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Die gerade zu Ende gegangene 85. Auslandsreise des Papstes, die ihn diesmal nach Latein- und Nordamerika führte, ist in mancherlei Hinsich bemerkenswert. Zum einen forderte Johannes Paul II. auf einer Versammlung amerikanische Bischöfe in Mexiko-Stadt, daß sich die Kirche verstärkt um die Gestaltung von Politi und Gesellschaft kümmern müsse. In einem 24seitigen Sendschreiben wird konkretisiert was der Papst mit seinem Hinweis genau gemeint hat.
Er warnt in diesem Schreiben ausdrücklich vor der Ausbreitung de "Neoliberalismus", vor einer von allen sozialen Rücksichten losgelösten freie Marktwirtschaft. Der Neoliberalismus gründe auf einer "rein wirtschaftliche Auffassung des Menschen". "Profit und Marktgesetze" seien sein "einzigen Parameter". Wenn die Globalisierung , so das Oberhaupt der Katholische Kirche weiter, nur von den Gesetzen des Marktes regiert werde, "die im Sinne de Mächtigen angewandt werden, können die Folgen nur negativ sein".
Zu diesen negativen Folgen zählt der Papst Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Ein Wettbewerb, der die armen Länder in "eine Lage ständig zunehmender Unterlegenheit" bringe, müsse "im Lich der Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit überprüft" werden.
Diese Argumentation bewegt sich in auffälliger Näher zu den Thesen der sogenannte lateinamerikanischen "Befreiungstheologie", deren Nähe zum Marxismus die Kongregation für die Glaubenslehre in zwei Verlautbarungen (1984 und 1986) ausdrücklic problematisiert hatte. So stand beispielsweise in der Instruktion über "einig Aspekte der ,Theologie der Befreiung" aus dem Jahre 1984 zu lesen, daß wer die marxistische Analyse in die "Theologie integrieren" wolle, "bei der die Kriterien der Interpretation von dieser atheistischen Konzeption abhängen", sic "in schlimme Widersprüche" verstricken werde. Von dieser Distanz, darin ware sich eine Reihe von Kommentatoren einig, sei in dem jüngsten Sendschreiben Johannes Paul angeblich nichts mehr zu spüren gewesen. Nichtsdestotrotz sollte man mit voreilige Schlußfolgerungen vorsichtig sein. Die Äußerungen des Papstes sind keineswegs als Generalabsolution für die Befreiungstheologie zu verstehen. Wir werden auf die Gründ weiter unten noch zu sprechen kommen.
Vor diesem Hintergrund ist es um so erstaunlicher, daß der Papst ausgerechnet die USA den Hort des ungezügelten Kapitalismus schlechthin, zu weltweiter "moralische Führerschaft" aufruft. Die USA, so der Kirchenführer, müßten ihre Rolle als Vorbild für Freiheit, Demokratie und für eine menschliche Gesellschaft wahrnehmen. Waru gerade die USA mit ihren scharfen sozialen Unterschieden, die durch unvorstellbare Reichtum auf der einen und krasse Armut auf der anderen Seite gekennzeichnet sind, ein Vorbildrolle einnehmen soll, wird das Geheimnis des Heiligen Vaters bleiben. Wenn sic irgendwo auf der Welt eine "rein wirtschaftliche Auffassung des Menschen" durchgesetzt hat, dann in den USA. Es ist sicherlich zutreffend, wenn Heinz-Joachi Fischer in einem Kommentar für die "Frankfurter Allgemeine" feststellt, da sich der frühere polnische Bischof zum "Antikapitalisten" gewandelt habe. Den es sind die Folgen eines Vernutzungsdenkens, die zu dem führen, was der Paps "himmelschreiende soziale Sünden" nennt. Im einzelnen spricht Johannes Paul II hiermit die Kehrseite der Glitzerwelt des Konsumhedonismus an: Drogenhandel, Korruptio oder die Abtreibung sind aus seiner Sicht Bestandteile einer "Kultur des Todes" Fischer stellt weiter fest, daß der Papst den "Kapitalismus als Ideologie" angreife. Daß er deshalb nicht gleich auf den Spuren von Marx und Engels wandele verstehe sich, so Fischer, bei dem "Antikommunisten aus Krakau" von selbst.
