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Ursprüngliche Formen

 
     
 
Verehrt hat Jan Holschuh den Bernstein schon immer; und das begann in der Metropole der Elfenbeinschnitzerei, in Erbach im Odenwald, wo er in Beerfelden am 9. August 1909 geboren wurde. - Nach seiner Ausbildung an der traditionsreichen Fachschule für Elfenbeinschnitzerei (gegr. 1892), ging er 1927 nach Königsberg an die Kunst- und Gewerkschule, wo er Schüler des Bildhauers Andreas Threyne (1888-1965) und des Graphikers Ernst Grün (1890-1965) wurde. Für eine in Königsberg entstandene Bernsteinskulptur eines Eisbären erhielt er - zwanzig Jahre alt - bereits einen Grand Prix bei der Weltausstellung 1929 in Barcelona. Er verließ Königsberg 1931 und ging bis 1933 nach Weimar
auf die dortige Hochschule für bildende Kunst, zu dem Graphiker Klemm und dem Bildhauer Nick.

Holschuhs Fähigkeiten hatten 1933 den Ausschlag gegeben, ihm die Anstellung als künstlerischem Leiter und Entwerfer in der "Staatlichen Bernsteinmanufaktur" in Königsberg anzutragen. Er wurde damit Nachfolger von Hermann Brachert (1890-1972), des Bildhauers und Professors an der Kunst- und Gewerkschule, der diese Aufgabe seit 1930 übernommen hatte. Ein Jahr später wurde Holschuh noch zusätzlich zum Leiter der "Bernsteinklasse" der Kunst- und Gewerkschule berufen. Nur zweimal stellte er in den Kunstausstellungen des Königsberger Kunstvereins aus; das erste mal 1935 in der 63. Kunstausstellung eine Plastik "Kauernde". 1936 erhielt er für Bernsteinarbeiten einen zweiten Grand Prix bei der Weltausstellung in Paris. In dem Buch "Ostdeutsches Kunstschaffen der Gegenwart" (Königsberg 1938) werden drei Auftragsarbeiten von Holschuh gezeigt, die in zeitgenössischer Mosaiktechnik ausgeführt sind: "Großer Preis" (Stab, Silber und Bernstein), "Turnierwoche Insterburg - Trakehnen" (Teller, Bernstein) und "Deutsche Skimeisterschaften, Altenburg 1937" (Teller, Holz und Bernstein) sowie eine Arbeit seiner Bernsteinklasse.

Die mit Bernstein arbeitenden Künstler in Königsberg regten sich gegenseitig an. Unter ihnen war die 1896 in Wormditt geborene Toni Koy, eine Gold- und Silberschmiedin, am stärksten auf der Suche nach erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten. Sie hatte sich 1921 in Königsberg selbständig gemacht und war in Künstlerkreisen zu Hause. Auch die Bildhauer Hans Wissel (1897-1948) und Hermann Brachert (1890-1972) schufen Entwürfe für Bernsteinarbeiten, die in der handwerklichen Ausführung neue Wege suchten. Seine Kollegen an der Kunst- und Gewerkschule waren außer Threyne und Grün, die Architekten Edmund May (1876-1956) und Martin Stallmann (1889-1983) sowie der Bildhauer Erich Schmidt-Kestner (1877-1941), der 1935 zu der Kunstgewerkschule nach Kassel wechselte. An der Kunstakademie, ab 1933 "Staatliche Meisterateliers für die bildende Kunst", lehrte als Bildhauer Stanislaus Cauer (1867-1943), der, 1907 nach Königsberg berufen, weit über die Grenzen der Stadt und des Landes bekannt war. Mühlpfordt führt unter den Königsberger Bildhauern dieser Zeit dreißig weitere auf, unter denen das Ehepaar Steiner, Margarete Stepath, Eduard Kado, Georg Fuhg, Walter Rosenberg, Ernst Filitz, Wilhelm Dumpis, Rudolf Daudert und Martha Degen wohl die bekanntesten sind. Sie alle bildeten das Umfeld, in dem Holschuh arbeitete und beurteilt wurde und in dem Anregungen ausgetauscht wurden.

Im Jahr 1941 nimmt Holschuh ein zweites Mal an einer großen Kunstausstellung des Kunstvereins Königsberg teil und stellt außer zwei Gipsarbeiten, einem "Kinderköpfchen" und einem "Soldatenkopf" die Bernsteinarbeit "Hans Sagan" aus. Mit diesem sagenumwobenen Königsberger Schustergesellen "Hans Sagan", der 1370 bei Rudau (nahe Königsberg) durch sein Verhalten das Kriegsglück in einer Schlacht gegen die Litauer wendete, wählt Holschuh ein Thema, das mit der Geschichte der Stadt eng verknüpft ist. Diese Ausstellung im Jahr 1941 beschickte er als Soldat, zu denen er bereits seit zwei Jahren eingezogen war. 1946 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Seine Frau war im Januar 1945 aus Königsberg, ihrer Geburtsstadt, mit einer Tochter geflohen; die zweite Tochter wurde auf der Flucht geboren. Die Arbeiten ihres Mannes hatte sie in Königsberg zurückgelassen. In Augsburg und ab 1950 in Erbach begann der Neuanfang der Familie.

