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Und keiner gebietet Einhalt

 
     
 
Durch falsche Diplomatie verhindert die EU eine Besserung der Lage in Nordkorea. Pierre Rigoulot, renommierter französischer Autor und Sachverständiger für Nordkorea, sieht vor allem verpaßte Chancen, wenn es darum geht, den Konflikt in der Region zu bewältigen. In seinem Ende Juli bei Kiepenheuer und Witsch erscheinenden Buch "Co- rée du Nord: Etat voyou" (Nordkorea
: ein Schurkenstaat) hat er sich intensiv mit Nordkoreas Si- tuation auseinandergesetzt. Wir trafen den Autor in Paris.

Pierre Rigoulot befaßt sich seit fünfzehn Jahren mit Nordkorea und ist unter anderem der Verfasser des im "Schwarzbuch des Kommunismus" (erschienen bei Piper) enthaltenen Kapitels über die stalinistische Diktatur. Hauptberuflich ist er der Leiter des "Institut d Histoire Sociale" (Institut für Sozialgeschichte), das die Vergangenheit der Arbeiterbewegung durchforscht. Zugleich ist er der Herausgeber der "Lettre de Corée", eines im Internet zu lesenden Informationsdienstes.

Abgesehen von Japan hätten seiner Meinung nach zwei Großmächte, die Volksrepublik China und die USA, Interesse an einer friedlichen Lösung des koreanischen Problems. Daß Rußland, dessen Diplomaten sich seit September letzten Jahres, das heißt seit der Wiederbelebung des koreanischen Problems, sein Möglichstes tut, um die Krise zu beruhigen, bezweifelt Rigoulot. Aufgrund jahrzehn- telanger Verknüpfungen in Industrie und Handel verfüge Moskau über einen echten Wirtschaftshebel, den es bisher bei den Verhandlungen jedoch nie einzusetzen gedachte.

Seitdem Washington sich über den Bau von Atomwaffen durch Pjöngjang verstimmt gezeigt hat, ist China an die Stelle der Vereinigten Staaten als größter Erdölliefrerant getreten. Nach Ansicht Rigoulots toleriert auch Peking derzeit den Handel von sensiblen Erzeugnissen, die den Bau von Atomwaffen ermöglichen. Dem Willen Nordkoreas, über Atomwaffen zu verfügen, stünden die Chinesen hingegen skeptisch gegenüber, denn sie fürchteten vor allem, daß auch Japan, falls dessen Sicherheit durch Nordkorea bedroht wäre, Atomwaffen bauen würde. Insofern sei Peking an multilateralen Gesprächen mit Washington interessiert, um eine Destabilisierung Südostasiens zu verhindern.

Pierre Rigoulot erwartet von den USA gegenwärtig keine durchgreifenden Initiativen in bezug auf die gespannte Lage zwischen Seoul und Pjöngjang. Washington sei zur Zeit zu sehr mit dem Irak und der Vorbereitung der amerikanischen Präsidentschaftswahl von 2004 beschäftigt, um etwas Konkretes in Korea zu unternehmen. Anzeichen ließen allerdings vermuten, daß Washington sich auf eine diplomatische Offensive vorbereite. Beispielsweise habe das US-Außenministerium erreicht, daß nordkoreanische Diplomaten, die regelmäßig in Drogen- und Falschmünzenhandel verwickelt werden, sorgfältiger beobachtet würden. Für Washington ginge es nun darum, die Finanzquellen des nordkoreanischen Regimes zu prüfen und zu kontrollieren. Zudem bemühe die ameri- kanische Verwaltung sich gegenwärtig darum, die Menschenrechtsverletzungen von Pjöngjang zu beleuchten, indem Flüchtlinge aus Nordkorea sich jenseits des Atlantik zu Wort melden können.

Abgesehen von Frankreich und Irland unterhalten sämtliche EU-Staaten diplomatische Beziehungen mit Nordkorea, und die Brüsseler Kommission hilft Nordkorea sowohl finanziell als auch durch Lieferung von Lebensmitteln. Nach Rigoulots Einschätzung fehlt es an "Vorstellungskraft" bei der EU-Diplomatie, wenn es um die Brisanz der Entwicklungen in Nordkorea geht. Diese Diplomatie gegenüber Pjöngjang sei allzusehr einseitig und blind. Durch ihren Willen, allein im humanitären Bereich tätig zu sein, verfehle die EU ihre Mission in Nordkorea, die darin bestünde, die gröbsten Menschenrechtsverletzungen durch die nordkoreanischen Machthaber zu unterbinden. Die EU könne zumindestens verlangen, daß keine Kinder mehr in den Konzentrationslagern des Regimes sitzen und das berüchtigte Lager von Yodok, wo die Familien der Dissidenten inhaftiert würden, geschlossen wird. Laut Rigoulot betreibt die EU in Nordkorea eine Einbahnstraßenpolitik, ohne etwas als Gegenleistung für die gewährte Hilfe zu verlangen.
 
     
     
 
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