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Nach einer gewissen Atempause, bedingt vielleicht durch die allgemeine vorweihnachtliche Ermattung auf der politischen Bühne von Berlin, regt sich in der Union Widerstand gegen die rot-grünen Pläne. Zunächst hatte die Bundesregierung unter Beifall, auch aus Teilen der Opposition, die Abgeltungssteuer beschlossen, Kompromissen beim Hartz-Konzept zugestimmt und sich so als noch handlungsfähig erwiesen. Einer paßte auf: Der Wahlkämpfer Christian Wulff , CDU-Chef in Niedersachsen und stellvertretender CDU-Chef in der Bundesrepublik, sieht in den jüngsten Erfolgen der rot-grünen Koalition de facto ein Zugeständnis an Forderungen der Union.
Angestoßen hatte die neuen Überlegungen sein politischer Gegner, der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel, mit seiner Forderung nach einer Vermögenssteuer, um mehr in den Bildungsbereich investieren zu können. Aber die Bildungsrechnung Gabriels gehe, so Wulff in einem Gespräch mit dieser Zeitung, weder quantitativ noch qualitativ auf. Zunächst sei festzuhalten, daß es sich bei der Zinsabgeltungssteuer "nicht um eine neue Steuer handelt, sondern um eine unbürokratischere Form der Erhebung der ohnehin steuerpflichtigen Zinseinkünfte". Damit sei "eine alte, kluge Forderung der Union, die allerdings nur im Zusammenhang mit einer großen Steuerreform mit Steuersätzen von 15 bis 35 Prozent Sinn macht, teilweise erfüllt". Aber das "Auseinanderfallen von 25 Prozent zum Spitzensteuersatz um 50 Prozent dürfte verfassungswidrig sein", meint Wulff. In den nächsten Wochen, wenn sich die Experten mit dem Gesetzentwurf beschäftigten, würden diese Zweifel deutlicher zutage treten, und es werde sich zeigen, daß in diesem Zusammenhang "weitere Reformen erforderlich sind".
Die Abgeltungssteuer werde "von der Union unterstützt werden, weil sie eben unbürokratisch ist, aber sie muß, damit sie verfassungsgemäß ist, weitere Schritte nach sich ziehen, zu denen Rot-Grün im Moment überhaupt nicht bereit ist". Die Regierung wolle sogar die nächsten Stufen der Steuerreform wieder in Frage stellen, wie einzelne Äußerungen aus der Regierungskoalition klarmachten. Weitere Steuererhöhungen seien beabsichtigt, und "damit verschlimmern sie die Situation in unserem Land und führen auch eher zu weiterer Kapitalflucht".
Wulff hält die öffentlich geäußerten Schätzungen von Regierungsseite für eine "massive Täuschung der Öffentlichkeit". Mehreinnahmen des Staates entstehen sinnvollerweise nur durch Wachstum, durch die Dynamik der Volkswirtschaft, nicht durch ständiges Erhöhen der Steuersätze. "Damit erdrosselt man die Steuerquellen und hat am Ende weniger bei hohen Sätzen als mit niedrigen Sätzen und vielen Steuerquellen". Selbst wenn die idealtypischen Annahmen greifen würden, käme nur "ein Siebtel dessen rein, was man mit der Vermögenssteuer einnehmen wollte. Die Sozialdemokraten werden nicht um die Erkenntnis umhin kommen, daß man sich auf der staatlichen Seite bescheiden und Maß halten muß, daß man Prioritäten setzen muß und daß man nicht ständig auf der Einnahmeseite an der Steuerschraube drehen darf".
Das Hauptproblem sei, "daß das Vertrauen in diese Bundesregierung dahin ist. In diese Bundesregierung hat keiner mehr Zutrauen. Wer eine solche Steuererhöhungsorgie ablaufen lässt, wie Herr Gabriel sie angestoßen hat: Erbschaftssteuer erhöhen, Schenkungssteuer erhöhen, Vermögenssteuer, mehr Zuwachssteuer, Zinsabgeltungssteuer, der zerstört Vertrauen, statt es aufzubauen. Wer nur über Steuer- und Abgabeerhöhungen redet und entsprechende Entscheidungen trifft und insgesamt etwa 48 Steuererhöhungen jetzt auf den Weg gebracht hat, der ist eben nicht glaubwürdig. Die Leute bringen sich in Sicherheit, werden zu Angst-Sparern. Es fehlt an Konsum und Investition. Das ist ein Klima, in dem auch kein ausländisches Kapital nach Deutschland zurückkehren wird. Dazu bedürfte es eines Klimas, das sich zu Eigentum, zu Vermögen und zum Erbrecht bekennt. Das ist eben genau das, was die Sozialdemokraten vermißen lassen".
