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Die Bilder des überfüllten Frachters mit Albanern an Bord, der an der italienischen Küste landete, die zusammengepferchten Albaner, die rasche Abschiebung dieser Immigranten sowie deren zunächst menschenunwürdige Unterbringung gingen um die Welt. Weit weniger international verbreitet als allfällige deutsche "Beispiele" sind jedoch die weit häufigeren Auseinandersetzungen zwischen Italienern und illegale n Ausländern im Lande selbst. Straßenschlachten zwischen Mailändern und Marokkanern, ein Brandanschlag gegen ein Quartier illegaler Ausländer in Perugia sowie Ausschreitungen in Turin; die Bewohner Italiens reagieren zunehmend aggressiv auf den von illegalen Ausländern vielfach betriebenen Drogenhandel und die weit verbreitete Prostitution, die von Afrikanerinnen und Albanerinnen betrieben wird. Die Zahl der illegalen Ausländer in Italien könnte nach verschiedenen Schätzungen etwa eine Million betragen. Andere Quellen sprechen von 250 000 bis 500 000. Die Regierung von Ministerpräsident Romano Prodi hat im Zuge der Umsetzung der Bestimmungen des Schengener Abkommens kürzlich ein neues Ausländerrecht ausarbeiten lassen, das "legalen" Ausländern bessere Integrationsmöglichkeiten bieten und zugleich den Zustrom von "Illegalen" eindämmen soll. Durch das Gesetz wurde die Einreise der Familienangehörigen jener Personen erleichtert, die in Italien mit regulärer Aufenthaltserlaubnis leben. Nach Auffassung der Justizbehörden ist eine massive Neuorganisierung der Schlepperbanden im Gange. In Süditalien befürchtet man, nicht mehr in der Lage zu sein, einen neuen Flüchtlingsstrom aufzunehmen. Mit Nachdruck fordern die süditalienischen Behörden die Regierung auf, sie bei einer neuen Masseneinwanderung nicht im Stich zu lassen, wie es bereits zwischen Dezember und Jänner der Fall war. Damals waren rund tausend kurdische Flüchtlinge in die Aufnahmelager der Gegend geströmt. Mit ihren 7500 Kilometer Küsten ist es für die süditalienischen Regionen sehr schwer, den Einwanderungsstrom aus Albanien, Nordafrika, der Türkei und dem Nahen Osten zu bremsen.
Italienische Experten sind der Ansicht, daß dem Land eine zweite, massive Einwanderungswelle bevorsteht. Nach Ansicht des Soziologen Franco Ferrarotti, der seit Jahrzehnten das Phänomen der Immigration studiert, haben in den 90er Jahren vor allem Männer Arbeit und Unterkunft in Italien gesucht, um der Armut ihrer Heimat zu entkommen. Nun beginne eine "zweite Einwanderungswelle", bestehend aus den Familienangehörigen jener Ausländer, die in den vergangenen Jahren in Italien einen Arbeitsplatz gefunden und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben.
"Der Staat muß nun seine Effizienz unter Beweis stellen. Man braucht Wohnungen, mehrsprachige Schulen, moderne Gesundheitsstrukturen für die vielen Ausländer, die nach Italien kommen", betonte der Soziologe Ferrarotti. Seiner Ansicht nach werde Italien eine multirassische Gesellschaft werden. Man müsse sich an diesen Gedanken gewöhnen und jegliches Überlegenheitsgefühl Ausländern gegenüber abbauen, erklärte der Soziologe, dem es offensichtlich weit leichter fällt, mit Ausländern zurecht zu kommen als den betroffenen Bürgern, wie die eingangs erwähnten Beispiele deutlich zeigen.
Die Anzahl der Ausländer, die sich regulär in Italien aufhalten, dürfte im Vorjahr ebenfalls die Millionengrenze überschritten haben. Nach einer jüngst veröffentlichten offiziellen Statistik belief sich der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung im Jänner 1997 auf 986 000 Personen. Das größte Einzelkontingent stellten mit 115 000 dabei die Marokkaner, gefolgt von Personen aus dem früheren Jugoslawien (74 000) und Albanien (66 000). Nicht zuletzt wegen der Krise im Kosovo könnte sich die Zahl der albanischen Immigranten in den nächsten Wochen und Monaten weiter erhöhen, ein Problem, mit dem wegen des Schengener Abkommens über Freizügigkeit auch Österreich und die Bundesrepublik Deutschland bald in verstärktem Ausmaß konfrontiert sein dürften.
Nach Angaben des Statistikamtes Istat, das ein Dossier mit dem Titel "Die Präsenz der Ausländer in den 90er Jahren in Italien" veröffentlicht hat, sind die meisten Ausländer mit regulärer Aufenthaltserlaubnis in der Industrie beschäftigt. In den nordöstlichen Regionen beträgt der Prozentsatz der in der Industrie arbeitenden Immigranten 75 Prozent, im Süden sind es dagegen "nur" 40 Prozent. Die stärkste ausländische Gemeinschaft ist jene der Marokkaner, doch ist nach Ansicht von Experten auch der "Ostwind" stark zu spüren.
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