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Quo vadis deutsche Volksgruppe?

 
     
 
Ganz mit der Zukunft der Nichtpolen im südlichen Ostdeutschland beschäftigte sich das Sommertreffen der Masurischen Gesellschaft in Krutinnen. Sein Generalthema lautete: "Nationale Minderheiten im 21. Jahrhundert".

Neue Identitäten für die Menschen dieses Jahrhunderts sieht der Danziger Generalkonsul Roland Fournes. Die Zeit sei reif für die Menschenrechte
und Toleranz achtende europäische, nationale und regionale Identitäten, die das Zeitalter des extremen Nationalismus überwänden. Mit der Demokratisierung und Europäisierung sei auch in Ostdeutschland der Zwang zur Entscheidung entweder für die deutsche oder die polnische Identität weggefallen, erklärte Roland Fournes.

Eine wirkliche Perspektive sieht der Generalkonsul für die Deutschen in Ostdeutschland, wenn sie ihre Vereine öffnen für alle Menschen, die an deutscher Kultur und Sprache interessiert sind, egal welcher Nationalität sie auch immer seien. Er stellt sich die deutschen Vereine und deutschen Häuser in Zukunft als deutsche Kulturinstitutionen vor, in denen sich einmal Angehörige der deutschen Volksgruppe, Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland, die in Ostdeutschland leben und arbeiten, sowie alle an deutscher Kultur interessierten Polen begegnen können.

Die finanzielle Förderung seitens der Bundesregierung werde weiter sinken, und eine Öffnung für eine breite Mitgliedschaft könne dann zusätzliche Finanzquellen erschließen, erklärte Roland Fournes.

Philipp Iwersen berichtete über die deutschen Nordschleswiger in Dänemark, ein interessanter Vergleich, konnte man doch hier schon überprüfen, wie es sich als Angehöriger einer nationalen Minderheit in einem EU-Land mit ganz anderen Förderungsstrukturen lebt.

Im Ermland und in Masuren gibt es heute 23 in einem Dachverband zusammengeschlossene deutsche Vereine, die gut 15 000 Deutsche vertreten. Sie seien ja angeblich gar nicht existent gewesen und dann nach der Wende wie Pilze aus dem Boden gekommen, wer in den dunklen Jahren sich die Sprache habe erhalten können – das sei ein Glück gewesen, schildert Eckart Werner, Vorsitzender des Verbandes der deutschen Gesellschaften in Ostdeutschland den Beginn.

Eckart Werner weiß, daß zwar viel erreicht wurde in den vergangenen zehn Jahren, andererseits sich aber noch eine Menge ändern muß, um das Überleben der Deutschen als Volksgruppe zu sichern. Vor allem müsse man die Jugend gewinnen, sonst stürbe die deutsche Volksgruppe irgendwann schlicht aus, eine Überalterung mache sich inzwischen längst bemerkbar, berichtete Eckart Werner. Dazu sei es nötig, Ideen und Aktivitäten der jungen Leute dann auch zuzulassen und ihnen Verantwortung zu übertragen. Vom geplanten Internetcafe in Allenstein solle eine Art Initialzündung ausgehen.

Der zweite wichtige Punkt, an dem man in den nächsten Jahren Verbesserungen herbeiführen muß, ist die Wiedergewinnung der deutschen Sprache, denn darin sind sich auch auf dem Krutinner Treffen alle einig: ohne den Erhalt des Deutschen zumindest als Sprache der eigenen kulturellen Identität wird es kein Überleben als nationale Gruppe geben, dann wäre binnen einer Generation die Assimilierung vollständig. Anders als in Schlesien, wo die Deutschen in geschlossenen Siedlungsgebieten leben und Deutsch als Verkehrssprache nutzen können, ist das bei den verstreut lebenden Ostdeutschland nicht möglich.

