|
Vor 100 Jahren starb in Kiel einer der bedeutendsten Dichter niederdeutscher Sprache: Klaus Groth. In Norddeutschland wurde seiner in vielerlei Veranstaltungen gedacht. Und es scheint so, als beginne die Bedeutung seiner Dichtung, die insbesondere in der Sprachwissenschaft immer eine wichtige Rolle gespielt hat, auch öffentlich wieder zu wachsen. In einer Zeit, in der man sich in Europa des Schutzes der Regionalsprachen erinnert.
Niederdeutsch war nicht nur die Sprache des Volkes, sondern in der frühen Neuzeit auch die Schriftsprache und durchaus auch die Sprache, in der hohe Literat ur verfaßt wurde in dem Gebiet zwischen dem Niederrhein und Ostdeutschland. Sprach man im westlichsten Zipfel dieser Region das Niederfränkische, schlossen sich im Osten Landschaften an, in denen man unter dem Überbegriff Westniederdeutsch die Dialekte Westfälisch, Ostfälisch und Nordniedersächsisch sprach, so in Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. In Mecklenburg und Vorpommern sowie im Brandenburgischen, aber auch in Hinterpommern und in Ostdeutschland waren die Dialekte des Ostniederdeutschen Zuhause. Im Lexikon kann man die wichtigsten Unterscheidungen des Niederdeutschen zum Hochdeutschen nachlesen: In der sogenannten Hochdeutschen Lautverschiebung im etwa 6. und 7. Jahrhundert nach Christus änderten sich die deutschen Mundarten südlich der "Benrather Linie", indem sich Konsonanten aus heute nicht mehr nachvollziehenden Gründen verschoben. In Nordwest- und Norddeutschland blieb man bei den alten Konsonanten. Und diese Form wurde durch deutsche Siedler auch nach Nordostdeutschland getragen. Das Niederdeutsche ähnelt den alten Germanischen Sprachen weit mehr als das Hochdeutsche. Zur Zeit der Hanse verkehrten die Geschäftspartner untereinander schriftlich wie mündlich in Niederdeutsch, wie es in Lübeck gesprochen wurde. Es entstand eine bedeutende Literatur in eben dieser Sprache. Erinnert sei etwa an die "Sächsische Weltchronik", an "Reynke de Vos" und das Schauspiel "Redentiner Osterspiel". Nach und nach verdrängte das Hochdeutsche auch in Norddeutschland das Niederdeutsche, zunächst als Kirchen- und Verwaltungssprache, dann auch als Umgangssprache in den Städten, dann auch auf dem Lande, doch hat sich dort häufig als Umgangssprache das Plattdeutsche in seinen Dialekten erhalten. Weithin aber galt und gilt das Niederdeutsche als die Sprache des "einfachen Volkes".
In dieser Zeit des Niedergangs des Niederdeutschen wurde im Jahre 1815 in Heide in Dithmarschen als Sohn eines Müllers Klaus Groth geboren. Nach heutigen Maßstäben wuchs er unter ärmlichen Verhältnisse auf, doch hatte die Familie wohl immer genug zu essen. Die Bildungsmöglichkeiten waren für ein Kind wie Groth bescheiden. In der Dorfschule war er stets mit Abstand der Beste. Mit Eifer lernte er auch außerhalb des Unterrichts. Sein Lehrer vermittelte ihn als Schreiber zum Kirchspielvogt. Dort bildete er sich autodidaktisch weiter, bis er die Aufnahmeprüfung zum Lehrerseminar im nordschleswigschen Tondern ablegen konnte. Dort studierte er einige Jahre und bildete sich auch außerhalb des Studiums mit wahrem Heißhunger weiter. Die Abschlußprüfung bestand er "mit sehr rühmlicher Auszeichnung". Einige Jahre fristete er sein Leben als Hilfslehrer an der Mädchenschule in Heide. Er gründete in Heide einen Männergesangverein, der für Deutsche Einheit und demokratische Mitbestimmung des Volkes eintrat. 1845 konnte er als Vertreter Dithmarschens am Deutschen Sängerfest in Würzburg teilnehmen, das eine Demonstration für ein einiges Deutschland ohne die partikularistischen Interessen der Fürsten wurde.
