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Pflicht Ordnung und Gerechtigkeit

 
     
 
Oswald Spengler (1880–1936) gilt heute als einer der einflußreichste konservativen Publizisten Deutschlands und der "Konservative Revolution" (KR). Der schillernde Begriff KR steht für eine geistig Bewegung in der Weimarer Republik, in deren Mittelpunkt das Verlangen nac Bindung anstelle von individueller Freiheit stand. Die Protagonisten de KR waren von der Überzeugung durchdrungen, daß es neben Kapitalismus un marxistischem Sozialismus einen dritten, spezifisch" deutsche Weg" in die Moderne gäbe. Dieser Moderne und ihre Bestimmungsfaktoren setzten die konservativen Revolutionär
e als Antithesen entgegen: die "Ideen von 1914 statt die Ideen vo 1789", "Gemeinschaft statt Gesellschaft", "preußische Sozialismus" statt "Kapitalismus". Letzterem Gegensatzpaa hat Oswald Spengler seine im Dezember 1919 erschiene Schrift "Preußentu oder Sozialismus" gewidmet, die sich zuvorderst gegen den Marxismus aber auch gegen den "westlichen" Parlamentarismus un Liberalismus wendet. Dem stellt Spengler eine Rückbesinnung auf die "staatssozialistischen" Traditionen Preußens entgegen.

Spengler hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß für sein Werk die "Ideen von 1914" von fundamentaler Bedeutung waren. Die Bezeichnung "Ideen von 1914" geht auf den schwedische Geopolitiker Rudolf Kjellén zurück, der die Schriften von Thomas Mann Friedrich Meinecke, Werner Sombart oder Ernst Troeltsch zur deutsche Rolle im Hinblick auf den I. Weltkrieg unter diesem Begriff zusammenfaßte Diese "Ideen" behaupten einen nicht überbrückbaren Gegensat zwischen der deutschen Kultur und der westlichen Zivilisation, der auf die "Ideen von 1789" zurückgeführt wird, für die die Tria "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" steht. Diesen Ideen wir die Trias "Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit" entgegengehalten Diese seien, so Spengler, in einem "deutschen Sozialismus" zu verwirklichen, der als Gegenentwurf zum liberalen Parlamentarismus, abe auch zum Marxistischen Sozialismus bzw. seiner gemäßigten Variante, de Sozialdemokratie, zu verstehen sei.

Auch wenn der Hauptgegner von Spenglers Schrift Karl Marx bzw. de internationale Sozialismus ist, darf seine Schrift nicht nur als Auseinandersetzung mit dem Sozialismus gelesen werden. Sie ist auch ein Abrechnung mit dem Manchester-Kapitalismus, weil Spengler den Marxismu als "eine Abart des Manchester-Kapitalismus" deutet, "da staatsfeindlich und englisch-materialistisch durch und durch sei" Diese Feststellung begründet Spengler mit dem Hinweis darauf, daß de Marxismus wie das "Manchestertum" die Arbeit als "Ware" und nicht als Beruf, Dienst oder Lebensinhalt einstuft.

Das primäre Hauptziel von Spenglers Polemik dürfte in der Absicht zu verorten sein, den vom Marxismus beanspruchten Sozialismus-Begriff s umzudeuten, daß er für das eigene Anliegen fruchtbar gemacht werde kann. Die argumentative Figur, mit der Spengler diese Umdeutun bestreitet, lautet: ethische – und nicht ökonomische – Deutung de Sozialismus. Verstehe man, so Spengler, den Sozialismus ethisch als "Weltgefühl", das "die eigene Meinung im Namen aller" verfolge, dann seien wir alle "ohne Ausnahme Sozialisten, ob wir e wissen und wollen oder nicht".

