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Wohin geht die Reform-Reise?

 
     
 
Da steckt er nun in der Sackgasse, der deutsche "Karren", vergleichbar einem Bus von der nobelsten Sorte, ausgestattet mit allem, was die neueste Technik zu bieten hat. In ihm sitzt die Creme de là creme der deutschen Politik: die Vertreter der deutschen Länder und der Bundestagsfraktionen, 16 von jeder Seite, der Vermittlungsausschuß aus Bundestag und Bundesrat. Ihr "Reisegepäck" besteht aus 6.000 Seiten Text für ein rundes Dutzend neue Gesetze, 150 Verordnungen
, Anordnungen, Anwendungs- und Auslegungsbestimmungen - Rüstzeug, das ihnen der Chauffeur Gerhard Schröder, der den Bus in die Sackgasse steuerte, statt eines modernen Navigationsgeräts auf den Schoß gelegt hat. Einfach zurückfahren kann der Bus nicht. Er muß in millimetergenauem Rangiermanöver gewendet werden. Das soll auch noch schnell geschehen, denn in wenigen Wochen soll eine Steuerreform in Kraft treten, die Bürgern wie Unternehmen mehr Geld in den Taschen läßt. So will der Chauffeur das Volk zu Weihnachten mit reichen Gaben bescheren.

Niemand bestreitet, daß schnellstmögliches Handeln erforderlich wäre. Aus der seit drei Jahren von Rot-Grün aus rein wahl-taktischen Grün- den als "Wachstumsschwäche" heruntergespielten Stagnation ist längst eine ernst-hafte Krise geworden. Nach der Hiobs- botschaft des vergangenen Monats, wonach die im Frühjahr berechnete Neuverschuldung des Bundes von 18 Milliarden Euro sich auf mehr als das Doppelte, über 42 Milliarden Euro, beläuft, kam nun mit der neuesten Steuerschätzung die noch schlimmere hinzu, daß nämlich die Steuereinnahmen in diesem und im nächsten Jahr noch einmal um mindestens 19 Milliarden sinken werden. Weil die Staatsausgaben aber weitestgehend gesetzlich festgelegt und daher Einsparungen nur begrenzt möglich sind, heißt das: Diese Mindereinnahmen führen zu weiterer Neuverschuldung. Das aber macht Steuersenkungen noch problematischer, als sie nach den bisherigen Vorstellungen der Bundesregierung schon gewesen wären.

Das 6.000-Seiten-Paket mit allen möglichen Anlagen, das - um im Bild zu bleiben - unserer Busbesatzung zunächst auf den Schoß gelegt wurde, ist großenteils im Hause des Bundesfinanzministers geschnürt worden. Nun begeht man wohl keinen Fauxpas, wenn man den Verpackungen des Hans Eichel mit einiger Vorsicht begegnet. Zu oft schon waren seine Pakete voller Hohlräume und Schaumstoff.

Damit aber nicht genug. Die Mitglieder des Vermittlungsausschusses kommen mit ihren eigenen Paketen. Hinzu kommen die Konzepte unterschiedlichster Kommissionen (Hartz/Rürup/Herzog), der Vorschlag von Fried-rich Merz, die Vorstellun- gen der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück, eigene Überlegungen der bayerischen Landesregierung - und schließlich ringen die Ministerpräsidenten auch noch in der Föderalismuskommission um die Neuordnung der Länder und einer rationalere Aufteilung der Befugnisse zwischen Bund und Ländern. Das alles ist nicht als Schnellschuß in wenigen Wochen unter einen Hut zu bringen.

Das Regierungslager und insbesondere der Bundeskanzler scheinen inzwischen wohl selber zu erkennen, daß ihr Zeitplan nicht realistisch ist. Daher bauen sie jetzt schon eine zweite Front auf, um von ihrer Misere abzulenken. Neben dem Versuch, Keile in die Front jener zu treiben, die eine wirksame Steuerreform nur in Verbindung mit anderen tiefgreifenden Reformen unseres verkrusteten Staatswesens und vor allem ohne weitere ausufernde Staatsverschuldung mittragen wollen, wird ein Kleinkrieg auf allen sich nur bietenden Nebenschauplätzen entfacht. So werden aus Hohmann, Günzel, Nitzsche und anderen bislang eher im zweiten Glied der öffentlichen Wahrnehmung Stehenden "Affären" gemacht, welche das nichtlinke Lager insgesamt in rechte, antisemitische, revanchistische, ausländerfeindliche und wel- che reaktionären Ecken auch immer stellen sollen. Fritz Schenk
 
     
     
 
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