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Dem Pilger aus Rom fliegen die Herzen zu

 
     
 
Den ganzen Tag war es trüb und regnerisch. Doch als Papst Benedikt XVI., der Deutsche, in Auschwitz-Birkenau zum Gebet eintraf und der Klagepsalm 22 "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" intoniert wurde, bahnte sich die Sonne den Weg durch den verhangenen Himmel und ein Regenbogen verband Himmel, und Erde. Ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen am Ende der Sintflut. Symbolträchtiger konnte der Allmächtige seine Versöhnung mit den Menschen am Ort des Grauens nicht zeigen.

Der Papst widmete seine Pilgerreise nach Polen seinem Amtsvorgänger Johannes Paul II
. Wie dieser als Pole das ehemalige Konzentrationslager besuchte, so betete Benedikt als Deutscher in der Todeszelle Pater Maximilian Kolbes und im Außenlager Birkenau.

Benedikt XVI. kam zwar als "Sohn des deutschen Volkes" zum Gebet nach Birkenau. Doch in seiner tiefen Wahrhaftigkeit redete er wie selbstverständlich nicht der Kollektivschuldthese das Wort. Der Heilige Vater öffnete mit seinen Worten den Weg zu einer entpolitisierten Trauer um die Opfer des Nationalsozialismus, die ehrlich ist und nicht, wie von vielen deutschen Politikern praktiziert, gespielt. Schon Johannes Paul II. hatte die nationalpolnische Christenheit davon abgebracht, in Auschwitz "nur" einen Ort des rein polnischen Leidens zu sehen, und wirkte bei seinen Landsleuten damit entscheidend gegen den latenten christlichen Antijudaismus.

Zwei Päpste, zwei Tabubrüche. Ein Deutscher folgt einem Polen im Amt. Für den Oppelner Erzbischof Alfons Nossol ist dies ein "Luxus", den sich nur der Heilige Geist selbst habe erlauben können. Beide Patrioten ihrer Heimatländer - soweit man dies einem Papst überhaupt nachsagen kann - stehen, gewollt oder nicht, für die schwierige Überwindung des polnisch-deutschen Gegensatzes.

Die Pilgerreise auf den Spuren Johannes Pauls II. ist für Benedikt XVI. eine Pflicht, die er dennoch wie eine Kür absolviert. Er wandelt mit seinen Stationen in Warschau, Tschenstochau, Wadowice, Krakau und Auschwitz nicht nur auf den Spuren seines Vorgängers, sondern setzt dessen Werk auch bewußt fort. Seine Reise nach Polen ist in jeder Hinsicht eine Mission.

Sie begann mit einem Höflichkeitsbesuch bei Staatspräsident Lech Kaczynski. Die Begegnung blieb jedoch eher kühl und formal höflich. Kaczynskis Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ist Seniorpartner der amtierenden nationalistischen Regierung. Jene Partei also, die ihre Wahlsiege weitestgehend dem medialen Treiben des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk und seinem "Radio Marya" verdankt. Der katholische Rundfunksender fällt gelegentlich durch revanchistische und antisemitische Ausfälle auf. Wenn Benedikt XVI. nun in Warschau dem polnischen Klerus predigt, Priester seien als Seelsorger "Experten für die Begegnung von Gott und Mensch", nicht aber "Experten für Wirtschafts-, Bau- oder Politikfragen", so ist dies eine nicht zu überhörende Mahnung an "Radio Marya" und an die diesen Sender mittragenden Geistlichen der militant nationalkatholischen Bewegung.

Der Papst ließ indessen keinen Zweifel daran, daß er die tief verwurzelte und in Kriegen, Besatzungszeit und kommunistischer Diktatur gefestigte Volksfrömmigkeit der Polen schätzt. Während der von ihm gelesenen Messe auf dem Warschauer Pilsudski-Platz predigte Benedikt XVI. für einen starken Glauben und gegen die Relativierung des Evangeliums je nach Gutdünken des "modernen Menschen". Bei solchen Aussagen tritt wieder der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation Ratzinger in den Vordergrund. Dabei radebrecht er immer wieder zur Begeisterung der Meßbesucher auch einige Sätze in unbeholfenem Polnisch mit deutlich bayrischer Einfärbung. Auch, oder gerade weil er manchmal schüchtern und ungelenk wie ein Kommunionkind wirkt, fliegen ihm die Herzen zu.