Der "ethische" Sozialismus, den Spengler im Auge hat, wir mit der preußischen Pflichtethik in eins gesetzt, die der Gegenentwur zum Manchester-Kapitalismus sei. Spengler kontrastiert diese Gegensatz wie folgt: Die preußische, die sozialistische Ethik sagt "Es handelt sich im Leben nicht um das Glück. Tu deine Pflicht indem du arbeitest." Die englisch-kapitalistische "Händler"-Ethi hingegen sagt: "Werde reich, dann brauchst du nicht mehr zu arbeiten." In der englischen Maxime sieht Spengler den Aufruf, au Kosten aller anderen glücklich zu werden. Seine preußische Antwort au diese Maxime charakterisiert er wie folgt: "Kampf um das Glück nich des einzelnen, sondern des Ganzen." Dementsprechend sei nicht Mar der erste Sozialist gewesen, sondern der preußische "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. Spengler wörtlich: "Von ihm geht als eine vorbildlichen Persönlichkeit diese Weltbewegung aus."

Als weitere rhetorische Figur führt Spengler den bereits von Thoma Mann in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" eingeführte Antagonismus von "Kultur und Zivilisation" ein. Spengle kennzeichnet die marxistisch-sozialistische Variante des Sozialismus als "Verfallserscheinung". Insbesondere die Vorstellung, daß de Staat nicht mehr als selbstverständliche Ordnung angesehen wird, sonder als plan- und veränderbare "Gesellschaftsordnung", ist de Beweis für Spengler, daß etwas "endgültig zerfallen ist". De marxistische Sozialismus ist für ihn etwas "Künstliches Seelenloses und Halbwahres". Dahinter stehe die "Plebejermora des 19. Jahrhunderts", die mittels eines Schlachtplanes mit "de Schicksal umzugehen" versuche. Kennzeichen dieser Politik seie Schlagworte wie "Humanität" oder "Weltfrieden" "Fürsorge" oder "Glück der meisten". Demgegenübe dekretiert Spengler: Politik sei die Sache von Staatsmännern "und nicht von Weltverbesserern".

Daß der marxistische Sozialismus dennoch eine derartige Attraktivitä hat entfalten können. schreibt Spengler der Tatsache zu, daß er sich als eine Art Ersatzreligion darstelle. Alle Kennzeichen einer Kirche fände sich im marxistischen Sozialismus? "Heilige, Apostel, Märtyrer Kirchenväter, Dogmen, Ketzergerichte, eine Orthodoxie un Scholastik."

Das Gegenbild zu englischem Individualismus und marxistische Sozialismus ist für Spengler Preußen, "ein Staat im strengsten un anspruchsvollsten Sinne, aus der Tradition der Ritterorde erwachsen". An die Stelle von ungezügeltem wirtschaftliche Liberalismus setzt Preußen aus der Sicht Spenglers "Disziplinierun der Wirtschaft durch politische Autorität". Im preußische Sozialismus, wie er Spengler vorschwebt, steht der Staat über allen "... die Macht gehört dem Ganzen. Der einzelne dient ihm.

Das Ganze ist souverän. Der König ist nur der erste Diener eine Staates. Jeder erhält seinen Platz." Und weiter: "Es wir befohlen und gehorcht." Eine besondere Bedeutung kommt bei Spengle im preußischen Staatsmodell dem Eigentum zu, dessen Ablehnung durch de marxistischen Sozialismus Spengler mit scharfen Worten geißelt. In de preußisch-sozialistischen Staat Spenglerscher Prägung ist "Eigentu nicht private Beute, sondern Auftrag der Allgemeinheit. Der Eigentüme ist dem Staat gegenüber Rechenschaft schuldig, wie er sein Eigentu verwaltet." Dies deshalb, weil Spengler die Summe der private Einzelvermögen "als Funktionen der wirtschaftlichen Gesamtmacht de Staates" versteht. Mit anderen Worten: Das Privateigentum bleib unangetastet, wird aber der staatlichen Verfügungsmacht unterworfen.

Von nicht unerheblicher Bedeutung für das Verständnis de Spenglerschen Streitschrift sind die Gedanken des Philosophen Johan Gottlieb Fichte zum "geschlossenen Handelsstaat" aus dem Jahr 1800. Fichte habe, so Spengler, in Anlehnung an das Merkantilsyste Friedrichs II. eine sozialistische Ordnung entworfen, in der dem einzelne seine Tätigkeit von der Gesamtheit zugewiesen werde. Dieses System beruh auf Gegenseitigkeit. Der staatlichen Pflicht, für den Bürger zu sorgen korrespondiert bei Spengler das Recht des Staates, jeden zur Arbei anzuhalten.

