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Ihm hätte man es am allerwenigsten zugetraut. Ausgerechnet Johannes Rau nutzte sein Amt als Staatsoberhaupt dazu, vor der Entmachtung der Nationalstaaten zu warnen. Selbst ihm, dem eingefleischten "Europäer", schwant, daß hier eine gefährliche Entwicklung im Gange ist.
1990, so ist allenthalben zu hören, erlangte Deutschland seine Souveränität zurück. Damit wäre unser Land in die Normalität einer Demokratie zurückgekehrt. Denn nationale Souveränität ist kein Orientierungspunkt verstaubten Imponiergehabes. Sie ist demokratische Verpflichtung.
Einst galt als "Souverän" eines Staates der Fürst. Später nahmen die Völker den gekrönten Häuptern diese Last ab und in die eigenen Hände. Für die Klärung der allfälligen Einzelheiten wählen sie sich seitdem Vertreter, "Volks"-Vertreter, und diese bilden eine Regierung. Die hat nun die Aufgabe, dem Volk, also dem Souverän, seine Souveränität zu sichern. Ein Abbau dieser Souveränität verbietet sich, weil dies einem Abbau der Volksherrschaft, der Demokratie gleichkäme, was verfassungswidrig ist.
Soweit die Theorie. Wer die bundesdeutsche Praxis daran mißt, kommt ins Grübeln. Der gerühmte Zwei-plus-Vier-Vertrag allein enthält eine Reihe von souveränitäts-, sprich die Demokratie einschränkenden Auflagen: So etwa dürfen die Deutschen nicht mehr als 370 000 Soldaten unterhalten und über eine Reihe von Waffentypen nicht verfügen. Kriegsschiffe dürfen eine bestimmte Größe nicht überschreiten und nur kleine U-Boote gebaut werden. Darüber hinaus wurden etliche weitere Artikel des "Deutschlandvertrages" zur Beendigung des Besatzungsregimes in Deutschland aus dem Jahre 1954 übernommen.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen natürlich die fortbestehenden Feindstaatenklauseln der UN. Laut Artikel 53 der UN-Charta dürfen Zwangsmaßnahmen gegen andere Staaten nicht ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates unternommen werden, es sei denn, sie richten sich gegen ein Land, das während des Zweiten Weltkriegs Gegner eines der Erstunterzeichner der Charta war wie Deutschland. Das klingt nach der Vogelfreiheit eines Geächteten.
Alles halb so wild, wird von offizieller Seite abgewiegelt. Die Klauseln seien spätestens seit dem Uno-Beitritt von Bundesrepublik und DDR im Jahre 1973 gegenstandslos. So? Und warum werden sie dann nicht gestrichen? Sonst durchforsten Gleichberechtigungskommissare doch jede Hausordnung, jede Stellenausschreibung und jeden abseitigen Amtsvermerk nach etwaigen formellen "Diskriminierungen" und heulen sofort schrill auf, wenn sie meinen, fündig geworden zu sein. Die formelle Diskriminierung eines ganzen Volkes hingegen, und das auf welthöchster Ebene, wird stillschweigend aufrechterhalten. Man fragt sich, zu welchem fernen Zweck.
Erheblich weiter als die genannten, Deutschland auferlegten Souveränitätseinschränkungen aber gehen die Unabhängigkeitsverluste, die die deutschen Regierungen mehr oder weniger selbst ins Werk gesetzt oder nicht verhindert haben, obschon sie es könnten. Hier nur einige Beispiele: Die Bundeswehr verfügte bis 1990 über drei nationale Korps. An die Stelle dieser deutschen Großverbände traten nach und nach das Eu- rokorps, das deutsch-amerikani-sche, deutsch-niederländische und deutsch-dänisch-polnische Korps. Nicht anders im zivilen Bereich wie etwa bei der Gesetzgebung. Die Hoheit hierüber fällt zunehmend in die Hände der EU, wo vor allem Franzosen den Ton angeben, die dort nachdrückliche nationale Politik machen, während die Deutschen von Europa träumen.
Schlußendlich können die Deutschen nicht einmal "souverän" zum Telefonhörer greifen. Der amerikanische Geheimdienst NSA hört alles mit, was er will. Und zwar von einer Station in Deutschland aus. Auch andere Spionagedienste schalten und walten in unserem Land so frech und frei wie sonst kaum irgendwo. Daß hier die "befreundeten" Dienste ganz besonders dreist vorgehen, geben die Beauftragten des Souveräns, der so in seinen intimsten Freiheitsrechten getroffen wird, nur ungern und verstohlen zu. So der Chef des Bunderverfassungsschutzes, der feindliche Aktivitäten westlicher Spione in Deutschland öffentlich jüngst erst gerade mal "für möglich" halten wollte.
Nein, "souverän" sind wir noch lange nicht. Wobei fein zu unterscheiden ist zwischen freiwillig auf der Basis von Gleichberechtigung eingegangenen Bindungen, die die Souveränität nicht beschädigen, und klarer Diskriminierung, die dies sehr wohl tut und damit dem Grundsatz der Demokratie zuwiderläuft. Souveränität indes hat Selbstbejahung zur Voraussetzung. Wer sein eigenes Volk zum Quell des Unheils stilisiert, hat die nationale Souveränität schon im Ansatz verwirkt. Hier läge der Stoff für die nächste Präsidentenrede.
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