Wulff sieht die Not im Bildungsbereich, für den gemäß den Aussagen Gabriels die neuen Einnahmen bestimmt sein sollen. Aber er sieht die Bildungspolitik in größeren Zusammenhängen und plädiert für eine neue Prioritätensetzung, einschließlich ihrer Konsequenzen. "Wir müssen klare Prioritäten für Kinder, für Familien und Schulen setzen und anderes innerhalb der Verwaltung über Bord werfen. Wir können uns eine Verwaltung des 19. Jahrhunderts nicht leisten, sondern müssen die abstoßen und in die Aufgaben des 21. Jahrhunderts - Bildung, Wissenschaft und Forschung - investieren". Bildung fange aber nicht erst in der Schule an. "Ich bin der festen Überzeugung, daß es auch ein Fehler ist, nur über Geld zu reden. Bei Pisa haben Bayern, Baden Württemberg und Sachsen am besten abgeschnitten, Brandenburg, Bremen und Niedersachsen am schlechtesten. Sachsen gibt aber weniger Geld aus als Niedersachsen und hat trotzdem besser abgeschnitten. Das zeigt doch, daß es um mehr in der Bildung geht als nur um Geld".
Wulff hält es "für zwingend, einen neuen Bildungsbegriff zu finden, denn die Lebensphase bis 6 Jahren muß viel stärker gewichtet werden: die vorschulische Orientierung zur Vorbereitung auf die Schule, die Ausgestaltung von Grundfertigkeiten, aber vor allem die Rolle der Familie müssen stärker beachtet werden. Man hat Bildung ohne Familien diskutiert, und das war eine Lebenslüge, die wir in Deutschland betrieben haben. Kinder müssen an Bücher herangeführt werden durch Vorlesen, sie müssen an das Lesen, Musik, Bewegung und Verantwortung herangeführt werden. Sie müssen Verlässlichkeit erlernen und aufgefangen werden. Sie müssen Rückgrat bekommen und erkennen lernen, was gut ist, was schlecht ist. Sie müssen Neugier auf Neues bekommen. All das wird in den Familien grundgelegt, und deswegen ist es ein großer Fehler, die Schulen quasi als Reparaturbetrieb zu betrachten und zu meinen, daß dort die Probleme gelöst werden könnten, die in den Familien nicht vernünftig aufbereitet sind. Ich glaube, daß hier ein nachhaltiger Bewußtseinswandel in Deutschland einsetzen muß".
Die Kompromißfähigkeit der Bundesregierung sieht Wulff in einem anderen Licht. Er sehe hier eher den positiven Einfluß, den die Union im Bundesrat jetzt ausgeübt habe. Es gehe bei der "Wiedereinführung von 400-Euro-Minijobs nicht um Vorschläge der Regierung. Diese Jobs hat das Hartz-Konzept nicht vorgesehen. Das ist eine Forderung der Union. Auch die Absetzung von Sozialbeiträgen zwischen 400 und 800 Euro entspricht exakt dem Dreisäulenmodell", das Edmund Stoiber und er im Frühjahr dieses Jahres in Berlin vorgestellt haben. Auch daß jetzt wieder haushaltsnahe Dienstleistungen von der Steuer absetzbar seien, "ist eine Annäherung an die damalige, gute CDU-Politik mit sehr viel höheren Beträgen, die als Dienstmädchen-Privileg diffamiert wurde". Wo die Union machtlos sei, weil ein Gesetz "nicht zustimmungspflichtig ist, wie bei der Zeitarbeit, dort macht Rot-Grün weiter großen Unsinn und kostet vielen tausend Menschen ihren Job, denn die Regulierung der Zeitarbeit ist großer Unsinn".
Ähnlich verhalte es sich auch bei der Rentenreform. Der neue Vorschlag von Ministerin Ulla Schmidt, den Rentenbeginn von der Zahl der Arbeits-und Berufsjahre abhängig zu machen, sei nicht neu. "Horst Seehofer und ich haben damals in den Rentenkonsensgesprächen mit Herrn Riester und der Bundesregierung den ganz konkreten Vorschlag gemacht, daß jeder Arbeitnehmer nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen können müsse. Genau auf dieser Schiene liegt ja jetzt auch die Überlegung von Frau Schmidt. Da wird man offenbar auch klüger". Noch müsse man die Einzelheiten abwarten. Denn die Sozialdemokraten hätten bisher bei der Rentenpolitik alle notwendigen, richtigen Schritte, die von der Union eingeleitet worden waren, wie zum Beispiel die Berücksichtigung des demographischen Faktors, rückgängig gemacht. Auch hier habe sie "ein recht großes Chaos angerichtet, und das Vertrauen ist auch da durch Aktionismus wieder zerstört worden |
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