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Wie man den Türkei-Beitritt verhindern kann

 
     
 
Der türkische Premier Erdogan ist ein Sultan der Moderne. Mit dem Bericht seines "Freundes" Verheugen (Verheugen über sein Verhältnis zu Erdogan) ist er dem Ziel einer Islamisierung Europas ein Stück näher gekommen. Verheugen bestreitet, mit seinem Bericht werde eine Entscheidung für einen Beitritt der Türkei
zur EU vorweggenommen. Aber wenn der Rat der Regierungschefs beschließe, daß man Verhandlungen darüber aufnehmen solle, sei der Prozeß "eigentlich nicht mehr aufzuhalten". Auch der Europa-Politiker Bernd Posselt, Präsident der Paneuropaunion, der größten fraktionsübergreifenden Gruppe im Europaparlament und dort auch Mitglied im außenpolitischen Ausschuß, sieht diese Gefahr. In einem Gespräch mit dieser Zeitung sieht er derzeit "folgendes Spiel: Die alte Kommission macht schnell noch ein Gefälligkeitsgutachten, das Herr Verheugen verantwortet. Der Rat sagt schnell "Ja" im Dezember, weil er behauptet, er kann am Kommissionsvotum nicht vorbei - dabei könnte er das ohne weiteres -, und dann wird das Kind auf die Rutschbahn gesetzt, und wenn es dort mal sitzt, ist die Gefahr groß, daß es rutscht."

Dennoch könne man nicht von einem Automatismus sprechen. Posselt sieht noch drei Chancen, daß der Türkeibeitritt gestoppt wird: "Erstens könnte es dazu kommen, daß beim Gipfel im Dezember ein oder mehrere Mitgliedstaaten zumindest eine Verschiebung der Entscheidung beantragen." In der Tat ist beim Gipfel Einstimmigkeit vorgeschrieben. Wenn nur ein einziger Staat gegen die Aufnahme von Verhandlungen votiert, finden diese nicht statt. Posselt beobachtet bereits "Debatten in Frankreich, Österreich, Luxemburg und vielen anderen Mitgliedstaaten". Die zweite Möglichkeit wäre, daß "während des Verhandlungsprozesses die Meinungsbildung innerhalb der EU sich so kritisch in Richtung Türkei intensiviert oder der Verhandlungsprozeß sich so verkompliziert, daß er nicht mehr in Richtung Vollmitgliedschaft, sondern in eine andere Richtung gelenkt werden kann". Zum Beispiel in die Richtung einer privilegierten Partnerschaft. Die dritte und letzte Chance "ist natürlich, daß das Europaparlament ganz am Schluß der Verhandlungen noch ,Nein sagen kann oder daß eine Volksabstimmung zu diesem Nein kommt". Aber darauf sollte man sich nicht verlassen. Man sollte vielmehr "versuchen, so schnell wie möglich zu verhindern, daß der Zug in die falsche Richtung fährt".

Auf die neue Kommission setzt Posselt dabei nicht. Mit Recht. In einem Artikel des designierten EU-Kommissionspräsident Barroso in der Zeitung Le Monde meint der künftige Chef in Brüssel zwar, daß die Türkei noch nicht bereit sei für den Beitritt, daß aber die EU einen Beitrittsantrag nicht ablehnen könne, wenn die Türkei die Beitrittskriterien erfülle. Dies sei, so Posselt, "ein klassisches Ja, aber." Es passe in das "jämmerliche Schwarze-Peter-Spiel" in der EU. Jeder hätte es eigentlich gern, wenn "der andere den Buhmann spielt und den Beitritt der Türkei in die EU stoppt, den fast niemand wirklich will. Aber fast niemand traut sich auch tatsächlich zu sagen, daß es für die EU und die Türkei besser wäre, wenn man auf eine Vollmitgliedschaft der Türkei verzichten würde." Posselt: "Ich bin der Meinung, man sollte mit der Türkei sauber und klar reden, ihr die volle Unterstützung geben in allen Belangen, die unterhalb der Vollmitgliedschaft liegen, aber auch ganz klar Nein sagen zur Vollmitgliedschaft, weil die Türkei kein europäisches Land ist und die EU als Mitgliedsstaat überfordern würde."