Einige von ihm in Hochdeutsch verfaßte Gedichte fanden noch keine besondere Beachtung. 1852 aber erscheint in einem Hamburger Verlag seine niederdeutsche Gedichtsammlung "Quickborn". Das Buch wird ein sensationeller Erfolg. Hier hatte jemand das als primitive Sprache verachtete Niederdeutsch, das bestenfalls für literarische Possen gut zu sein schien, in den Rang einer Kunstlyrik erhoben. Die Volkssprache wurde durch Groth zum Ausdrucksmittel einer künstlerischen und volkhaften Lyrik. Bald folgten weitere Auflagen. Der "Quickborn" wurde erweitert. Theodor Storm äußerte sich begeistert. Er nennt das Werk "ein rechtes Hausbuch, ein Buch für jedermann ... Der Verfasser hat den Beweis geliefert, wie sehr die plattdeutsche Sprache ... im Ausdrucke der Innigkeit und des Humors unserer hochdeutschen Sprache den Rang abgewinnt." Der Kieler Germanist Prof. Dr. Möllenhoff holt Groth nach Kiel. Klaus Groth schreibt weiter, aber nicht nur Gedichte, sondern auch theoretische Schriften über das Niederdeutsche, und begründet, warum die Sprache es wert ist, nicht unterzugehen. Er ist der Begründer der niederdeutschen Sprachpflege.
Als in Mecklenburg Fritz Reuter seine plattdeutschen Romane und Erzählungen veröffentlicht, empfindet Klaus Groth sie als zu krawallig, zu derb, zu grob. Ihm scheint, daß Reuter sich nicht ausreichend um Sprachform und Ästhetik kümmert. Er kommt zu einem literarischen Streit zwischen den beiden Dichtern.
Groths Vorbilder sind der Allemanne Johann Peter Hebel und der Schotte Robert Burns, von dem er einige in englischer Sprache verfaßte Gedichte und Balladen ins Niederdeutsche überträgt. Dem immer neu aufgelegten "Quickborn" folgen niederdeutsche Erzählungen und sprach-theoretische Erörterungen. Die Universität Bonn verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Zehn Jahre später erhält er von der Universität Kiel den Professorentitel. 1875 erhält er den Ehrenpreis der Deutschen Goethe-Stiftung, Weimar, und einige Jahre später eine Ehrengabe der Deutschen Schiller-Stiftung. Als Groth an die Universität ein Gesuch richtet, die Nachfolge des nach Berlin wechselnden Germanisten Möllenhoff anzutreten, lehnt die Universität ab. Überraschend ist auch das heute noch lebhafte Echo von Groths Dichtung in Flandern. Hier scheint es vor allem sein Gedicht "Min Modersprak" zu sein, das im Flandern des 19. Jahrhunderts verwandte Saiten anschlägt:
"Min Modersprak, wat klingst du schön!
Wat büst du mi vertrut!
Weer ok min Hart as Stahl und Steen, du drevst den Stolz herut...
So herrli klingt mi keen Musik und singt keen Nachdigal; mi lopt jf glik in Ogenblick de helle Tran hendal."
Offenbar traf dies Gedicht die Stimmungslage der Flamen, deren Sprache lange Zeit von der französischen Herrschaftsschicht unterdrückt worden war, in ganz besonderer Weise. Der große flämische Dichter Guido Gezille übertrug Groths Gedicht ins Flämische. Weitere folgten, die einen Siegeslauf durch Flandern und die Niederlande nahmen.
Wenige Wochen vor seinem Tode 1899 wurde Klaus Groth Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Heide und der Stätte seines Wirkens Kiel, die seiner mit einem würdigen Festakt gedachte.
|
|