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Björn und Sven sind extra aus Malmö angereist, um ihre Mannschaft anzufeuern. Einer von den beiden hat sogar eine Karte für das letzte Vorrundenspiel der schwedischen Nationalelf.
Jetzt sitzen die beiden im "Pfefferberg". In dem Berliner Biergarten werden alle Spiele live übertragen (Eigenwerbung: "Gefeiert wird in den Farben und Klängen aller qualifizierten Nationen"). Doch für die deutschen Multikulti-Arien haben die beiden kein Verständnis. "Nigger", brüllt einer der beiden, als ein schwedischer Spieler zum zweiten Mal von einem Spieler aus Trinidad und Tobago gefoult wird. Aus ihrer deutschen Umgebung raunt kein Wort des Protestes, niemand "zeigt Gesicht" und schreitet ein gegen die rassistische Entgleisung.
Erstaunlich: Björn und Sven sind nämlich von lauter Mitarbeitern und Freunden der linken Tageszeitung "taz" umgeben. Als Gast bei Freunden stoßen die beiden Schweden offenbar auf ein großes Maß an Toleranz.
Rückblende: Zum Eröffnungsspiel der deutschen Nationalelf gegen Costa Rica begibt sich der Altlinke Hans-Christian Ströbele ins "Lido", um im Kreise seiner Anhänger der deutschen Mannschaft zuzujubeln. "Das war so voll, daß wir erst gar nicht reingekommen sind", klagte Ströbele hinterher. In der Szenekneipe unweit der Warschauer Brücke wird vor einer Großbildleinwand ziemlich gedrängelt. Es sind typische Einwohner aus Kreuzberg: Alternative, Punker, viele Ausländer - vor allem Araber und Türken. Und: Alles ist in Schwarzrotgold gehüllt.
Es ist unmöglich dem Fahnenmeer zu entgehen. Private Pkw sind beflaggt, die offiziellen Polizeifahrzeuge trotz Verbots ebenso. Selbst türkische Dönerbuden nehmen mittels Fahne an der nationalen Euphorie der Deutschen teil. Selbst in den Teilen Neuköllns oder Kreuzbergs, in denen keine deutschen Einwohner mehr vermutet wurden, haben Bewohner ihre deutsche Flagge aus dem Fenster gehängt.
Nicht viel anders ist die Lage im Prenzlauer Berg. Im Biergarten "Pfefferberg", in den es später die beiden Jungs aus Malmö verschlagen sollte, feiert die linksalternative "taz" mit dem staatlichen Propagandasender "Radio Multikulti" und zahlreichen treuen Lesern und Hörern den WM-Auftakt.
Der Eintritt in den Biergarten, in dem unter schattigen Bäumen eine Großbildleinwand steht, ist kostenlos. Auch hier ist es während des Münchner Eröffnungsspiels brechend voll. Um drei Uhr - drei Stunden vor Anpfiff! - ist bereits die Hälfte der Sitzplätze vergeben.
Im "Pfefferberg" sammeln sich eigentlich die wenigen Anhänger Costa Ricas. Trotzdem dominiert auch hier Schwarzrotgold. Um Sechs riegelt die Polizei alles ab. Die Wartenden werden aufgefordert zur Kulturbrauerei weiterzuziehen. Überhaupt Polizei: Sie ist so massenhaft im Stadtgebiet präsent wie sonst höchstens bei Großdemos am 1. Mai.
Der nächste Morgen nach der Eröffnung gehörte noch einmal den Überresten der "Nie-wieder-Deutschland"-Fraktion. Die vom Streit mit der WASG gebeutelte Berliner PDS/Linkspartei stellt ihre Kandidaten auf. Harald Wolf wird mit 86 Prozent zum Spitzenkandidaten gekürt.
Der CDU-Wirtschaftsrat hatte seine Jahrestagung wegen der WM vom 17. auf den 1. Juni vorverlegt, Bürgermeister Klaus Wowereit und Herausforderer Friedbert Pflüger veröffentlichen keine politischen Termine mehr, sondern nur noch wann und wo sie welches Spiel verfolgen wollen. Nur die Linkspartei ignoriert das Fußballfest, so gut es eben geht. Nach dem Parteitag setzt Lafontaine seine Werbetour bei der Parteijugend "Solid" fort. An der Humboldtuniversität spricht er (vor einem für einen Jugendverband außerordentlich betagten) Publikum zum Thema "Was will die Linke?"
Am späten Nachmittag zurück im "Pfefferberg". Schweden gegen Trinidad und Tobago. Bei der "taz"-Party sind jetzt die Fans in Blaugelb eingetroffen. Die Schweden und ihre deutschen Freunde sitzen vor der Leinwand und müssen verfolgen, wie ihre überlegene Mannschaft unverdient torlos bleibt. Als dann auch noch der Spieler Christian Wilhelmsson schwer gefoult wird, sind die Skandinavier nicht mehr zu bremsen. Sie rasen vor Wut über die farbigen Spieler aus der Karibik.
Für dieses Foul endlich sieht der Spieler aus Trinidad und Tobago Rot. Die Schweden brüllen wüste Beschimpfungen, über die es im Kommentarteil der "taz" sonst heißen würde, es seinen "rassistische und menschenverachtende" Äußerungen. Einer der Skandinavier grunzt "Motherfucker", mehrmals. Die "taz"-Leute fanden offenbar nichts dabei.
Vom Fußball-Fieber erfaßt: Selbst linke Anti-Nationalisten tragen es derzeit mit Fassung, daß überall auch die deutschen Farben leuchten wie hier im Berliner Sony-Center am Potsdamer Platz. |
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