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Alle streiten um Schill

 
     
 
Die jüngste Umfrage unter Hamburgs Wahlvolk sieht Ronald Schill nach den Landtagswahlen am 23. September bereits ins Parlament einziehen. Die Nervosität unter den etablierten Parteien der Elbmetropole über die erst im vergangenen Sommer gegründete "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" des von seiner Behörde mittlerweile kaltgestellten Amtsrichters Schill wächst seitdem beträchtlich.

Schill war mit ungewohnt harten Urteilen seit Jahren zunehmend in Widerspruch geraten zur äußerst milden Justizpraxis der Hansestadt. Auf den zunehmend heftiger werdenden Druck von seiten seiner links eingestellten Kollegen und der Politik antwortete er mit offener Kritik. Hier gehe Rücksichtnahme auf die Täter vor Schutz der Opfer, protestierte Schill immer unverblümter. So müssen auch in Hamburg wie in anderen Großstädten Polizist
en die demoralisierende Erfahrung stets aufs neue machen, daß eben festgesetzte Straftäter nach kurzer Zeit von einem Richter wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Bei unter 21jährigen wird freigiebig das Jugendstrafrecht angewendet, obschon Tat und Täterprofil alle Attribute des Erwachsenseins aufweisen.

Das wollte Richter Schill nicht länger mit ansehen, ging in die Politik und gründete eine Partei. Von Beginn an schwante Hamburgs Politoberen, daß dieses Unterfangen keineswegs so hoffnungslos sein würde, wie sie öffentlich zunächst verlauten ließen.

Seit Beginn dieser Woche nun tobt ein wilder Streit unter den Hamburger Parlamentsparteien, wie mit dem bedrohlich wachsenden Neuling umzugehen sei. Auslöser: CDU-Fraktionschef Ole von Beust. Der hatte es vergangenen Sonntag gewagt, Schills "Rechtsstaatlern" öffentlich ein Koalitionsangebot für die Zeit nach den Bürgerschaftswahlen in acht Monaten zu unterbreiten. Ein Tabubruch, auch bundesweit gesehen. Denn die junge Gruppierung steht mit ihrem programmatischen Schwerpunkt Innere Sicherheit, Ausländerkriminalität und Ausländerrecht eindeutig rechts von der CDU. Für alle solche Ansätze gilt bislang das Dogma des Franz Josef Strauß, daß "rechts der Union keine demokratisch legitimierte" Partei entstehen dürfe.

SPD und Grüne sind blaß vor Entsetzen: "Die CDU macht einen Schlips-und-Kragen-Extremisten hoffähig", schäumt SPD-Fraktionschef Holger Christier. Ein "Rechtspopulist" sei Schill, so Kurt Edler, Sprecher der Grünen (in Hamburg: GAL).

Doch auch der CDU-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer ist mit Beusts Vorstoß nicht glücklich. Er spricht den Schill-Wählern schlicht ab, "politisch Denkende" zu sein und träumt von einer Großen Koalition mit den Sozialdemokraten.

Das allgemeine Durcheinander hat seinen Grund nicht allein in erstaunlich guten Umfragewerten der "Rechtsstaatler" um Schill. Seine Truppe gewinnt überdies in rasantem Tempo feste Mitglieder. In nur einem halben Jahr ihres Bestehens traten bereits 740 Elbhanseaten bei. "Und jeden Monat kommen gut hundert dazu", heißt es. Hamburgs FDP zählt gerade noch 1150 Mitglieder, und so gut wie keiner "kommt dazu".