Der künstlerische Weg von Jan Holschuh hatte in Königsberg mit der intensiven Beschäftigung mit dem Bernstein in Königsberg begonnen, als er empfindsam die Entstehung der Formen und Farben bis hin zu den Krusten mit Spuren der blauen Erde bewunderte. Und er protestierte im Stillen "gegen das sinnlose Zersägen gewachsener und gewordener Gestalten", die er später im "offenen" Protest zu Kleinplastiken so bearbeitete, daß ihre ursprünglichen Formen noch zu erkennen und nachzuvollziehen waren. Von den kleinen so typischen Bernsteinplastiken der Königsberger Zeit ist nur wenig gerettet, seine persönlich geschaffenen Bernsteinarbeiten sind verschollen und eine Anzahl von Gemmen verbrannte in Königsberg.

Die Ehrfurcht vor der so vielfältigen Gestalt des Bernstein ließ ihn dann in Erbach den Werkstoff Elfenbein wieder neu entdecken und er gab diese Empfindsamkeit an seine Schüler weiter. Jan Holschuh hat in Erbach viel bewirkt. Er hatte die Vorstellung zur Errichtung eines Elfenbeinmuseums engagiert vorgetragen, die dann auch 1966 verwirklicht wurde. Auf ihn ging auch der ab 1983 für die Laufzeit von zehn Jahren vom Deutschen Elfenbeinmuseum durchgeführte "Internationale Wettbewerb" zurück. Diese Wettbewerbe wurden jeweils mit einem Thema beschrieben, das zur Verwendung verschiedenster Materialien anregte und in Kleinplastiken ihre Gestaltung fand.

Holschuhs Königsberger Künstlerumkreis war als räumliche Nachbarschaft zerstört, aber er stand diesen in alle Winde zerstreuten Künstlern nahe und suchte ihre Nähe in der "Künstlergilde" in Eßlingen. Als Mitglied der "Nordostdeutschen Künstler-Einung" in Lüneburg fand er einige Königsberger Weggefährten wieder und stellte mit ihnen 1954 in Recklinghausen und Lüneburg aus und 1958 in Berlin. Noch bevor diese Künstlereinung im Februar 1952 gegründet worden war, hatten ostdeutsche Künstler "von Danzig bis Memel" in Marburg 1951 mit dem Universitätsmuseum eine große Ausstellung durchgeführt, auf der Holschuh zwei "Liegende" in Stukko, ein Madonna-Relief und ein Triptychon "Verkündung - Geburt - Flucht" aus Gips einlieferte. Dieses Triptychon ist sicherlich entstanden im Gedenken an das Inferno, das Königsberg erlebte und das seine Frau schildern konnte. In Recklinghausen (März 1954) zeigte er "Fischerfrauen" (Gips für Eisen), eine Bronze "Knieende", drei Reliefe in Bronze "Flötenspielerin", "Liegende" und "Allmutter Erde", eine Arbeit in Alabaster "Susan" und ein "Mädchenbildnis" in Elfenbein, das im Katalog abgebildet ist. In der Ausstellung in Lüneburg (Mai/Juni 1954) kamen die Arbeiten "Torso" aus Gips, "Torso" aus Elfenbein und ein Bronzerelief "Frauen im Boot" hinzu. In Berlin (November 1958) stellte Holschuh ein "Menschenpaar" als Holzplastik sowie zwei Arbeiten in Elfenbein "Mädchenkopf" und "Sitzende" aus.

In Holschuhs Erbacher Zeit an der Fachschule (1950-1978) war das Elfenbein der traditionelle Werkstoff und nicht der Bernstein. Es zeichnete sich schon Jahre vor dem 1989 in Kraft getretenen Welthandelsverbot mit Elfenbein ab, daß er nicht weiter unbefangen zur Herstellung von Kunst und kunstgewerblichen Arbeiten verwendet werden konnte. Der Erbacher "Internationale Wettbewerb" (1983-1992) nahm dann auch bald in seiner Ausschreibung darauf Rücksicht und brachte eine große Belebung in die Materialwahl der eingereichten Kleinplastiken. So ist zu verstehen, daß Holschuh sich dem Bernstein seit 1984 wieder zuwandte. Seit dieser Zeit hat er eine Vielzahl hervorragender Arbeiten gestaltet. Die Ausstellung "Jan Holschuh - Bernstein 89" zeigte aus Anlaß seines 80. Geburtstags im Deutschen Elfenbeinmuseum das künstlerische Ergebnis von Holschuhs Bemühungen, seine durch das Kriegsende unterbrochene Entwicklung der dreißiger und vierziger Jahre in Königsberg fortzuführen.

Nun werden Holschuhs Arbeiten aus der Zeit nach 1984 in einer Dauerausstellung gezeigt im "Deutschen Bernsteinmuseum" in Ribnitz-Damgarten. Die älteren Arbeiten aus der Königsberger Zeit sind im Deutschen Elfenbeinmuseum in Erbach ausgestellt und ein kleiner Teil seiner Arbeiten nach 1984 ist im Odenwaldmuseum in Michelstadt zu sehen.

Jan Holschuh starb am 2. August 2000 in Erbach. Er hat viele hohe Ehrungen erfahren. Seine Verdienste liegen in der konsequenten Berücksichtigung der gewachsenen Struktur des von der Natur geformten Materials Holz, Elfenbein und Bernstein bei der künstlerischen Bearbeitung. Diese Grundhaltung führte in seinem Alterswerk zu weitgehender Abstraktion seiner Arbeiten. Für das behutsame Bearbeiten des Materials und Entwickeln der Gestaltung zu werben war sein Ziel bei seinen Schülern, Mäzenen und den Organisatoren und Trägern öffentlicher Einrichtungen. Ein Werkverzeichnis der Arbeiten von Jan Holschuh ist bisher nicht erschienen. Rudolf Meyer-Bremen

Jan Holschuh: Gold von den Bäumen Foto: Katalog Erbach/Odenwald
 
     
     
 
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