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Reformen an der Seine

 
     
 
Am 28. Mai soll der französische Sozialminister, François Fillon, einen Plan zur Rentenreform im Ministerrat vorlegen. Bis dahin werden noch viele Streiks und Kundgebungen von den reformunwilligen Gewerkschaften veranstaltet. Schon jetzt haben zwei Gewerkschaften, die "Confédération française du travail" und die "Confédération Générale des cadres", nach Verhandlungen mit dem Minister die Pläne der Regierung gebilligt. Diese beiden Arbeitnehmer
verbände finden bei den Beamten kein großes Echo. Sie protestieren am meisten gegen die Rentenreform. Die Gewerkschaften werden von der Basis wegen der Zustimmung zu den Regierungsplänen und den positiven Abschlüssen der Verhandlungen mit der Regierung kritisiert. Insofern wird sicherlich die Vorlage der Regierung Änderungen durch das Parlament erfahren. François Fillon hat kürzlich erklärt, die Staatsbehörden könnten keine weiteren Zugeständnisse machen. Laut den Experten wird es 2040 in Frankreich so viele Pensionierte wie Berufstätige geben. Da die Regierung sich weigert, einen Teil der Renten durch ein System von Vermögensbildung zu sichern, und darauf beharrt, das System der Umverteilung aufrechtzuerhalten, ist es klar, daß sie die Dauer der Rentenbeitragseinzahlung verlängern muß, will sie nicht zu sehr das Niveau der Renten senken. 1993 hatte der konservative Edouard Balladur die Arbeitsdauer im privaten Bereich verlängert. Jetzt will die Regierung Raffarin diese Reform auch dem öffentlichen Dienst angedeihen lassen.

Es gibt in Frankreich fünf Millionen Arbeitnehmer, die entweder Beamte oder vom Staat Abhängige sind. Am 13. Mai waren mehr als eine Million Menschen auf den Straßen. Obwohl bis heute das Schreckensbild eines Generalstreiks noch nicht an die Wand gemalt ist, wollen die linken Gewerkschaften eine Machtprobe mit den Staatsbehörden.

Die Reform "Fillon" dürfte erst 2008 in Kraft treten. Zu diesem Zeitpunkt wird allgemein die Arbeitsdauer 40 Jahre betragen. Ab 2012 soll sich dieser Zeitraum auf 41 Jahre ausdehenen, und 2020 sogar auf 42 Jahre. Nach den Berechnungen der kommunistischen CGT (Confédération générale du travail), die von der führenden Wirtschaftstageszeitung Les Echos zitiert wird, würde die Reform bedeuten, daß 2020 die Renten um ein Viertel niedriger wären. Der regierungsnahe Le Figaro schätzt, daß trotz der Reform das Rentensystem finanzmäßig fraglich bleibt und 2006 alles noch in Frage gestellt werden könnte. Da die Wahlen zur Staatspräsidentschaft und zur Nationalversammlung für 2007 geplant sind, liegt es auf der Hand, daß die Regierung Raffarin, die über eine komfortable Mehrheit im Parlament verfügt, der Versuchung erliegen könnte, eine Kraftprobe mit den Gewerkschaften und den Beamten zu wagen. 1995 war die Regierung Juppé daran gescheitert, und danach hatten die Sozialisten unter Jospin das Dossier der Rentenreform liegenlassen. Obwohl das Erziehungswesen in Frankreich zwanzig Prozent des Staatshaushalts in Anspruch nimmt und mehr als eine Million Beamte beschäftigt, sind die Lehrer die Reservetruppen der linken Parteien. Nachdem das linke Lager durch seine Zersplitterung das Scheitern Lionel Jospins im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen nicht verhindern konnte und im zweiten Wahlgang für Chirac gegen le Pen gestimmt hat, war es ein offenes Geheimnis in Frankreich, daß die Linke den dritten Wahlgang vorbereitete. Seit mehreren Monaten wird also in zahlreichen Schulen gestreikt, und die Lehrer, noch mehr als die Eisenbahnarbeiter, bilden zur Zeit das Gros der an Kundgebungen Teilnehmenden. Nicht nur wegen der Rentenreform wollen sie protestieren, sondern auch gegen etliche Reformvorhaben des Bildungsministers. Das Ziel ist die Dezentralisierung des Erziehungssystems. Ein Jahr nach dem triumphalen Wahlsieg Chiracs ist Frankreich auf diese Weise in eine Turbulenzzone geraten.
 
     
     
 
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