Um für die Kinder der Deutschen bestmöglichen Deutschunterricht zu erreichen, hat der Dachverband unter Eckart Werner ein Stufenkonzept ausgearbeitet. In der Grundschule soll so viel Deutsch wie jeweils irgend möglich erreicht werden, ohne daß man sich planmäßig festlegt, da die Situation überall verschieden ist. Es soll einfach das auch in dieser Schulstufe verbriefte Recht auf Deutschunterricht ab drei Kindern pro Klasse so gut wie möglich erfüllt werden, auch da, wo nur eine Handvoll deutscher Kinder leben. Das soll sehr behutsam geschehen, um die Kinder nicht zu Außenseitern in einer polnischen Umgebung zu machen. An weiterführenden Schulen soll der erweiterte Deutschunterricht gefördert werden, damit möglichst viele deutsche Kinder in einem späteren Lyzeum mit angeschlossenem Internat für zwei Klassen, in denen Deutsch Unterrichtssprache ist, mit dem polnischen gleichzeitig auch das deutsche Abitur ablegen können. Wichtig sei, diese Sprachangebote auch für polnische Kinder zu öffnen, denn die Begründung, daß deutsche Sprachkenntnisse allen in der Region zu Gute kommen, ist polnischen Behörden gegenüber ein starkes Argument. Wenn diese Ziele in Zusammenarbeit mit polnischen Behörden einmal erreicht würden, sei er schon zufrieden, meinte Eckart Werner.

Wiktor Marek Leyk, der Beauftragte des Wojewodschaftsparlamentes für Minderheiten sieht für die Zukunft eine besondere Rolle für die Deutschen im Lande, sind sie doch Mittler einer über siebenhundertjährigen Kultur und Geschichte der Region. Nun, wo man in Polen begreift, daß es ohne die schwierige Vergangenheit auch keine Identifikation mit der Region gäbe, sieht er hier eine besondere Mittlerrolle für die deutsche Volksgruppe. So könne man das gemeinsame Erbe von Kultur und Geschichte erhalten, diesen kulturellen Reichtum allen Menschen der Region nahe bringen.

Gerade aber was die kulturelle Identität der Deutschen in Ostdeutschland betrifft, macht sich in der Kulturarbeit immer noch der Exodus der geistigen und kulturellen Elite in den Nachkriegsjahrzehnten und die Zwangsabschottung vom deutschen Kulturleben schmerzlich bemerkbar. Auch Wiktor Marek Leyk bedauerte, daß die fehlenden Kenntnisse über den Reichtum der eigenen Kultur erst wieder erarbeitet werden müssen. Die in mehr als vier Jahrzehnten entstandenen Defizite lassen sich nicht von heute auf morgen aufarbeiten.

Das Wirken eines Vereins wie der Masurischen Gesellschaft, die sich ganz der Kulturarbeit verschrieben hat, ist hier ein hoffnungsvoller Ansatz. Eminent wichtig für die Kulturarbeit ist auch die weitere Entsendung von Kulturassistenten des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA) als Hilfe zur Selbsthilfe, denn auch in diesem Bereich sollen die deutschen Vereine in nicht allzu ferner Zukunft auf eigenen Beinen stehen.

Es wird leichter werden, in einem sich einenden Europa als Minderheitengruppe in der Mehrheit zu leben, aber es wird sicher nicht leichter werden, überhaupt eine eigene kulturelle Identität zu finden. Immer mehr Menschen werden zwischen den Kulturen stehen. Der postmoderne Mensch müsse, so formulierte es Dr. Ursula Willan in Krutinnen, seine Zugehörigkeit selbst finden, denn in unserer mobilen Welt werde Beheimatung ein aktiver Gestaltungsprozeß. 


Fotos:

Generalkonsul Roland Fournes (rechts) mit seiner Frau und T.S. Willan: Der Diplomat fordert eine Öffnung der deutschen Vereine für Nichtdeutsche.

Eckart Werner: Der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Gesellschaften in Ostdeutschland mahnt, daß sich trotz aller Fortschritte noch eine Menge ändern müsse, um das Überleben der Deutschen als Volksgruppe zu sichern.

Wiktor Marek Leyk: Der Beauftragte des Wojewodschaftsparlamentes für Minderheiten sieht in der deutschen Volksgruppe einen Mittler zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

 
     
     
 
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