Auch auf ein Nein im Parlament solle man jetzt nicht setzen. Es sei unklar, wie sich im Europaparlament die Mehrheitsverhältnisse in dieser Frage entwickeln. "Wir haben im Moment keine Mehrheit gegen einen Beitritt der Türkei im Europäischen Parlament", aber es gebe vermutlich "im Moment auch keine qualifizierte Mehrheit für einen Beitritt". Diese qualifizierte Mehrheit werde zwar vom Vertrag vorgeschrieben, aber die Abstimmung finde in der Regel erst am Ende des Verhandlungsprozesses statt.

Posselt vermißt an der ganzen Debatte eine "ausreichende Befassung mit dem, was die EU ist und was sie sein soll. EU bedeutet doch im Grunde, daß das Ausland weitgehend zum Inland wird. 60 Prozent der Gesetze, die bei uns in Kraft treten, werden bereits in Straßburg und in Brüssel gemacht." Diese EU solle noch weiter integriert werden durch den Verfassungsvertrag, vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die EU sei eine supranationale Rechtsgemeinschaft, "und eine solche supranationale Rechtsgemeinschaft kann nicht als jetzt zweitstärksten und in einigen Jahrzehnten vielleicht sogar stärksten Mitgliedstaat ein nichteuropäisches Land wie die Türkei verkraften. Das würde die europäische Integration sprengen." Das wisse jeder, "der mit dem Thema ehrlich umgeht". Eine Einbindung der Türkei "durch einen maßgeschneiderten Spezialstatus, das ist vernünftig. Das stabilisiert die Türkei und erhält die Handlungsfähigkeit der EU."

Den Vorwurf, die Union und insbesondere die CSU gerierten sich als "christlicher Club" und wollten die Türkei deshalb aus der EU heraushalten, hält Posselt für substanzlos. Christlicher Club sei ein "Kampfbegriff, den ein früherer türkischer Ministerpräsident entwickelt hat, um quasi mit der Brechstange den Beitritt seines Landes herbeizuführen". Helmut Kohl habe 1997 dafür gesorgt, daß die Türkei nicht den Kandidatenstatus erhielt beim Gipfel von Luxemburg, sondern nur in die so genannte Europakonferenz aufgenommen wurde. Das habe den damaligen türkische Premier zu der Aussage veranlaßt, die EU verstehe sich offenbar als Christenclub. "Daraufhin sind einige fürchterlich erschrocken und haben gesagt: Aber wir wollen doch kein Christenclub sein." Nun müsse man aber wohl sagen, "ohne Christentum und ohne christliche Prägung wäre Europa nicht entstanden und ist Europa undenkbar". Sicher, es habe "in Europa immer eine muslimische Komponente" gegeben, zum Beispiel seien Bosnier und Albaner, die auch mehrheitlich Muslime sind, eindeutig Europäer. Es gebe ja auch christliche Völker und Staaten, die nicht europäisch sind. "Nicht die Religion ist das Problem, sondern die Frage nach der gemeinsamen Kultur und Geschichte, und die hat sich in Europa über Jahrtausende innerhalb bestimmter zum Teil natürlich fließender Grenzen entwickelt. Zu denen aber hat die Türkei niemals gehört."

Angesichts der Bedeutung der Frage hat Posselt Verständnis dafür, daß in dem einen oder anderen Land der Türkei-Beitritt zu einem Referendum führen werde. Er sei "der Meinung, daß jeder Staat nach seiner Verfassung handeln sollte. Ich persönlich bin kein Anhänger einer Änderung des Grundgesetzes in Richtung Referendum. Aber wenn es dazu kommen sollte, dann wäre das Thema, über das man auf jeden Fall abstimmen sollte, der türkische EU-Beitritt." In Frankreich etwa zeichne sich schon ab, daß der Verfassungsvertrag "auf keinen Fall angenommen wird, wenn er gleichzeitig belastet wird mit einem Verhandlungsmandat an die Türkei. Es mehren sich in Frankreich die Stimmen, die sagen, Ja zum Verfassungsvertrag, aber vorher muß ein Nein zum türkischen EU-Beitritt her."

 
     
     
 
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