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Im Gefolge der Wahl Horst Köhlers zum neuen Bundespräsidenten wurde in den letzten Wochen wiederholt auf die Herkunft seiner Eltern aus Bessarabien hingewiesen.
Zwar geschah dies in der Regel beiläufig, aber immerhin: die deutschen Spuren in Bessarabien (heute: Republik Moldawien) fanden Erwähnung und wecken bei dem ein oder anderen vielleicht Interesse für das reiche kulturelle Erbe deutscher Landsleute in allen Teilen des östlichen Europas.
Dieses Erbe stärker ins Bewußtsein zu rufen, sollte zu den wichtigen Aufgaben deutscher Politik der nächsten Jahren gehören. In den meisten Regionen ist die Erinnerung an die einstigen deutschen Siedler und ihre kulturelle Prägekraft durchaus positiv und erfreut sich seit dem Umbruch von 1989 einer wachsenden Aufmerksamkeit bei den heute vor Ort lebenden Menschen. Dieses Interesse wiederum kann auch als Bindeglied für die zwischenstaatlichen Beziehungen mit Deutschland nutzbar gemacht werden.
Bessarabien zählt zu den vielen möglichen Ansatzpunkten einer solchen kulturgeschichtlichen nationalen Außenpolitik, ein anderer ist das ebenfalls stark von Rumänien beeinflußte Buchenland (Bukowina). MS
Die auf einer Anhöhe am rechten Ufer des Pruth gelegene Stadt Czernowitz beherbergte einst die östlichste deutschsprachige Universität, und auf der Bühne des Stadttheaters sprach und sang man ebenfalls auf deutsch.
Dabei waren die Deutschen in der Bukowina - zu deutsch Buchenland -, deren alte Hauptstadt Czernowitz ist, stets nur eine Minderheit. Sie kamen bei der Volkszählung von 1910 mit 168 000 Personen auf 21,2 Prozent der Bevölkerung, wobei die 13 Prozent der sich zum Deutschtum bekennenden Juden mitgerechnet waren. Die Deutschen rangierten nach den Ukrainern (305 000 bzw. 38,4 Prozent) und den Rumänen (273 000 bzw. 34,4 Prozent) an dritter Stelle.
Nachdem die Bukowina 1919 an Rumänien gefallen war, das sich nach französischem Vorbild als zentralistischer Nationalstaat verstand, büßten sie ihre kulturell prägende Kraft ein und zogen sich auf ihre Vereine und sonstigen Institutionen zurück.
Zu diesem Thema sprach unlängst Ortfried Kotzian im Rahmen einer Vortragsreihe, die das von ihm geleitete Münchner Haus des Deutschen Ostens unter dem Motto "Bayerns Bevölkerung stammt auch aus dem Osten" in München, Nürnberg und Traunreut veranstaltet.
Die Bukowina, die südöstlich an Galizien anschließt und als der nördliche Teil der Moldau die Nordostkarpaten und deren Vorland einnimmt, war 1775 im Zuge der Ausbreitung Rußlands und Österreichs im Balkanraum auf Kosten der Türkei österreichisch geworden.
Um dem unter geostrategischen Gesichtspunkten erworbenen Land aus seiner großen Armut und Rückständigkeit zu helfen, betrieb Kaiser Josef II. die Besetzung mit deutschen Siedlern. Nach Kotzian ging die Besiedlung in vier Schritten vor sich. In die Zeit zwischen 1786 und 1805 fällt die Schwabensiedlung, das heißt die Ansetzung von Pfälzern, Lothringern, Elsässern und Badenern sowie Mosel- und Mainfranken, Gemüsebauern, mehrheitlich evangelisch, in schon vorhandenen Ortschaften.
Zwischen 1800 und 1814 kamen Deutsch-Böhmen aus dem Böhmerwald sowie Nord- und Ostböhmen hinzu, Waldarbeiter, Glasmacher und Kleinbauern, die selbst Ortschaften gründeten, die hinfort meist rein deutsch blieben.
Im Zeitraum von 1815 bis 1830 wanderten in die Bukowiner Karpatenregion, wo Eisenerz-, Kupfer- und Manganvorkommen entdeckt worden waren, Bergleute aus der oberungarischen Zips ein. Und schließlich waren es Militärs, Ärzte, Lehrer, Beamte und sonstige Fachleute, die die deutsche Population in den Städten bildeten.
Der Erfolg war durchschlagend. Hatte die Einwohnerzahl 1780 noch 79 500 betragen, so waren es im Jahr 1910 bereits 795 000. Zu Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung jährlich um mehr als ein Prozent.
Wie der Referent betonte, hat es in der Bukowina, seit 1849 selbständiges österreichisches Kronland, keine ethnischen Gegensätze gegeben. Die Volksgruppen - es gab auch die der Polen (4,6 Prozent) und der Slowaken (1,2 Prozent) sowie kleinere Minderheiten - hätten freilich "in der Trennung zusammengelebt"; es habe also bei allem nationalen (und sozialen) Frieden im Kronland keine integrierte Gesellschaft gegeben.
Kotzian verwies auf das Volksschulwesen, das mitunter fünf-, in der Masse jedoch dreisprachig gewesen sei; erst im höheren Schulwesen habe es eine Trennung gegeben. Er erinnerte zudem an den Bukowiner Ausgleich von 1909/10, durch den die Nationalitäten im - übrigens mehrsprachigen - Landtag eine angemessene nationale Repräsentation erhielten.
An die Stelle dieses "bunten Bildes", wie Kotzian es nannte, traten in der großrumänischen Nachkriegsordnung, für die auch der Volksrat der Deutschen optiert hatte, das Staatsvolk der Rumänen und die Minderheiten, wobei diese in der Bukowina zahlenmäßig stärker als jenes waren.
Ein "rumänischer Kulturkampf" begann. "Die Deutschen", so der Historiker, "fanden sich schlecht in die neuen Verhältnisse." Ihre Schulen, im Unterschied zu jenen in Siebenbürgen keine kirchlichen, sondern Staatsschulen, wurden sofort rumänisiert. 1922 kam das Ende des Czernowitzer Theaters, dann das der Universität.
Als Rumänien 1940 die nördliche Bukowina mit Czernowitz an die Sowjetunion abtreten mußte, kam es aufgrund von Verträgen des Deutschen Reiches mit beiden Staaten zur Umsiedlung der Buchenlanddeutschen ins Reich, und zwar auch derjenigen, die in den Rumänien verbleibenden Gebieten lebten. Es waren zwischen 80 000 und 90 000 Personen.
Sie kamen zunächst nach Bayern, dann in den Warthegau, nach Ostoberschlesien, ins Elsaß und in die Untersteiermark. Dort wurden etwa 50 000 Bukowinadeutsche angesiedelt - um bald darauf, 1945, auf die Flucht gehen zu müssen, etwa 10 000 blieben im Altreich, während rund 7000 nach Rumänien zurückgeschickt wurden oder zurückgingen.
Nach dem Krieg fanden sich die Buchenlanddeutschen in Bayern, insbesondere in Schwaben, in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg wieder, außerdem in Österreich. Im rumänischen Teil der Bukowina lebten im Jahre 2002 etwa 2500 Deutsche, im ukrainischen Norden sollen es 500 sein.
Für die Stellung der Deutschen in Rumänien ist es bezeichnend, daß 2001 das Bundestreffen der Buchenlanddeutschen in der bukowinischen Bezirkshauptstadt Sutschawa (ukrain. Suczava/rumän. Suceava) stattfinden konnte. Peter Mast (KK)
Foto: "Schwabenzug": In der Bukowina siedelten viele Schwaben
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