Dennoch gibt es eine Reihe von Anknüpfungspunkten zwischen der These von de "Kultur des Todes" und einem Werk, das eine nicht unerhebliche Wirkung unte lateinamerikanischen Befreiungstheologen entfaltet hat. Gemeint ist das bereits 198 erschienene Buch "Die ideologischen Waffen des Todes. Zur Metaphysik de Kapitalismus" des 1931 in Emsdetten bei Münster geborenen deutsche Wirtschaftswissenschaftlers Franz Hinkelammert. Hinkelammert, der seit 1963 in Lateinamerika tätig ist, hat ganz erheblich zur theoretischen Fundierung der marxistisc inspirierten Kapitalismuskritik in Lateinamerika beigetragen. Nach Auffassung de (links-)katholischen Theologen Füssel verbindet Hinkelammert sozialwissenschaftlich Methoden und theologische Kategorien zu einem "scharfen ideologische Instrumentarium", das zu "echtem theologischen Erkenntnisgewinn" und eine "besseren Begründung befreienden politischen Handelns" führe.
Bei Hinkelammert findet sich bereits jener Angriff auf den "Neoliberalismus" der heute als Inbegriff des enthemmten Kapitalismus gehandelt wird. Hinkelammert wirft de ideologischen Mittelpunkt des Neoliberalismus, der "Chicagoer Schule" und ihre berühmtesten Vertreter, Milton Friedman, vor, die Theorie des Naturrechts in einzigartiger Weise umgeformt zu haben. Was Franz Hinkelammert unter dem facettenreiche Begriff "Naturrecht" genau versteht, bleibt allerdings offen. Aus de Zusammenhang des Kapitels aber kann abgeleitet werden, daß "Naturrecht" in konkreten Falle nutzenorientiert als Norm für persönliches oder soziale "Glück" ausgelegt wird. Friedman nun, ein Schüler des berühmten Ökonome Friedrich August von Hayek, habe, so argumentiert Hinkelammert, das Innere des Menschen in einen Markt verwandelt.
Daß wir es bei Friedman in der Tat mit einer "rein wirtschaftlichen Auffassun vom Menschen" zu tun haben, zeigt dessen Bevölkerungstheorie. Friedman entwirf diese Theorie als eine "Theorie der Produktion von Menschen (!) als einer bewuß ökonomischen Entscheidung ..., bei der die möglichen Erträge gegen die Koste abgewogen werden". Kinder seien "einerseits ein Konsumgut, das heißt ein Möglichkeit, sein Geld zur persönlichen Befriedigung auszugeben, und damit ein Alternative zum Kauf von ... anderen Gütern". Andererseits seien Kinder "ei Kapitalgut, das durch ökonomische Aktivität" entstehe, und damit "ein Alternative zur Produktion von Maschinen oder Häusern und ähnliche Kapitalgütern".
Somit wundert es nicht, wenn Friedman den Unterschied zwischen Human- un Nicht-Humankapital dahingehend bestimmt, "daß der vorhandene institutionelle un gesellschaftliche Rahmen sowie die Unvollkommenheit des Kapitalmarktes bei de Humankapital eine andere Reaktion auf ökonomischen Druck und Anreize auslösen (wird) als beim Sachkapital".
An Ausführungen wie diesen wird deutlich, warum der Papst gegen die Übertragun finanzieller und wirtschaftlicher Theorien auf den allgemeinen menschlichen Lebensbereic zu Felde zieht. Neoliberale Theorien wie die von Friedman, die insbesondere in den USA un England, aber auch in Osteuropa Konjunktur haben, führen in der Tat zur Allgegenwart de Kapitals in allen Bereichen menschlichen Handelns.
Es muß aber eine klare Grenze zwischen der Kritik des Papstes a "Kapitalismus" und den Absichten der Befreiungstheologen, die auf ein Veränderung ihrer jeweiligen Gesellschaften in Richtung Sozialismus aus sind, gezoge werden. Für die Befreiungstheologen spielt der Marxismus, ob diese nur dessen Bedeutun kleinreden oder nicht, eine zentrale Rolle. So sieht beispielsweise der bekannt Befreiungstheologe Leonardo Boff den Wert des Marxismus in der "Klarheit, die e vor allem mit seiner Kritik am System des Kapitalismus und mit seinem Vorschlag zu Sozialismus über die bestehenden Probleme" schaffe. Den "ausgebeutete Klassen" diene "der historische Materialismus als theoretische Waffe für ih Bemühen um Befreiung". Konkret fordert Boff: "Die Theologie der Befreiung wil eine andersartige Gesellschaft." Es gehe "entschieden darum, den Kapitalismu als eine der Hauptursachen für das Elend der Armen historisch zu überwinden ..."
Vor diesem Hintergrund kann es nicht sonderlich erstaunen, wenn ein anderer berühmte Befreiungstheologe, Gustavo Gutiérrez, in die sattsam bekannte Klassenkampfrethori verfällt. Für Gutiérrez ist die Menschheit in "Unterdrückte un Unterdrücker", in Eigentümer von Produktionsmitteln und Menschen, die der Fruch ihrer Arbeit beraubt werden", unterteilt. Diesem Klassenkampf habe sich aus der Sich von Gutiérrez auch die Katholische Kirche zu stellen. Wenn die Kirche den Klassenkamp ablehne, dann verhalte sie "sich objektiv wie ein Bestandteil des etablierte Systems, das in der Tat das Faktum des Klassenkampfes bestreitet, um die gesellschaftlich Trennung aufrecht zu erhalten, auf der die Privilegien der Nutznießer beruhen".