Ein deutliches Zeichen für einen würdigen Umgang der katholischen Kirche mit den evangelischen Glaubensbrüdern in Polen setzte der Papst aber noch am Anreisetag durch seine Teilnahme an einer ökumenischen Begegnung in der lutherischen Dreifaltigkeitskirche von Warschau. Das Verhältnis zwischen den Konfessionen ist belastet. Polen ist zu 95 Prozent katholisch, und die gerade einmal 100000 evangelischen Christen, vor allem im südlichen Ostdeutschland und im Teschener Land, bekommen das dominante Gehabe der polnischen "Staatskirche" oftmals zu spüren. Das katholische Kirchenoberhaupt spricht in diesem Rahmen die Priorität seines Pontifikats offen an. Er sehe den Schwerpunkt seines Amtes in der "Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit zwischen den Christen". Für ihn, den Moraltheologen, scheint Ökumene gerade in Polen ein Akt der "aufrichtigen Nächstenliebe".

Balsam für die polnische Seele indessen ist der Besuch des Papstes im katholischen Heiligtum des Staates. Tschenstochau gilt als wichtigster Wallfahrtsort Mitteleuropas. Der Schwarzen Madonna, eine mittelalterliche Ikone, werden zahlreiche Wunder zugeschrieben, darunter die Abwehr eines Schwedeneinfalls im 17. Jahrhundert. Während der polnischen Teilungen bleibt die Schwarze Madonna der Fixpunkt der polnischen Volksseele. Jährlich pilgern vier Millionen Gläubige zu dem Kloster aus dem 14. Jahrhundert auf dem Hellen Berg, um der "Königin der Krone Polens" zu huldigen. Auch Karol Wojtyla ließ als Papst das Kloster auf keiner seiner Pilgerreisen nach Polen aus.

Hohe Bedeutung für den Selig- und Heiligsprechungsprozeß für Papst Johannes Paul II. wird auch Benedikts Besuch in Wadowice, "hier wo alles begann", und sein Gebet am Taufbecken seines Amtsvorgängers beigemessen. Der Geburtsort Wojtylas liegt 50 Kilometer von Krakau entfernt. Ratzinger erklärt den applaudierenden 15000 Pilgern, er hoffe, daß "wir in der nahen Zukunft die Seligsprechung und Heiligsprechung von Johannes Paul II. erleben werden." Die Hoffnung auf eine Seligsprechung bereits im Rahmen der Polenreise erfüllte er indessen nicht.

In Krakau war Karol Wojtyla vor seinem Pontifikat bis 1978 Bischof und Erzbischof. Zwei Millionen Menschen empfangen den deutschen Papst in der Stadt und nennen den Freund "ihres" Papstes auch "unser Papst". Ratzingers Portrait ziert ungezählte Fensterscheiben und Plakatwände im Krakauer Umland, und eine ungeahnte polnische Massenbegeisterung für den "guten Deutschen" macht sich breit.

Joseph Ratzinger schien als deutscher Papst mit (erzwungener) HJ-Vergangenheit eine schwere Pilgerfahrt anzutreten. Über 4000 Journalisten begleiteten die päpstliche Visite in Polen und sicherten eine weltweite Beobachtung gerade dieses Auslandsaufenthaltes.

Auch die Direktübertragung des Papstbesuchs in Auschwitz durch das ZDF zog durchschnittlich 1,5 Million Zuschauer an, was für eine vierstündige Sendestrecke durchaus beachtlich ist. In Polen selbst sahen über drei Millionen Gläubige den Papst unmittelbar. Was von der Reise nachhallt, das ist sein Besuch in Auschwitz-Birkenau.

Ein Satz Benedikts zum Umgang mit ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern in der polnischen Priesterschaft mag auch Gültigkeit haben für jene, die das Gebet Benedikts am Shoa-Mahnmal kritisieren und nicht loskommen von der kollektiven Verurteilung aller Deutschen im Sinne eines "Tätervolks". Er verurteile "die "Arroganz späterer Generationen", die schon Urteile fällen, ohne die Notlagen von Menschen zu anderen Zeiten zu kennen.

Zurück bleibt die Hoffnung, daß sich auch in Deutschland die Erkenntnis durchsetzt, daß Schuld immer persönlich ist und deshalb auch nur die persönliche Reue und Buße zu Vergebung führen können.

Die Pilgerreise Benedikts XVI. war im Ergebnis nicht nur für Polen, sondern auch für Deutschland eine bedeutende Lehrstunde in Sachen Moral und gelebte Nächstenliebe.

Dem Papst zu Ehren: Die Polen bereiteten Benedikt XVI. einen freundlichen Empfang.
 
     
     
 
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