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Das Thema „Vertreibung“ hat in jüngster Zeit einen Stellenwert erhalten, wie ihn nach Jahrzehnten der Umerziehungs- und Abwiegelungspolitik niemand mehr für möglich gehalten hätte. Es wäre müßig, für diese Entwicklung eine Kausalkette darzulegen - mit sauber auseinandergehaltenen Ursachen und Wir- kungen. Wohl aber lassen sich Meilensteine identifizieren, und zu diesen zählt zweifellos das Geschehen am Balkan nach der „Wende“: Da durfte vor laufender Kamera eine quasi „Siegermacht“ des Zweiten Weltkrieg s - mit zunächst aktiver Unterstützung oder zumindest mit Duldung der übrigen Siegermächte - neuerlich Massenmorde begehen und Vertreibungen vornehmen. Jetzt erst wurde vielen klar, daß die von Vertriebenenverbänden bisher (eher unter Ausschluß der Öffentlichkeit) wachgehaltenen Erinnerungen Zeitgeschichte sind, nicht bloß „Geschichten“ oder gar Neonazi-Propaganda.
Ein weiterer Meilenstein ist in den Österreich-Sanktionen zu sehen: Diese sinnlosen Demütigungen, mit denen eine selbsternannte „Wertegemeinschaft“ die Grundsätze von Recht und Demokratie verhöhnte, machten die EU-Beitrittskandidaten mißtrauisch - einschließlich jener, die ein schlechtes Gewissen haben oder wenigstens haben sollten. Aber ebenso ungewollt stärkten sie alle Kräfte, denen die einseitige Vergangenheitsbewältigung immer schon im Magen lag. Die opportunistische Beteiligung der Tschechei an den Sanktionen rückte indirekt das Schicksal der Sude- tendeutschen wieder in den Vordergrund, und als Verstärker wirkte dabei die massive proösterreichische Parteinahme der deutschen Unionsparteien, insbesondere des nunmehrigen Kanzlerkandidaten Stoiber: Die meisten Sudetendeutschen leben ja heute in Bayern und ein kleinerer Teil in Österreich.
Es kann nicht verwundern, daß das Anti-Temelin-Volksbegehren von dessen Gegnern innerhalb und außerhalb Österreichs prompt als „antitschechisch“ hingestellt und bekämpft wurde. Enthüllend ist die Nervosität tschechischer Politiker, vor allem des wendekommunistischen Ministerpräsidenten Zeman: Schon während des Volksbegehrens hatte er sich zu haßerfüllten Tiraden hinreißen lassen. Anläßlich seines kürzlichen Besuches in Israel (ausgerechnet dort und jetzt!) empfahl er seinem Amtskollegen Ariel Sharon, Israel solle sich ans tschechische Vorbild bei der Behandlung der Sudetendeutschen halten und die Palästinenser endlich auch aus den ihnen noch verbliebenen Gebieten vertreiben. Mit dieser Äußerung zwang er allerdings selbst die erweiterungsgierigsten EU-Politiker zu Kritik und stieß die traditionell protschechische Öffentlichkeit in der „Entente“ vor den Kopf.
Der (in wirtschaftlicher Hinsicht) ultraliberale ehemalige Ministerpräsident und nunmehrige Oppositionsführer Vaclav Klaus, dessen „bürgerliche“ Partei der Minderheitsregierung Zeman das Überleben ermöglicht, steht Zeman aber um nichts nach: Er fordert von der tschechischen Regierung, im EU-Beitrittsvertrag die Rechtsgültigkeit der Benesch-Dekrete abzusichern und eine Revision der „Ergebnisse“ des Zweiten Weltkriegs zu verhindern! Just mit dieser Forderung führt er die Beschwichtigungsformel des österreichischen Bundeskanzler Schüssel ad absurdum, der die Benesch-Dekrete als „totes Unrecht“ hinwegdiskutieren möchte. Aber wie auch die jüngere tschechische Rechtsprechung belegt, sind die Benesch-Dekrete durchaus lebendes Unrecht. Die überaus EU-kritischen Töne von Klaus bei einer Podiumsdiskussion in Wien lassen überhaupt Zweifel am Beitrittswillen der Tschechen aufkommen.
Der ungarische Ministerpräsident Orban wies mittlerweile die EU darauf hin, daß die Benesch-Dekrete, von denen auch Hunderttausende Ungarn betroffen waren, mit dem Geiste einer europäischen Wertegemeinschaft unvereinbar sind. Manche Beitrittskandidaten beweisen eben Mut, andere nur Chuzpe. Prompt machte Zeman seine eigene „Achse des Bösen“ namhaft, bestehend aus Wien, München und Budapest, wo es - wie zufällig - nichtsozialistische Regierungen gibt.
Ganz allgemein finden die Verbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung jetzt erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien. Doch Vorsicht ist angebracht: Analog zu der von Finkelstein aufgezeigten „Holocaust-Industrie“ könnte hier eine durchaus kommerzielle „Vertreibungs-Industrie“ im Entstehen sein. Vor allem aber zeichnet sich eine neue Strategie ab, die durch „freimütiges“ Zugeben des absolut Unbestreitbaren eine endgültige Verharmlosung anstrebt. Diese weitaus raffiniertere Geschichts(ver)fälschung, die sich in der einseitigen Auswahl von Worten, Argumenten und Themen nachweisen läßt, wird in der nächsten Folge zu behandeln sein.
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