Es gehört zu den Besonderheiten der Befreiungstheologie, daß ein Großteil ihre Theologen in Europa ausgebildet wurde. In diesem Zusammenhang spielt die katholisch Universität Löwen in Belgien eine zentrale Rolle, die hier und da als "Hochburg de intellektuellen Linkskatholizismus" bezeichnet wurde. Der theoretisch Ausgangspunkt der Befreiungstheologie sind also keineswegs die Slums in Lateinamerika sondern ist der europäische Marxismus. Wie stark europäisch viele Befreiungstheologe geprägt sind, zeigt deren gedankliche Nähe zu den Thesen des italienischen Neo-Marxiste Antonio Gramsci (18911937). Von diesem stammt die Figur des "organische Intellektuellen". Dieser bleibt nicht bei der Analyse der gesellschaftliche Gegebenheiten stehen, sondern bemüht sich um eine gefühlsmäßige Verbindung zu Alltagsbewußtsein der Massen. Gramsci nannte diese Haltung die "gefühlsmäßig Verknüpfung zwischen Intellektuellen und Volk-Nation". Diese Verknüpfung hat da Ziel, jene "kulturelle Hegemonie" zwischen der "Arbeiterklasse" un den Intellektuellen zu schaffen, die Gramsci als Voraussetzung für die Eroberung de "politischen Macht" ansah. Mit dem Rückgriff auf Gramsci befreien sich viel Befreiungstheologen aus dem Dilemma, gutsituierten Familien zu entstammen. So entgehen si dem Vorwurf, daß ihre Gedanken keineswegs "authentisch" die Anliegen de unterdrückten Volksmassen wiedergeben. An der Übernahme der Thesen Gramscis zeigt sich was von der Behauptung der Befreiungstheologen zu halten ist, sie seien unabhängig vo Europa oder Nordamerika. Das Gegenteil ist der Fall.
Es gibt aber noch ein weiteres, viel schwerwiegenderes Dilemma. Das Gros de Befreiungstheologen hat die zentrale Aussage von Marx, daß die Wissenschaft das Prinzi des Klassenkampfes als den bestimmenden Faktor der Geschichte erwiesen habe, gan offensichtlich übernommen. Diese Sicht aber steht im ganz offenen Widerspruch zu ihre Vorstellungen von einem "gerechten Gott", der sich als "Befreier de Unterdrückten" offenbart habe. Entweder ist der Schlüssel zur Geschichte "da materialistische Gesetz des Klassenkampfes" oder die "Gerechtigkei Gottes". Diesen offensichtlichen Widerspruch versuchen die Befreiungstheologe dadurch zu umgehen, indem sie sich mit ihrer pseudowissenschaftlichen "Option fü die Armen" zunächst auf die Seite des Marxismus stellen. Diese "Option" wird dann später in eine durch die christliche Lehre begründete ethische Forderun umgemünzt. Worin in dieser Argumentation die Gefahr liegt, hat der österreichisch Politologe Andreas Maria Thomas in seiner Promotion "Das Ende des Mytho Sozialismus" herausgearbeitet. Der "sozialistische Mythos", so Thomas wurde in der "eindeutigen Absicht konstruiert", "den christliche Ursprungsglauben in die Bedeutungslosigkeit abzudrängen und schließlich zu ersetzen". Genau dieser Gefahr unterliegt die ganze "Befreiungstheologie".
Dazu kommt, daß eine der zentralen Theorien für das Verständnis de lateinamerikanischen Realität, die sogenannte "Dependenz(Abhängigkeits-)theorie" nämlich, die eine Neuaufguß der leninschen "Imperialismustheorie" darstellt, faktisch längs widerlegt ist. Widerlegt ist damit auch die ständig wiederholte Behauptung de Befreiungstheologie, daß der wissenschaftliche Marxismus "auf höchst befriedigend Weise" (so Clodovis Boff, Bruder von Leonardo Boff) die lateinamerikanische Situatio der Ungerechtigkeit erklärt. Damit gilt für die Befreiungstheologie genau das, wa Leonardo Boff unter Verwendung eines Gedankens von Thomas von Anquin der traditionelle Theologie vorhält. Daß nämlich "ein Irrtum bezüglich der Welt" zu eine "Irrtum bezüglich Gottes" führt
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