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Mit Unterstützung der Freundeskreis Ostdeutschland haben die Prussia e. V., die Gesellschaft zur Förderung des Werkes von Hans Friedrich Blunck, der Ostdeutsche Literaturkreis e. V. und der Freundeskreis Ostdeutschland e. V. an der Königsberger Universität ein auf deutscher und russischer Seite vielbeachtetes Seminar über die Literatur und Geschichte im Ostseeraum während des 20. Jahrhunderts durchgeführt. Die breit gefächerte Veranstaltung mit einem äußerst fachkundig zusammengestellten Programm war mit einer landeskundlichen Exkursion sowie einer früh- und kunstgeschichtlichen Exkursion in das nördliche Ostdeutschland verbunden.
Überaus herzlich war zum Auftakt der Konferenz die Begrüßung der Teilnehmer durch die Vizepräsidentin der Staatlichen Universität in Königsberg Prof. Dr. Vera Sabotkina. Diese Universität hält die deutsche Tradition auch im Universitätsgebäude durch zahlreiche eindrucksvolle Hinweise auf die deutsche Vergangenheit hoch.
Die Vorträge des ersten Tagungsteils hatten die Zielsetzung, Einblicke zu gewinnen, in welch vielfältiger Weise geschichtliche Ereignisse des Ostseeraumes ihren Niederschlag in der Literatur des 20. Jahrhunderts finden. Ein besonderer Reiz lag darin, daß mit Königsberg ein Tagungsort gewählt wurde, der sich gleich in mehrfacher Hinsicht anbot: Die historisch bedeutsame Vergangenheit der Stadt schuf die angemessene Atmosphäre. Zudem öffnet sich das Königsberger Gebiet jetzt auch geistig zunehmend gegenüber seinen Nachbarn. Insofern besaß die gut besuchte Veranstaltung im großen Konferenzsaal der Universität in der gegenwärtigen Situation nahezu Signalwirkung. Gewonnen werden konnten für die Literatur- und Geschichtstagung 18 ausgewiesene deutsche, russische, polnische und irische Referenten.
Die Tagung wurde mit einem grundsätzlichen Referat von Prof. Dr. Hans Rothe von der Universität Bonn darüber eröffnet, wie deutsche Kultur und Gelehrsamkeit vom 18. bis zum 20. Jahrhundert über die Ostsee Einfluß auf russisches Denken genommen haben. Hieran schlossen sich die faszinierenden Ausführungen von Prof. Dr. Helmut Jenkis von der Universität Dortmund an, der über die Bedeutung des Verlages Gräfe und Unzer als geistiger Ausstrahlungsort des Ostseeraumes sprach. Prof. Dr. Anatolij Lyskov von der Universität Königsberg setzte sich mit der Kulturphilophie von Nikolaj Arsenjew auseinander, der als russischer Emigrant bis 1945 an der Albertina unterrichtete. Über das Geschichtsverständnis des Rigaer Schriftstellers Valentin Pikul berichtete Prof. Dr. Jenny Salkova von der Universität Königsberg. Pikul ging es darum, auf faktischer Grundlage eine Revision jener historischen Vorstellungen zu erreichen, die bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion aus ideologischen Gründen diktiert wurden. Vier weitere Vorträge waren der Beziehung Hans Friedrich Bluncks zum Ostseeraum gewidmet, zwei setzten sich mit Agnes Miegel auseinander und wiederum zwei weitere beschäftigten sich mit Johannes Bobrowski. Weiterhin wurde das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart im Werk Arno Surminskis analysiert und dem Erbe pommerscher Literatur im heutigen Polen nachgegangen. Aufschlußreich war auch die systematische Analyse der Lyrik Tamara Ehlerts durch die russische Doktorandin Natalia Danilouk. Auch vor schmerzhaften Themen wurde nicht halt gemacht. Philipp B. Donath sprach über "Die Ostsee wurde zum Meer der Tränen: Flucht und Vertreibung aus Pommern und Ostdeutschland - reales Erleben und literarische Gestaltung".
