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Studie belegt das Unrecht der Kinderstrafsteuer

 
     
 
Solche Zahlen stören das Wohlbefinden der Delegierten und mehr noch der Regisseure von Parteitagen. 33 Milliarden Euro haben Eltern vor allem in der Ära der Kohl-Regierungen verfassungswidrig zuviel an Steuern gezahlt, ein nachgewiesenes Unrecht, und die CDU "ging nicht hin". Da bleibt man doch lieber bei der bewährten Taktik: ignorieren und verdrängen. Soll man sich von Ungerechtigkeiten der Vergangenheit einen Parteitag überschatten lassen, der nur in die Zukunft blicken will?

Aber es ist nicht nur der Schatten der Vergangenheit, und es betrifft auch nicht nur die CDU. Die anhaltende Rück-sichtslosigkeit gegenüber Familien hat Methode in diesem Land. Nach einem bekannten Wort des Bielefelder Soziologe
n Franz X. Kaufmann leiden Familien in Deutschland unter einer "strukturellen Rücksichtslosigkeit". Diese strukturelle Rücksichtslosigkeit schlage sich vor allem in umlagefinanzierten Sozialsystemen und im Steuersystem nieder. Die Gedankengänge sind heute leichter nachzuvollziehen als noch vor ein paar Jahren, weil das Bundesverfassungs- gericht sie wiederholt artikuliert und das demographische Defizit mit den Folgen für Renten- und Pflegeversicherung ins allgemeine Bewußtsein gehoben hat, auch wenn die meisten Politiker sich noch beharrlich weigern, Rückschlüsse für die Familienpolitik daraus zu ziehen. Mit Grund: Die Politik hat die strukturelle Rücksichtslosigkeit mit ver- ursacht. Die Verweigerung fiel ihr deshalb leicht, weil die Rücksichtslosigkeit nicht quantifiziert wurde und mehr der Meinung und persönlichen Einschätzung als Daten und Fakten zugeordnet wurde.

Das ist nun geschehen. Das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut (ifo) hat jetzt mit umfangreichen Rechnungen einen Teil dieser Rücksichtslosigkeit sozusagen dingfest gemacht. Es hat ausgerechnet, wieviel Familien mit Kindern im Zeitraum zwischen 1990 und 2002 verfassungswidrig zuviel an Steuern gezahlt haben. Man sollte besser sagen: zahlen mußten, weshalb der Begriff der Ausbeutung oder der Kinderstrafsteuer mit einem gerüttelt Maß an Berechtigung verwendet werden kann. Es handelt sich um die Summe von 33 Milliarden Euro. In dem rund 150seitigen Bericht mit etlichen Tabellen und Grafiken, der unter dem Titel "Empirische Entwicklung der sogenannten Kinderstrafsteuern in der Bundesrepublik Deutschland" und unter der Leitung des Steuerfachmanns des Instituts, Rüdiger Parsche, angefertigt wurde, heißt es in einer Kurzfassung: "Als Ergebnis der Untersuchung läßt sich klar erkennen, daß Familien mit Kindern in der Vergangenheit im Vergleich zu Kinderlosen zum Teil deutlich benachteiligt, die notwendigen Aufwendungen für die Kinder bei der Besteuerung also nicht ausreichend berücksichtigt wurden."

Der Bericht stellt auch fest, daß aufgrund der Urteile des Bundesverfassungsgerichts diese Benachteiligung insbesondere in den letzten Jahren weitgehend aufgehoben wurde, daß aber durch die Einführung bestimmter Verbrauchssteuern, etwa der Ökosteuer, neue Belastungen hinzu- kamen, die die Familien überproportional zur Kasse bitten. Diesbe- züglich sind übrigens weitere Verfahren in Karlsruhe anhängig, und deren Urteile könnten die Politik erneut zu Korrekturen zwingen. Es ist also keineswegs so, daß irgendeine Partei sich familienfreundlicher nennen könnte als eine andere. Alle haben sich an der Ausbeutung der Familien beteiligt, und was sie für die Familie taten, taten sie unter dem wachsenden Druck aus Karlsruhe.

In einem kurzen Vorwort zieht der Vorsitzende des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V., der diese Forschungsarbeit in Auftrag gegeben hat, Gerhard Wehr, eine Folgelinie dieser jahrzehntelangen Rücksichtslosigkeit auf die wirtschaftliche Gesamtsituation. Es handele sich um "verfassungswidrige staatliche fiskalische Eingriffe in das Leben von Eltern und Kindern", die "unsere heutige desolate Wirtschaftslage wesentlich mitverursacht" hätten. "Das Existenzminimum für Kinder in Höhe der Sozialhilfe wurde vom Fiskus nicht beachtet. Vielmehr wurden in den Jahren 1990 bis 1999 rund 33 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer und bei einer isolierten Zugrundelegung des Kinderfreibetrages im Zeitraum 1998 bis 2001 rund 7,5 Milliarden bei Verbrauchssteuern rücksichtslos erhoben und die Urteile des Bun- desverfassungsgerichtes mißachtet. Noch schlimmer, wenn man die tatsächlichen Aufwendungen der Eltern für ihre Kinder zugrunde legt, siehe hierzu die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes aus 1998, dann liegen die abgeführten Kinderstrafsteuern mindestens doppelt so hoch."

