|
Im Grundsatz waren sich die Diskutanten durchaus einig: Daß in "Europa zusammenwächst, was zusammengehört" (Professor Dr. Christoph Pan, Uni Innsbruck), sei ein Glücksfall der Geschichte - aber: Wer in die Europäische Union (EU) aufgenommen werden wolle, müsse sich ihrer Rechtsordnung unterwerfen und die von ihr festgelegten Kriterien der Menschenrechte erfüllen; dazu gehöre vor allem der Verzicht auf Gesetze, Verordnungen und Erlasse, die Unrecht in diesem Sinn im eigenen Land bis heute festschreiben.
Daß die Vertriebenen dazu schon vor Jahrzehnten besondere Forderungen formuliert haben, unterstrich Phillip Blandauer, stellvertretender Sprecher der Freundeskreis Ostdeutschland (), gleich zu Beginn der Podiums-
diskussion "Die EU-Osterweiterung und die Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen" beim Deutschlandtreffen in Leipzig. Die Abschaffung von Vertreibungs- und Entrechtungsdekreten, die Verwirklichung des Rechts auf die Heimat sowie der Verzicht auf Übergangsfristen für Opfer der Vertreibung erwarten die Verbände insbesondere von der Republik Polen, von der Tschechischen Republik und von der Republik Slowenien, denen möglicherweise bereits im Dezember die Aufnahmeverträge zur Unterschrift vorgelegt werden. Allerdings "müssen wir feststellen, daß wir bisher im politisch-operativen Bereich mit unseren menschenrechtlichen Forderungen in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend allein stehen".
Wiederholt habe die EU - und zwar mit der Mehrheit des gesamten Parlaments - die Abschaffung solcher Unrechtsdekrete verlangt, bestätigte der SPD- Europaabgeordnete Dr. Klaus Hänsch. In den Gremien der Gemeinschaft stimme man darin überein, daß "die Vertreibung das war, was wir heute als ethnische Säuberung bezeichnen, und das ist ein Verbrechen". Allerdings habe die EU kein Junktim zwischen Verzichtserklärungen und Aufnahmedaten festgelegt. Ebenso sei es von europäischer Seite nicht möglich, Ausnahmen von Übergangsfristen auszuhandeln oder beispielsweise die Unterschrift Polens unter ein Restitutionsgesetz einzufordern, erklärte Hänsch unter dem Protest der Zuhörer. Für solche Verhandlungen, die auf bilateraler Ebene geführt werden müßten, werde man auch kaum die Unterstützung anderer Staaten finden.
Wenn die Forderungen von den Aufnahmekandidaten nur unzureichend erfüllt werden würden, werde Europa Schaden nehmen, warnte die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach (CDU), Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV). Es sei grotesk, wenn man in Brüssel "über Gurkenkrümmungen und Milchquoten berät", die Diskussion über die Entrechtungsdekrete aber vorwiegend in Deutschland stattfinde. Rassegesetze dürften in Europa nicht geduldet werden, "und dies sind Rassegesetze" (Steinbach).
Dem stimmte Professor Dr. Dr. Alfred M. de Zayas (Genf) zu. Der international renommierte Jurist, Träger des -Kulturpreises für Wissenschaft 2002, hielt es für das beste, wenn sich die Aufnahmekandidaten für begangenes Unrecht entschuldigten; die zeitliche Distanz könne dies erleichtern. Man müsse sie davon überzeugen, daß es in ihrem Interesse liege, sich ohne mögliche Pressionen der EU anzugliedern. Denn immerhin gelte Vertreibung nach den Statuten von Rom als Kriegsverbrechen und sei justitiabel.
Mit der größeren kulturellen Vielfalt durch die hinzukommenden weiteren Minderheiten wachse allerdings auch das Konfliktpotential innerhalb der EU, erwartet der Bozener Soziologe Christoph Pan. Zum Beispiel erhalte Rußland - als Vertreterin der russischen Minderheit - durch den Beitritt Estlands erstmals Mitspracherecht in der EU.
Pan kritisierte die EU-Kommission dafür, die Beitrittsverhandlungen mit den Kandidaten vorschnell aufgenommen zu haben, ohne daß Bedingungen erfüllt worden seien. So habe man festgestellt, daß die angeblich nicht mehr gültigen Benesch-Dekrete in Tschechien immer noch rechtswirksam seien. Eine positive Entwicklung zeichne sich hingegen in Polen ab, obwohl ein angekündigtes Minderheitengesetz immer noch nur im Entwurf vorliege.
Unter dem Beifall der Zuhörer forderte Professor Pan, die Betroffenen - also auch die Vertriebenenverbände - in die abschließenden Aufnahmeverhandlungen einzubeziehen. Sekundierte BdV-Präsidentin Steinbach: "Wir bitten, daß man sich die Position derer, die von Entrechtung und Vertreibung betroffen sind, mit anhört."
Ihr Recht auf die Heimat könnten die Menschen unter anderem durch häufige Kontakte zu den Menschen in den östlichen Staaten bekunden, die nun in die EU drängten, riet Frau Steinbach: "Reisen Sie oft und viel dorthin!" Es gehe schließlich nicht nur um materielle Wiedergutmachung, ergänzte der Europaabgeordnete Hänsch, "sondern auch darum, den Schaden an den Seelen zu heilen".
Das würde Erika Steinbach, Sprecher der Freundeskreis Ostdeutschland, wohl ohne Zögern unterschreiben, denn "wir sind es, die den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag mit Leben erfüllen, kein anderer!". Dennoch: "Wir werden aber auch weiterhin für unsere Ziele kämpfen, etwa für den Verzicht auf Übergangsfristen in Bezug auf Niederlassungsfreiheit und Grunderwerb, auch wenn das von mancher Seite als unrealistisch eingestuft wird." Wel
Begeistert: Werner Schaum und Rosa Pfannenstiel, Mitglieder der Tanzgruppe Elch, waren vom Deutschlandtreffen der Ostdeutschland äußerst angetan und freuen sich schon auf das nächste Mal. Gemeinsam mit dem zwölfjährigen Artjom Steiz, der erst vor zweieinhalb Jahren aus Nowosibirsk in die Bundesrepublik gekommen ist, begutachteten sie das Angebot der vielen Stände mit ostdeutschen Spezialitäten in den Hallen der Leipziger Messe. |
|