Mit dieser Tagung wurde ein erster Versuch unternommen, das Thema aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Die Teilnehmer waren sich über den großen Erkenntniswert dieser Unternehmung einig. Der geistige Gewinn dieser Tagung sollte dazu ermutigen, weitere Veranstaltungen dieser Art durchzuführen. Vielleicht mag auch die Veröffentlichung aller Vorträge in einem Tagungsband, der demnächst erscheinen wird, dazu anregen.
Durch die facettenreichen Vorträge des ersten Teils der Veranstaltung auf Ostdeutschland eingestimmt, nahmen die deutschen und russischen Teilnehmer die Informationen über das nördliche Ostdeutschland, seine Frühgeschichte und seine einstmaligen Kunstschätze - wie sie nicht mehr vielen bekannt sind - mit wachen Augen auf.
Die Exkursion führte von Höhepunkt zu Höhepunkt und ließ deutlich werden, daß das nördliche Ostdeutschland auch heute noch eine Fundgrube auch für prähistorische Bauten und imposante Befestigungs- und Verteidigungsanlagen der letzten Jahrhunderte ist, in denen Prussen, Preußen und Deutsche dem Land seinen Stempel aufdrückten.
Glanzpunkte der Besichtigungen bildeten zweifellos der äußerlich weitgehend wieder hergestellte Dom in Königsberg mit dem eindrucksvollen Kant-Museum, die freigelegten Grundmauern des Königsberger Schlosses und der Krönungskirche sowie das ausgezeichnet gestaltete Historisch-Archäologische Museum, dessen Sammlungen wohl zu einem Drittel aus dem ehemaligen Prussia-Museum im Schloß stammen. Einen weiteren Höhepunkt stellte der im Rahmen der landeskundlichen Exkursion erfolgte Besuch der Kirche in Arnau dar. Diese Kirche mit ihrem sehr seltenen und noch sehr gut erhaltenen Sterngewölbe gehört zu den ältesten und bedeutendsten Bauten, die alle unübersehbar an die deutsche Kultur und die tausendjährige deutsche Geschichte Ostdeutschlands erinnern. Denkt man an den verheerenden Zustand der Kirchen im nördlichen Ostdeutschland, dann kann die Aufbau-Initiative Arnau gar nicht hoch genug gelobt werden. Im Zusammenhang mit Arnau darf der Reformer Theodor von Schön, Oberpräsident von West- und Ostdeutschland sowie maßgeblicher Beförderer der Bauernbefreiung nicht unerwähnt bleiben. Gleiches gilt für das nahe gelegene prähistorische Gräberfeld, eine prussische Fliehburg und eine Verteidigungsanlage des deutschen Ritterordens.
Eindrucksvoll auch die Kirchen von Kumehnen und Pobethen, die ebenfalls Kreuz- und Tonnengewölbe enthalten sowie zum Teil noch erhaltene Wandmalereien.
Die abseits und versteckt liegenden und deshalb nicht immer leicht zugänglichen Prussenburgen und prähistorischen Siedlungen von Wargen, Mednicken und Medenau, von Schaaken, Eisselbitten, Langendorf und vielen Orten mehr, deren oft nur spärlich erhaltene Mauerreste auch heute noch Zeugen einer großen prussischen und preußisch-deutschen Vergangenheit im Osten Deutschlands sind, ließen erahnen, welche Bedeutung dieses Land am Rande des Reiches immer hatte.
Zu einem besonderen Ereignis wurde der Besuch des Hauses der Begegnung (Samland-Haus) in Tapiau, wo gerade die Ausstellung "Landwirtschaft Ostdeutschlands" im Beisein zahlreicher rußlanddeutscher Familien eröffnet wurde. Bewundernswert ist der Überlebenswille der im Königsberger Gebiet verbliebenen Deutschen, wie er in vielen Gesprächen zum Ausdruck kam. Hier wäre nachhaltige Unterstützung angebracht.
Selbstverständlich gehörten zu dem Programm auch der Besuch von Palmnicken und des dortigen Bernsteinmuseums, Ausflüge nach Rossitten, Rauschen, Pillau und nach Tilsit zur Königin-Louise-Brücke, die heute Zollgrenze zur Republik Litauen ist, sowie zu dem immer mehr verfallenden, bis zum Kriegs-ende unzerstörten Ordensschloß in Ragnit.
