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Von Brüssel getrieben

 
     
 
Die EU, genauer die EU-Gesundheitskommission, sorgt wieder einmal für politischen Sprengstoff in Berlin, treibt die Bundesregierung mit einer Richtlinie zum Verbot von Tabakwerbung in Deutschland vor sich her. Sie greift damit tief in nationale Kompetenzen ein. Ein seit Jahren anhaltender Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) droht zuungunsten des Klägers Bundesrepublik auszugehen. Deutschland klagte, weil die EU keine Richtlinienkompetenz für Gesundheit hat, ihr Kommissar David Byrne jedoch ein Werbeverbot für Tabak in Deutschland durchsetzen wollte. Tatsächlich steht der deutsche Gesetzgeber moralisch in der Rolle des Angeklagten da. Dabei geht es letztlich um politische Kompetenz, Entscheidungsmacht und die Frage, was der Nationalstaat noch selbst regeln darf. 2003 hatte Brüssel gegen bestehende Zuständigkeiten Tabakwerbung verboten, Deutschland hatte geklagt und knickt nun – eine Niederlage, ablesbar an den Aussagen des EU-Generalanwalts, vor Augen – ein.

Raucher können nicht mehr mit Verständnis rechnen. Diese vordergründige Botschaft aus Brüssel kommt an. Der Gesundheitskommission geht es darum, Deutschland als letztes Land ohne ausdrücklichen gesetzlichen Nichtraucherschutz zu disziplinieren. Das Mittel dazu allerdings ist äußerst zweifelhaft. Der Europäische Gerichtshof steht in einem Gerichtsverfahren offenbar davor, auf Initiative der EU-Gesundheitskommission Tabakwerbung endgültig zu verbannen. Das mag man inhaltlich bedauern oder nicht – die politische Unart, wie Brüssel sich seine heile Verbraucherwelt erzwingt, birgt Zündstoff.

„Wir werden demnächst einen nationalen Gesetzentwurf zum Werbeverbot auf den Weg bringen“, sagte ein Sprecher des Bundesverbraucherministeriums am vorvergangenen Dienstag. So solle weiteres „Kompetenzgerangel zwischen Berlin und Brüssel“ vermieden werden, hieß es aus dem Ministerium. Genau darum geht es der Bundesregierung bei ihrem derzeitigen vorauseilenden Gesetzesvorhaben: Niemand soll mitbekommen, daß die Brüsseler Wettbewerbshüter für die allgemeine Verbotsfrage nicht zuständig sind.

Deutschland ist offiziell noch Kläger gegen diese ausufernde EU-Regulierung in einem bisher EU-fremden Bereich, bereitet aber schon gehorsam eine nationale Verordnung nach Brüsseler Wünschen vor. Selbst wenn Berlin recht bekommt, soll es nach Verbraucherschutzminister Seehofer beim Brüsseler Willen bleiben. Bis wann ein deutsches Gesetz Tabakwerbung verbietet, ist noch offen. Der Eindruck jeglicher EU-Überregulierung soll in Zeiten, da Merkel mit einem neuen EU-Verfassungsanlauf flirtet, nicht aufkommen.

Daß das bürokratische Europa schlicht nicht zuständig ist, war nämlich vor Jahren höchstrichterlich vom Europäischen Gerichtshof festgestellt worden. Ein gerade erst im Jahr 2000 gefälltes Urteil wurde nun unterlaufen. Die Bundesrepublik Deutschland droht nach ihrer erfolgreichen Klage gegen ein EU-Tabakwerbeverbot 2000 diesmal mit ihrer Klage gegen die Anmaßungen der europäischen Tugendwächter zu scheitern. Die Parallele zum EU-Verfassungsprojekt ist erstaunlich: Auch der EU-Regulierungsfeldzug gegen das Rauchen ist eigentlich gescheitert, und doch machen die Befürworter in diesem Fall sogar gegen höchstrichterliches Votum weiter, solange bis das Ergebnis zu ihren Gunsten ausfällt. Für den Gesundheitsschutz seien die nationalen Regierungen zuständig, beschloß 2000 der EuGH. Das soll nun nicht mehr gelten, glaubt man dem EU-Generalanwalt Philippe Léger. Er empfahl, die deutsche Klage gegen das von der EU angestrebte Tabakwerbeverbot zurückzuweisen. Und der Stimme des Anwalts folgt das Gericht meist. Sein Argument: Es gelte einer „Fragmentierung des Binnenmarktes“ entgegenzuwirken.

Die eigentlich treibende Kraft ist jedoch der Ire David Byrne, bis November 2004 EU-Gesundheitskommissar. Im damaligen EuGH-Urteil hieß es, ein Werbeverbot sei „unverhältnismäßig“, Brüssel überschreite seine Kompetenzen. Doch Byrne bohrte weiter, nutzte eine Schwachstelle in der Argumentation der Richter. In der weit auslegbaren Grauzone der „Wettbewerbsverzerrung“ liegt nämlich die wahre Macht der Brüsseler Kommissare. Liegt sie vor, dürfen sie einschreiten. Byrne besann sich im Mai 2003 mit einer neuen Richtlinie auf diese Weisheit, der EuGH leistete mit seinem 2000er-Urteil Schützenhilfe. Auch im Gesundheitsschutz könne die EU aktiv werden, wenn der Wettbewerb gefährdet sei, so die Richter. Für Léger wiederum seien der „grenzüberschreitende Handel mit Presseerzeugnissen sowie grenzüberschreitende Rundfunkübertragungen“ nur mit der Brüsseler Richtlinie „weiter zu gewährleisten“. Unterschiede bei der Tabakwerbung gefährden also den Rundfunkempfang (in ihm darf nach deutschem Recht Tabakwerbung gar nicht vorkommen), machen das Lesen deutscher Zeitungen im Ausland unmöglich – eine fadenscheinige Argumentation, denn der grenzüberschreitende Handel ist gering. Doch es scheint längst nicht mehr um Argumente zu gehen. Bereits Rot-Grün legte seinerzeit nur halbherzig Protest gegen Byrnes Pläne vor Gericht ein. Die nationalen Vorschläge für Nichtraucherschutz, die Gesetzesinitiativen der 90er Jahre, wurden nie umgesetzt. Zu festgefahren schien auch Brüssel die deutsche Politik – darum entschied Byrne, sein Lieblingsthema auch gegen geltende Aufgabenverteilung der Bundesrepublik aufzuzwingen.

Graswurzelbürokratie mag man die neue EU-Strategie nennen. Der Getriebene ohne eigene Entscheidungskompetenz ist ausgemacht: Schließlich sei Deutschland ganz hinten im Nichtraucherschutz und müsse europäisch abgestraft werden, so der Tenor von Europaabgeordneten. Was Wettbewerb ist, bestimmen allerdings nicht sie als gewählte Parlamentarier, sondern die Hüter in den Kommissionen. Im Zweifelsfall alles, heißt deren Botschaft. Wer dann das Gesetz ausführt, ist unerheblich – tatsächlich hat Brüssel längst Einfluß auf Bereiche, von denen es bisher aus gutem Grund ausgeschlossen war.

Die für deutsche Arbeitsplätze verheerende europäische Dienstleistungsrichtlinie hat gezeigt, warum der Arbeitsmarkt bisher Sache der Nationalstaaten war und es besser auch geblieben wäre. Nun hat die EU also auch die Gesundheit an sich gerissen.
 
     
     
 
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