Seine 1810 herausgekommenen "Vertrauten Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien" erregten besonders das Mißfallen Beethovens.
1796 wird Reichardt begnadigt und zum Salinendirektor in Halle ernannt. Auf einer Reise nach Paris 1802 entwickelt sich seine unerbittliche Gegnerschaft zu Napoleon. Als Giebichenstein von den Truppen des Korsen bedrängt wird, flieht er nach Danzig. Später trifft er mit der königlichen Familie in Königsberg zusammen und geht mit ihr bis nach Memel. 1807 kehrt er auf sein völlig verwüstetes Gut zurück, ist für kurze Zeit als Kapellmeister in Kassel tätig und muß feststellen, daß viele seiner Freunde ihn vergessen haben. Am 27. Juni 1814 stirbt er an den Folgen eines Magenleidens.
Kompositionen von Johann Friedrich Reichardt sind heute immer wieder einmal auf CDs zu hören. Auch eine Biographie, die Dietrich Fischer-Dieskau über den Hofkapellmeister dreier Preußenkönige 1992 veröffentlichte ("Weil nicht alle Blütenträume reiften", Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart), fand einen interessierten Leserkreis. Vergessen ist Johann Friedrich Reichardt, der Komponist aus Königsberg, noch lange nicht.
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