Wehr argumentiert: "Die Kinderstrafsteuern, die Eltern zu entrichten hatten, die es wagten, Kindern das Leben zu schenken", seien Teil der "Leistungsungerechtigkeit ge-genüber Eltern", die nicht nur zur "Ausbeutung von Humanvermögen, sondern auch mit zu der verbreiteten Kinderfeindlichkeit" geführt habe. Sie habe "zudem seit den 70er Jahren Arbeitslosigkeit verursacht, denn Kinder sind künftige Beitrags- und Steuerzahler, verursachen auf Grund höheren Verbrauchs und notwendiger Dienstleistung wirtschaftliches Wachstum und Kreativität". Mit seiner Frage "Woher soll in einer alternden Gesellschaft das Wirtschaftswachstum kommen?" weist Wehr freilich über die Studie hinaus, trifft aber insofern den Kern der Debatte, als er einen Zusammenhang herstellt zwischen Wirtschaftswachstum und Familienpolitik, zwischen Wirtschaftsflaute und fehlender Leistungs- gerechtigkeit für Familien.

Dieser Zusammenhang beschäftigt seit einiger Zeit namhafte Ökonomen. Es war auch der Arbeitskreis für Familienhilfe e.V., der maßgeblich an der Organisation eines Kongresses im Haus der Deutschen Wirtschaft im vergangenen Jahr beteiligt war. Er stand unter der doppelten Schirmherrschaft der Staatspräsidenten Chirac und Rau und hatte unter dem Titel "Demographie und Wohlstand - Neuer Stellenwert für Familie in Wirtschaft und Gesellschaft" namhafte Wissenschaftler aus rund zehn Ländern Europas, insbesondere aus Deutschland (Professoren Sinn, Birg, Kirchhof) und Frankreich versammelt. Auch der Nobelpreisträger Gary Becker aus Chicago hielt einen Vortrag. Der Kongreß soll im kommenden Jahr in Paris mit neuen Akzenten erneut auf diesen für die Zukunft der Gesellschaft in Europa entscheidenden Zusam-menhang aufmerksam machen.

Die ifo-Studie hielt sich an den Rahmen der Kalkulation der Kinderstrafsteuer in Deutschland. Im einzelnen stellt sie fest: Von 1997 bis 2001 wurde der Kinderfreibetrag auf konstantem Niveau gehalten, obwohl in der Zwischen- zeit die Verbrauchssteuern nicht zuletzt durch die "ökologische Steuerreform" teilweise massiv erhöht wurden. Als Ergebnis der Quantifizierung läßt sich festhalten, daß "die reine Kinderfreibetragsanhebung in 2002 die entstandenen Belastungen insbesondere der ökologischen Steuerreform ab 1999 nicht kompensiert hat". Insofern sieht Studienleiter Parsche durchaus noch "Handlungsbedarf", auch wenn er konstatiert, daß "mit der Einführung des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrags" die Benachteiligung der Eltern in den letzten Jahren, zumindest aus steuerlicher Sicht, und auf Druck aus Karlsruhe weitgehend abgebaut wurde. Von "Leistungsgerechtigkeit" gegenüber Eltern allerdings mag auch er nicht sprechen. Dafür müßte man weitere Kriterien heranziehen. Bei dieser Studie ging es nur um die eindeutig verfassungswidrig gezahlten Steuerbeträge, also um das Existenzminimum. Daß für die Bildung von Humanvermögen mehr als das Exi- stenzminimum nötig ist, sei unbestritten, aber nicht Aufgabe der Studie gewesen.

Können Eltern nun die zuviel gezahlten Steuern zurückerhalten? Das ist unwahrscheinlich, jedenfalls solange es keine Kläger gibt und insoweit die Steuerbescheide definitiv und ohne Vorbehalt ergangen sind. Aber das ist das Formaljuristische. Die betrogenen Eltern sind auch Wähler. Sie werden die Parteien daran messen, was diese zu tun gedenken, um das Unrecht der letzten Jahre und Jahrzehnte an den Familien wiedergutzumachen und ihnen künftig Leistungsgerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Das Mindeste, was man jetzt erwarten kann, ist, daß das dumme Gerede von den armen Kinderlosen aufhört, die mit ihren Steuern angeblich Schulen, Universitäten und Kindergärten bezahlten. Als ob nicht auch sie davon profitierten, daß die nächste Generation ausreichend gut ausgebildet ist, um von ihrem Verdienst die Beiträge in die Rentenkassen zu zahlen, aus denen die Renten der Kinderlosen gespeist werden. Und während die Kinderlosen durchaus verfassungskonform ihre Steuern bezahlen, mußten Eltern eben mehr zahlen, als Verfassung und höchstrichterliche Rechtsprechung erlauben.

Das hat die Ifo-Studie eindeutig belegt. Insofern hat sie auch einen bedeutsamen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion geleistet. Dem Auftraggeber, dem Deutschen Arbeitskreis für Familienhilfe e.V. in Kirchzarten, gebührt dafür Dank. Er hat es mit dieser Investition, aus der er keinen eigenen Nutzen zieht, ermöglicht, daß die Familiendebatte in Deutschland ein Stück ehrlicher geworden ist. Jetzt kann man nur hoffen, daß die Politik der Wahrheit auch eine kleine Gasse schlägt und sich um mehr Gerechtigkeit bemüht - auch auf Parteitagen.

 
     
     
 
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