Schill ist Stadtgespräch. Denn was ihn in die Politik getrieben hat, schlägt auch einer zunehmenden Zahl von Hamburgern immer heftiger auf den Magen. Kriminalität, oft in Zusammenhang mit Verstößen gegen das Asyl- und Ausländerrecht oder Drogenmißbrauch, prägt das Straßenbild in einem Maße, das immer mehr Bürgern einfach unerträglich erscheint. Insbesondere die Kinder- und Jugendkriminalität ist regelrecht explodiert. So hat sich bei Straßenraub in Hamburg die Zahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren zwischen 1989 und 1999 mehr als verzehnfacht. Wer den Hauptbahnhof oder angrenzende U-Bahn-Stationen durch bestimmte Ausgänge verläßt, muß sich durch die Reihen verhärmter Drogensüchtiger und ihrer Dealer regelrecht hindurchzwängen. Die verbotenen Rauschmittel werden laut feilgeboten wie auf dem Rummelplatz. Auch vor den sogenannten, von der Stadt unterhaltenen "Fixerstuben" herrscht Jahrmarktsatmosphäre. Greifen Beamte gegen die meist ausländischen Drogenhändler doch einmal beherzt durch, müssen sie sich auf einen "Polizeiskandal" wegen "ausländerfeindlicher Übergriffe von Beamten" gefaßt machen.

Nicht allein Schill-Anhänger sehen hierin ein erbärmliches Versagen der Politik und geben den "Etablierten" insgesamt die Schuld – nicht nur den regierenden Rot-Grünen. CDU-Mann Beust hatte sich im Problemviertel "Schanze" vor Jahren schon den Unmut der Anwohner zugezogen, als er vor Ort allen Ernstes darum warb, auch Verständnis für das Schicksal der afrikanischen Drogendealer aufzubringen. "Wenn der uns hier eine bessere SPD anbieten will, kann er gleich wieder gehen", lautete der bissige Kommentar eines Zuhörers.

Vergangenen Sonntag versammelten sich die "Rechtsstaatler" zum Programmparteitag. Das Wahlprogramm, das dort verabschiedet wurde, hat es in sich: "Null Toleranz für alle Gesetzesbrecher und Gewalttäter" lautet die Devise, die in eine breite Palette konkreter Forderungen umgesetzt wird. So etwa soll die Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre herabgesetzt werden. Gerade zwölf- und 13jährige "Kinder" werden gezielt als Drogenkuriere eingesetzt oder verüben in erheblichem Maße Straftaten (s. o.) in dem Bewußtsein, ohnehin nicht belangt zu werden. Ausländer sollen im Falle von nachgewiesenem Drogenhandel oder Führen scharfer Waffen sofort ausgewiesen werden. Generell solle abgeschoben werden, wenn ein Nichtdeutscher zu einer Haftstrafe von einem Jahr (bislang drei) oder mehr verurteilt wurde.

Die sogenannten "Fixerstuben" will die neue Partei schließen, das widerrechtlich besetzte Linksextremisten-Zentrum "Rote Flora" umgehend räumen.

Auch in Bereichen wie Wirtschaft, Soziales, Haushalt oder Schule dürften die Forderungen der Schill-Partei auf Sympathie im bürgerlichen Lager treffen.

Ole von Beust wird eigentlich dem linken CDU-Flügel zugerechnet, weshalb sein Zugehen auf Schill dem ersten Anschein nach verblüffen mag. Doch Beust geht es vor allem darum, am 23. September unbedingt Bürgermeister zu werden. Daher gab er nicht nur an Schill, sondern gleich auch an die linke GAL, die farblos-bürgerliche "STATT Partei" und die FDP Koalitionsangebote. Nur an die SPD nicht, weil er hier höchstens Juniorpartner wäre.

Diese sehr persönliche Sorge quält seinen Parteichef Dirk Fischer natürlich nicht. Als Bundestagsabgeordneter sieht er vielmehr den Tabubruch, mit "Rechts" zu koalieren und wittert die bundesweite Signalwirkung. Noch ist die "Rechtsstaatliche Offensive" fast völlig auf Hamburg beschränkt, verfügt indes bereits über kleine Anhängergruppen in weit entfernten Gegenden Deutschlands – "sogar in Nürnberg", wie stolz vermeldet wird. Ist die Schill-Partei erst einmal ins Landesparlament (oder gar in den Senat) eingezogen, könnte sie für eine CDU ohne Kohl und politisches Charisma noch lästig werden. So mancher in der Berliner Parteizentrale dürfte auf Ole von Beust zur Zeit nicht gut zu sprechen sein.

 
     
     
 
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