Jeder Ostdeutschlandreisende ist jedesmal aufs Neue erschüttert beim Anblick des Zustandes der einstigen Kornkammer des Deutschen Reiches, eines Landes, das mehr und mehr versteppt und das kaum noch an die einstige Schönheit erinnert. Ein Schandfleck mitten in Europa, über den bewußt hinweggesehen wird. Umso bewundernswerter ist der mit Unterstützung des Vereins "Aufbau Bernsteinland Ostdeutschland" unternommene Versuch, in Patershof bei Paterswalde vor allem mit rußlanddeutschen Familien wieder eine ertragbringende Landwirtschaft aufzubauen. Es gehören sehr viel Mut und ein überaus großes Maß an Einsatzbereitschaft dazu, den über Jahrzehnte vernachlässigten Boden wieder urbar zu machen. Von den ersten Erfolgen zeugt die zwar noch in bescheidenen Anfängen steckende, aber doch bereits recht gut funktionierende Haltung von Hühnern, derzeit immerhin schon mit der stattlichen Zahl von 300! Dank der Unterstützung insbesondere von Bernsteinland kommen hier auch schon moderne landwirtschaftliche Maschinen zum Einsatz. Der Ernteertrag war allerdings in diesem Jahr so schlecht, daß das geplante Erntedankfest ausfallen mußte. Diese punktuellen Hilfen sind hoch zu bewerten, aber sind doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, solange die Politik sich nicht der Pflichten und der Verantwortung bewußt wird, die dieses Land uns auferlegt.
Aber es gibt im fernen Ostdeutschland auch Dinge, die das Herz jedes Besuchers, der auf den Spuren der Vergangenheit wandelt, höher schlagen lassen: die alten Eichenalleen, die den Krieg meist unbeschadet überstanden haben, und der Himmel ist immer noch so blau, wie er in der Erinnerung fortlebt. Die Wolken sind nirgendwo so schön wie in Ostdeutschland. Die Luft wirkt immer noch wie Champagner. Und die Dünen und der Strand haben sich ihre Einmaligkeit bewahrt. Versöhnlich stimmen auch die Soldatenfriedhöfe, die sehr gepflegt sind. Manche deutsche Grabplatte zeugt von der ruhmreichen deutschen Vergangenheit. Dankbarkeit erfüllt die Besucher auf dem Gedenkfriedhof von Germau, wo zu lesen ist: "In diesem Gräberfeld ruhen deutsche Soldaten. Gedenket ihrer und der Opfer aller Kriege. Viele Tote blieben unbekannt." Gewiß, auch auf den deutschen Friedhöfen ist manche Schandtat begangen worden, aber die Anlagen heben sich wohltuend ab von denen mancher osteuropäischer Nachbarstaaten. Deutlich sichtbar wird hier der beiderseitige Wunsch nach Verständigung und auch nach Versöhnung.
Aufgeschlossenheit für das Deutsche und den Wunsch nach Kontakte bewiesen auch die Mitglieder des Königsberger Dom-Chores, des Chores der E.T.A. Hoffmann-Musikschule und die Königsberger Grillen vom Krankenhaus Barmherzigkeit mit ihren zum Rahmenprogramm gehörenden musikalischen Vorträgen. Vornehmlich trugen sie Volkslieder vor und diese überwiegend in deutscher Sprache.
Und so hat diese Zusammenkunft, wie es in der Einleitung der Tagungsbroschüre heißt, "dem gegenseitigen Verständnis und der Freundschaft der Menschen, die der Ostsee und dem baltischen Raum in so vielfältiger Weise verbunden sind", gewiß vorbildlich gedient.
Das vorzügliche Gelingen der zehntägigen Veranstaltung ist Dr. Walter T. Rix, Kiel, Prof. Dr. Günter Brilla, Bonn, Anatolij Walujew, Dr. Wilhelm Reimchen und schließlich auch der Universität in Königsberg zu danken. Eine Fortsetzung würde den so erfolgreich begonnenen Dialog und das Verständnis für einander verstärken. R./L.
Konferenzsaal in der Universität Königsberg: Hinter dem Katheder waltet der Leiter des Literatur- und Geschichtsseminars Dr. Walter T. Rix souverän und gestenreich seines Amtes |
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