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Warum die Pharmaindustrie ins Ausland geht

 
     
 
Vor 15 Jahren noch war die deutsche Pharmaindustrie Weltspitze. Man sprach von Deutschland als der größten Apotheke der Welt. Heute führen andere Länder das Ranking der Pharmaindustrie an, vorwiegend Amerikaner, danach Schweden, Schweizer, und mittlerweile haben sich auch die Franzosen, vor allem nach der Aventis-Übernahme durch Sanofi, nach vorne geschoben. Deutschland bewegt sich jetzt irgendwo im Mittelfeld und ist natürlich mit den ausländischen Unternehmen verflochten. Das gilt nicht nur für Aventis, sondern mehr noch für die Janssen-Cilag GmbH mit Sitz in Neuss. Sie ist de facto eine Tochter des weltweit größten Konzerns
für medizinische Erzeugnisse, Johnson & Johnson, der mehr als 90.000 Beschäftigte in rund 51 Ländern der Erde hat, seine Produkte in über 175 Staaten rund um den Globus vertreibt und jedes Jahr fast 2,5 Milliarden US-Dollar nur für die Forschung ausgibt.

Die Janssen-Cilag GmbH selbst hat etwa 1.000 Mitarbeiter. Ihr Chef ist der Belgier Jaak Peteers, der die deutsche Gesundheitsdebatte teils erstaunt, teils enttäuscht verfolgt. Kein Wunder, die Arzneimittelhersteller haben sich nach Kräften gegen die Gesundheitsreform gestemmt. Sie haben den Standort Deutschland in Frage gestellt, den Niedergang der Arzneimittelforschung heraufbeschwo-

ren. Gut vier Monate lebt man jetzt mit dieser Reform, in einer ersten Bilanz bekräftigt Peteers seine Skepsis. Der Arzneimittelmarkt sei "tatsächlich zusammengebrochen", und das liege, so Peteers, "vor allem an den 16 Prozent Zwangsrabatt auf patentgeschützte Arzneimittel, also auf unsere Umsatzträger, mit denen wir unsere zukünftige Forschung finanzieren müssen". Der hohe Zwangsrabatt sei zwar auf ein Jahr begrenzt, aber danach wird er auf einem niedrigeren Niveau von sechs Prozent weiterlaufen, dafür "werden wesentliche Teile von unseren patentgeschützten Arzneimitteln in das Festbetragssystem eingegliedert werden". Das bedeute, daß "der Staat nun massiv in die Preisgestaltung für patentgeschützte Arzneimittel eingreifen will".

Das große Problem sei nun, daß auch für patentgeschützte Arzneimittel Festbeträge eingeführt wurden. Das wirke sich "verheerend" aus, meint Peteers. Denn ein Patent gewähre das Recht, "daß die Hersteller ein Produkt für eine befristete Zeit exklusiv, das heißt auch mit eigener Preishoheit, vermarkten können". Es sei "dafür eingerichtet, daß die Forschungsausgaben von heute amortisiert und daß auch Anreize geschaffen werden können für die Innovationen von morgen". So koste es etwa eine Milliarde Dollar, bis ein neues Arzneimittel auf den Markt kommen kann, und "dafür brauchen wir durchschnittlich etwa zehn Jahre intensive Forschung". Man habe es also mit einer Branche zu tun, "die für ihre Forschung ein sehr hohes Risiko eingeht. Deshalb sind diese Patente so existentiell wichtig." Es wäre für Deutschland ein großer Nachteil, wenn der Patentschutz durch die Festbeträge auf Dauer ausgehöhlt würde. Insgesamt schätzt Peteers den Standort Deutschland kritisch ein. Heute liege das größte deutsche Pharmaunternehmen (Boehringer Ingelheim) nach Umsatz (7,4 Milliarden Euro/Jahr) etwa an der 18. Stelle im Weltmaßstab. Den Hauptgrund für die Verschlechterung des Standortes Deutschland sieht Peteers in der Überregulierung. "In Deutschland wissen die Arzneimittelhersteller selten, unter welchen Bedingungen sie im nächsten Jahr wirtschaften werden. Wenn ein Forschungsprojekt über zehn Jahre dauert, ist das eine inakzeptable Situation. Deswegen sind Forchungsinvestitionen massiv ins Ausland verlagert worden."

Trotz dieser Standortverschlechterung sei das Interesse am deutschen Markt noch vorhanden. Deutschland habe auch eine Reihe Vorteile. Die Deutschen seien "sehr tüchtig und haben immer wieder bewiesen, daß sie letztlich auch Realisten sind. Deshalb setze ich darauf, daß sich in den nächsten Jahren wieder ein innovationsfreundliches Klima durchsetzen wird." Aber die Zeit dränge, Es sei "einfach eine Tatsache, daß Deutschland im Arzneimittelmarkt überhaupt kein Hochpreisland mehr ist". Am "schlimmsten" aber sei, "daß hier weniger innovative Mittel eingesetzt werden. In den letzten fünf Jahren machten neue Wirkstoffe gerade neun Prozent des Gesamtmarktes aus."

An eine Verstärkung der eigenen Marktposition durch Fusionen oder Übernahmen denke er nicht. Bei Johnson & Johnson verfolge man seit Jahren die "Strategie, aus eigener Kraft stark zu werden und zu wachsen". Jedes Jahr wachse der Forschungsetat um acht bis zehn Prozent. In diesem Jahr betrage das Budget für Forschungsinvestitionen 3,6 Milliarden Dollar. "Wir setzen viel ein, um immer wieder neue Medikamente zu entwickeln." Wichtig seien in diesem Zusammenhang auch "Kooperationen mit kleinen, aber hoch innovativen Biotechnologieunternehmen. Daraus entstehen oft ideale Partnerschaften." Die forschende Pharmaindustrie könnte jedes Jahr viele neue Arbeitsplätze schaffen, aber, und das sei "das eigentliche Drama", die politischen Rahmenbedingungen "lassen das nicht zu". Sein Unternehmen hatte zum Beispiel fest eingeplant, den Stellenplan in diesem Jahr um zwölf Prozent, also um etwa 120 neue Arbeitsplätze, zu erweitern. Dann seien im Herbst "diese 16 Prozent Zwangsrabatt auf uns eingestürzt, so daß wir die Pläne für die neuen Arbeitsplätze aufgeben mußten". Das sei "sehr schade, weil es nichts Schöneres für einen Unternehmer gibt, als neue Arbeitsplätze zu schaffen". Er bleibe aber optimistisch und hoffe, daß die "politischen Rahmenbedingungen wieder auf Innovation umgepolt werden". Dann werde "auch diese Branche wieder in der Lage sein, neue Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen".

 
     
     
 
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