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Was bedeutet das Ende der Denkverbote?

 
     
 
Das Medienecho auf den Erfurter CDU-Bundesparteitag ist nicht gerade als berauschend zu bezeichnen. In der Tat war die zweitägige Veranstaltung in den neuen Messehallen der thüringischen Landeshauptstadt vordergründig dem Wahlkampf in diesem Bundesland gewidmet. Vorstandswahlen, die verläßlich den Grad der Zustimmung zur Führung anzeigen, standen auch nicht an. Dennoch lassen einige Erkenntnisse den Erfurter Parteitag nicht nur als eine Episode
erscheinen.

Zunächst ist festzustellen, daß der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber die herausragende Figur der beiden Unionsparteien ist. Hätte in Erfurt die Entscheidung über den nächsten Kanzlerkandidaten angestanden, an dem Bayern wäre man nicht vorbeigekommen. Der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble ist derzeit sicher ein souveräner Herrscher über die CDU. Doch an Stoibers Charisma und dessen Fähigkeit, Menschen zu begeistern und in den Bann zu ziehen, kommt der CDU-Chef nicht heran. Immer noch kehrt Schäuble die staatstragende Rolle aus dem früheren Verständnis der Regierungspartei zu stark hervor.

Dies wird an dem vom Parteitag beschlossenen Antrag zum Kosovo deutlich. Darin wird nur indirekt vor einer Eskalation des Krieges in Jugoslawien gewarnt. Für die Formulierung, man werde den Einmarsch von Nato-Bodentruppen in Jugoslawien ablehnen, fehlte wohl der Mut. Denn wenn es tatsächlich so weit kommen sollte und deutsche Soldaten mitmarschieren müssen, könnte Schäuble geneigt sein, doch noch ein "Ja, aber ..." im Bundestag abzugeben.

Stoiber wird in diesen Fragen deutlicher und nutzt, was angesichts des Leids eines Krieges viel Geschick erfordert, die Frage der Bodentruppen zum Frontalangriff gegen Rotgrün: "Wenn es in Zukunft um das Thema Bodenkampftruppen geht, dann können wir nur hoffen, daß konvertierte Pazifisten nicht plötzlich zu Aktivisten einer Stahlhelmfraktion werden und schließlich den Vorrang politischer Optionen aus dem Auge verlieren."

Die übrigen theoretischen Bewerber um die Kanzlerkandidatur des Jahres 2002, Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe und Ex-Forschungsminister Jürgen Rüttgers, fielen mit ihren Beiträgen auf dem Parteitag nicht weiter auf. Keiner reichte an Stoiber oder Schäuble heran. Und die "Jungen Wilden" scheint es gar nicht mehr zu geben.

Die Ära Kohl ist offiziell vorbei, auch wenn der Ex-Kanzler zum "Thüringischen Abend" mit Bratwurst und Bier von den Delegierten empfangen wurde, als sei er noch in Amt und Würden. Doch auf dem Parteitag selbst ließ Kohl sich nur kurz blicken, eine Rede hielt er erst gar nicht.

Irgendwie kristallisiert sich heraus, daß die CDU Abstand zum "Staatsmann des Jahrzehnts" gewinnen möchte. Unter Kohl degenerierte die CDU zum Wahlverein. Gedacht und geplant wurde im Kanzleramt. Kritik an der offiziellen Linie oder konträre Vorschläge wurden abgewürgt, ehe sie die Parteitage als Antrag überhaupt erreichen konnte. Jetzt verlangt die CDU in ihren "Erfurter Leitsätzen" ein Ende der Tabus und der Denkverbote in der Partei. Dies kann als Seitenhieb gegen Kohl verstanden werden.

Allerdings tat sich Generalsekretärin Angela Merkel schwer mit der Antwort auf Fragen, was ein Ende der Tabus bedeuten könne. Man darf gespannt sein. Tabuisiert wurde und wird zum Beispiel die Frage, ob Koalitionen zum Beispiel mit Parteien rechts von der CDU in Frage kommen könnten. Eine ehrliche Debatte darüber ist auch nach Erfurt nicht vorstellbar. Möglicherweise werden nur "Zeitgeist-Themen" wie die "Schwulen-Ehe" tabuisiert, vielleicht kommt die CDU aber auch etwas von ihren Europa-Visionen herunter.

Wenn Schäuble und Stoiber übereinstimmend feststellen, die CDU habe nur sieben Monate nach einer desaströs verlorenen Bundestagswahl wieder Tritt gefaßt, so ist dies nicht einmal von der Hand zu weisen. Mehrere Faktoren haben begünstigend dazu beigetragen, wobei die gegen die Volksmeinung gerichtete rotgrüne Doppelpaß-Politik die Hauptursache gewesen sein dürfte. 4,5 Millionen von der Union gesammelte Unterschriften gegen die generelle doppelte Staatsangehörigkeit könnten nicht irren, freute sich Frau Merkel in Erfurt.

Das ist auch ein Stück Ironie der Geschichte. Es war ausgerechnet auch Frau Merkel, die in der Unionsfraktion einen gegen das Konzept von Schäuble und Stoiber gerichteten Antrag unterstützte, der mit einer Kinderstaatszugehörigkeit den rotgrünen und liberalen Vorstellungen recht nahe kam und die Unterschriftenaktion konterkariert hätte. Verärgert sprach der CSU-Landesgruppenvorsitzende Michael Glos damals von "Einflußagenten" der anderen Seite in den eigenen Reihen.

Ein Aufwärtstrend für die Union ist aber da. Von einer Zersplitterung der größten Bewegung der Bürgerlichen in Deutschland spricht im Moment niemand mehr. 20 000 neue Mitglieder konnten seit der Bundestagswahl gewonnen werden. In drei Jahren will die Union wieder an die Macht. Doch der Aufwärtstrend ist kein Gesetz. Auf dem Marsch nach Berlin kann noch viel passieren, ganz unabhängig von der Frage, wer die Union anführt.

 
     
     
 
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