Ziel dieses Staatsgebildes, das Spengler direkt aus de "Ordensgeist der Deutschritter" ableitet, sei ei "organischer Staat", der mit der "Exaktheit einer gute Maschine" arbeite. Ein derartiger Staat zerfalle nicht in die widerstreitenden Interessen von Privat- oder Verbandsinteressen. Diese Staat werde vom "Gemeingefühl" der Aufgabe und der Arbei getragen – und eben nicht nach englischer Manier vom Ziel des private Glücks und Erfolgs. Offizierskorps, Beamtenschaft und Arbeiter würde geschlossen als "überpersönliche Einheit" handeln.

Spengler wollte seine Schrift "Preußentum und Sozialismus" nicht als Programmschrift verstanden wissen haben. Diese Schrift sollt vielmehr dazu dienen, "über die Situation anders denken zu lernen". Spenglers Staatsmodell läuft letztlich auf die Herstellun einer größtmöglichen gesellschaftlichen Geschlossenheit hinaus. Es wa Spenglers Überzeugung, daß die innere Verfassung einer Natio "immer und überall den Zweck hat", für den äußere Machtkampf "in Verfassung zu sein". Die geschlossene inner Verfassung eines Staates stellt für Spengler die unabdingbar Voraussetzung für einen erfolgreichen außenpolitischen Machtkampf dar Klassenkampf hingegen, aus dem soziale Spaltung und Aufruhr hervorgingen würden eine Nation innenpolitisch lähmen und damit außenpolitisc handlungsunfähig machen. Deshalb müsse es Ziel einer "nationale Orientierung" sein, ein Bündnis mit der Arbeiterschaft herzustellen Dies gilt um so mehr, als Spengler politische Macht im 20. Jahrhundert als Ausfluß gesellschaftlichen Reichtums deutet. Dieser habe auc Auswirkungen auf die militärische Macht, so daß von einer "tiefe Verwandtschaft, ja fast Identität von Politik, Krieg und Wirtschaft" geredet werden könne. Spengler hat seine Schrift "Preußentum un Sozialismus" 13 Jahre nach ihrem Erscheinen einmal "eines de aggressivsten politischen Pamphlete" aus seiner Feder genannt. Die "nationale Bewegung" habe von diesem Buch ihren Ausgan genommen. In seiner 1933 veröffentlichten Schrift "Jahre de Entscheidung" beschreibt Spengler seine Stimmungslage im Jahre 191 wie folgt: "Niemand konnte die nationale Umwälzung dieses Jahre mehr herbeisehnen als ich.

Ich habe die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an gehaßt als den Verrat des minderwertigen Teils unseres Volkes an dem starken unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war, weil er eine Zukunft habe konnte und haben wollte." Und weiter: "Irgend etwas mußt kommen, in irgendeiner Gestalt, um die tiefsten Instinkte unseres Blute von diesem Druck zu befreien, wenn wir bei den kommenden Entscheidunge des Weltgeschehens mitzureden, mitzuhandeln haben und nicht nur ihre Opfe sein sollten. Das große Spiel der Weltpolitik ist nicht zu Ende."

Daß Spengler mit dieser "Gestalt" nicht Hitler meinte, dara hat er keinen Zweifel gelassen. Er hat sich bis zu seinem Tod, trotz anfängliche Sympathien für die NS-Bewegung, gegen die Umarmungsversuche durch die Nationalsozialisten gewehrt. Das Angebot Georg Strassers, der ihn für die Mitarbeit an den "Nationalsozialistischen Monatsheften" zu gewinnen versuchte, wies Spengler mit dem Hinweis auf die "primitiv Lösung des Antisemitismus" durch die Nationalsozialisten zurück Auch das Angebot von Joseph Goebbels, am "Tag von Potsdam" a 18. März 1933 eine Rede zu halten, lehnte Spengler ab. Einem Ruf auf ein Professorenstelle für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig im Jun 1933 kam er nicht nach. Oswald Spengler starb am 8. Mai 1936 in München.

 
     
     
 
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