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Was Hartz IV den Menschen bringt

 
     
 
Der erste Januar wird der Tag der Wahrheit. Nach monatelangem Vorlauf, Montagsdemonstrationen, defekten Computerprogrammen in der Arbeits- verwaltung und zahlreichen spät oder gar nicht eingereichten Anträgen wird Deutschlands Sozialstaat eine Revolution erleben: Das Arbeitslosengeld II (ALG II) wird eingeführt - auf dem Niveau der Sozialhilfe. Statt pauschal Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger
zu verwalten, wird den Ämtern die Unterstützung von Bedürftigen und Willigen zur Aufgabe gemacht.

Neu ist nicht nur der Ansatz, daß nach einem Jahr Arbeitslosigkeit die Leistungen auf Sozialhilfeniveau sinken. Neben der Zusammenführung von Arbeits- und Sozialverwaltung werden mit Hartz Anreize für die Aufnahme von Arbeit geschaffen (beispielsweise durch einen Freibetrag), neue Rechte und Pflichten festgelegt und die Grundsätze der Zumutbarkeit erweitert. Wer Ein-Euro-Jobs und andere Angebote für den Wiedereinstieg in den Beruf ablehnt, kann mit seinen Bezügen (ALG II) auch unter das Sozialhilfeniveau fallen.

Grundsätzlich gilt: Wer bisher Arbeitslosen- oder Sozialhilfe bekommen hat und seinen Lebensunterhalt oder den des gesamten Haushalts nicht sichern kann, wird ab Jahresanfang Arbeitslosengeld II bekommen. Konkret heißt das: neue Regeln, mehr Kontrolle. Durch die Beachtung der sogenannten Bedarfsgemeinschaft wird stärker überprüft, ob durch die Partner- oder Familiensituation überhaupt finanzieller Bedarf, sprich eine Berechtigung zum Bezug von Leistungen besteht. Neu ist auch die Unabhängigkeit vom früheren Einkommen. Der Regelsatz für das ALG II beträgt im Osten pro Monat 331 Euro, im Westen und in Berlin 345 Euro. Ihn erhalten aber nur Alleinstehende oder Alleinerziehende. Bei allen anderen kommt es auf die familiäre Lage an. Volljährige Partner erhalten, wenn bezugsberechtigt, jeweils 90 Prozent des Regelsatzes. Bei bisherigen Zusatzleistungen der Sozialhilfe wie Weihnachtsgeld, Geld für Kleidung und Möbel wurde gekürzt.

Im Gegenzug sollen gerade die Angebote für jüngere Mittelbezieher verbessert, aber auch der Leistungsdruck auf sie erhöht werden. Unter 25jährige bekommen nicht nur wie andere einen persönlichen "Fallmanager" in der Bundesagentur - sie sollen auch direkt nach Antragstellung eine Tätigkeit angeboten bekommen. Beim Vermögen, das Betroffene besitzen dürfen, gibt es ebenfalls weniger Spielraum, der Besitz von Partnern wird voll einbezogen. Bei Erspartem wird ein Grundfreibetrag von 200 Euro je Lebensjahr des Empfängers und seines Partners gestattet, der Betrag darf jedoch nicht 13.000 Euro je Partner übersteigen. Ausnahme: Personen, die vor dem 1. Januar 1948 geboren wurden. Für sie gilt ein Freibetrag von 520 Euro je Lebensjahr, maximal 33.800 Euro. Zusätzlich gibt es einen Freibetrag für notwendige Anschaffungen und bestimmte Formen der Altersvorsorge ("Riester-Rente", "Rürup-Rente"). Gerade diese schwer durchschaubaren Vorgaben sorgten bisher für Unmut.

Mit dem neuen Arbeitslosengeld II kommt also nicht die "Armut per Gesetz", sondern eher eine alternative Sozialhilfe. Dennoch bleiben Schlupflöcher im System. Die Reform ist eine Weichenstellung, doch der Zug kommt nur mühsam in Fahrt. Vor allem aber die ungleich stärkere Betroffenheit östlich der Elbe enthält sozialen Sprengstoff - bedingt durch das Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit. Um dort den Rückgang auf die Sozialhilfe (Ost-Niveau!) abzufedern, wird ein "befristeter Zuschlag" gewährt. Wer im Osten also bisher Arbeitslosenhilfe bezog, "fällt" (wenn auch gestaffelt) tief: auf Sozialhilfeniveau Ost. Im ersten Jahr allerdings bezieht der Empfänger von ALG II im Osten mehr, als er bisher an Arbeitslosenhilfe bekommen hätte - ein Ergebnis des "befristeten Zuschlages". Tatsächlich sinkt dann die staatliche Unterstützung, wenn auch nirgendwo auf Armutsniveau. Daß beispielsweise ein Arbeitsloser aus Brandenburg im dritten Jahr ohne Arbeit weniger Unterstützung bekommt als ein Kollege im Westen, hängt mit den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zusammen. Der Blick auf die Grafik offenbart (abgesehen von Ex-Arbeitslosenhilfe-empfängern Ost) keine der oft genannten dramatischen Leistungskürzungen: Erst bei enormer Vergrößerung (Bereich 1.000 bis 1.400 Euro) werden die Änderungen sichtbar, die durchschnittlich eher in Dutzenden als Hunderten Euro liegen.

Hartz IV bringt also vor allem für die Sozialkassen eine Erleichterung. Neues Chaos und altbekannte Schummelchancen treffen jedoch auch bei der neuen Regelung aufeinander. So versuchen potentielle Empfänger inzwischen lieber, noch eine Ich-AG zu gründen. Diese ist mit immerhin 600 Euro für Alleinstehende lukrativer, raten Arbeitsloseninitiativen. Ein Risiko gebe es dabei nicht, argumentieren sie. Die Förderung muß nämlich weder zurückgezahlt, noch mit irgendwelchen ausgefeilten Unternehmenskonzepten eingereicht werden. Im Zweifelsfall können Streitlustige sogar für ihre eigentlich gar nicht vorhandene "Ich-AG" klagen. Ein Systemdschungel, der weiter dringend ausgelichtet gehört, um Mißbrauch und neue Fehlbeträge in Milliardenhöhe für den Sozialstaat zu vermeiden. Sverre Gutschmidt

 
     
     
 
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