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In seiner kleinen, zauberhaften Novelle "Der spanische Rosenstock" beschreibt der deutsche Dichter Werner Bergengruen die Liebesgeschichte eines Paares, das sich trotz langjähriger Trennung bemüht, treu zu bleiben, und sich dafür eines Rosenstocks bedient, dessen Blühen oder Welken ihnen die Kraft ihrer Liebe anzeigt. Der Rosenstock kommt abhanden, die Herzen gehen in die Irre, finden am Ende aber wieder zueinander, und Bergengruen formuliert den ebenso tiefsinnigen wie dauerhaft gültigen Satz: "Denn wohl erprobt sich die Liebe in der Treue, aber sie vollendet sich erst in der Vergebung."
An diese christliche Wahrheit wird erinnert, wer in diesen Wochen länger über Berufungen und Karrieren in der Kirche nachdenkt. Papst Johannes Paul II . hat im Jubeljahr 2000 vor Gott und den Menschen manche Schuld von Kirchenführern verkündet und um Vergebung gebeten. Er hat mit unglaublichem Langmut und endloser Geduld in immer neuen Briefen und Schreiben versucht, die deutschen Bischöfe davon zu überzeugen, daß die Kirche sich nicht mitschuldig machen dürfe an der Tötung unschuldiger Menschen, insbesondere an den heute von Staat und Gesellschaft schutzlos preisgegebenen Kindern im Mutterleib. Er hat trotz der Verstocktheit und Manipulation mancher Bischöfe und trotz der Verquickung kirchlicher und politischer Kreise die deutsche Kirche nie aufgegeben. Er hat Unverständnis der Romtreuen und Verachtung der Romgegner in Kauf genommen. Er hat immer auf die Versöhnung gesetzt, und es ist nur folgerichtig, daß er selbst nach wie vor bereit ist zu vergeben. Man darf wohl annehmen, daß diese Haltung des Heiligen Vaters bei der einen oder anderen Kardinalsernennung eine Rolle gespielt hat. Er wollte die deutsche Provinz befrieden.
Vergebung und Schuld, Versöhnungsbereitschaft und Treue sind personenbezogene Begriffe. Aber sie haben bei Amtsträgern auch eine gesellschaftliche Komponente. Ziel ist das Gemeinwohl, nicht die Karriere. Ob die betroffenen Neu-Kardinäle dies auch so sehen, muß man freilich ihnen überlassen. Auch ob und wie sie auf ihre Ernennung und die damit verbundenen Aufgaben und den Auftrag, Zeugnis zu geben, reagieren werden, gehört in den Bereich von persönlicher Entscheidung, von Freiheit und Verantwortung vor Gott. Wird ihr Zeugnis entsprechend dem blutroten Purpur mutig und ohne Angst vor medialer Verfolgung ausfallen oder werden sie wie fast alle der zwölf Apostel im Ernstfall abtauchen, sich mit dem Volk und der veröffentlichten Meinung gemein machen? Man kann nur beten und sollte das auch tun , daß sie sich des Amtes würdig erweisen.
Vier neue Kardinäle hat Deutschland nun vorzuweisen. Nach der üblichen Bewertung in den Medien werden zwei (Joachim Degenhardt und Leo Scheffzyk) dem konservativen, die zwei anderen (Karl Lehmann, Walter Kasper) dem progressiven Lager zugeordnet. Wie immer man diese mentalen Schubladen der Zuordnung, die den Personen und ihren Leistungen sicher nicht gerecht werden, beurteilen mag, aus den Veröffentlichungen und Verlautbarungen läßt sich entnehmen, daß die ersten beiden sich gegenüber Rom weniger kritisch verhalten haben als die beiden anderen. Das alte Muster des Sowohl-Als-auch wird hier erkennbar, mit dem seit Jahrhunderten in Politik und Kirche kontroverse Situationen und Lagerdenken überwunden oder mindestens auf Eis gelegt wurden. Auch das gehört zur Befriedung, und damit verbunden ist ja auch die Hoffnung, daß die Wahrheit sich durchsetzt, auch im künftigen Verhalten der eher kritisch gesinnten Kardinäle.
Sicher ist, daß vor allem die überraschende Ernennung des Mainzer Bischofs und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, zum Kardinal nicht ohne Folgen bleiben wird. Weder für die Kirchenprovinz Deutschland noch für die Weltkirche. Das mag auch ein Kalkül bei der Ernennung gewesen sein. In der Tat, Kardinal Lehmann hat jetzt mehr denn je auch ein Eigeninteresse, mit Rom konform zu gehen. Die Probleme, die demnächst auf die Kirche in Deutschland zukommen, sind so gewaltig und der Rückhalt in den ursprünglich christlichen politischen Parteien so gering, daß die Kirche hierzulande nur noch in Einheit mit der Universalkirche Einfluß ausüben kann. Man kann die Situation durchaus mit der geistigen Verwirrung der vierziger Jahre vergleichen, als der Löwe von Münster und spätere Kardinal, Clemens August Graf von Galen, dessen 55. Todestag sich am 22. März jährt, in einer seiner letzten Predigten meinte: "Das Böse und das Gute liegen in einem gigantischen Kampfe, und wir müssen stolz sein, Zeugen dieses gewaltigen Ringens und Mitwirkens in demselben zu sein. Freilich hat jetzt niemand mehr das Recht, ein Mittelmäßiger zu sein."
Die anstehenden Fragen sind nicht rein theologisch, sie betreffen die Natur des Menschen, und zwar nicht nur die Entscheidung über Leben und Tod das wäre schon bedeutsam genug , sondern auch die Beschaffenheit des Lebens selbst, mithin die Ausgrenzung und Vernichtung anderen Lebens. Das größte Problem in diesem Sinn ist der Eingriff in die Schöpfung durch die Gentechnik. Im Februar wurde der Genatlas des Menschen präsentiert, gewaltige Hoffnungen werden daran geknüpft. Aber die Entdeckung der genetischen Infrastruktur des Menschen birgt ebenso große Gefahren, vergleichbar der Entdek-kung der Atomkraft. Für die Beziehung des Menschen zu Gott ist die Aufschlüsselung des Erbguts aber bedeutsamer als die Entdek-kung der Atombombe. Es ist die Situation vor dem Apfelbaum. "Laßt uns den Menschen schaffen, wie wir ihn wollen, perfekt, nach unserem geistigen Vorbild", sagen sich nicht wenige Genomforscher. Großbritannien geht hier ohne Skrupel voran, die Bundesregierung scheint mehrheitlich dem pragmatisch-utilitaristischen Denken Blairs zuzuneigen und sucht noch Wege, wie sie das deutsche Embryonenschutzgesetz aushöhlen kann. Kulturstaatsminister Nida-Rümelin hat mit seiner willkürlichen, von den Briten bereits praktizierten Grenze vor der Einnistung der befruchteten Eizelle, also bis zum 14. Tag angezeigt, wohin die Reise geht. Auch die neue Gesundheitsministerin Schmidt will den Kurswechsel in der Gentechnik.
Ein weiteres Problem ist die aktive Sterbehilfe, in Holland, Belgien und andernorts wird sie be-reits praktiziert. Wieder ein anderes ist die geplante Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe, noch ein anderes die eklatante Ungerechtigkeit gegenüber Familien, die drohende Kollektivierung der Erziehung, die wachsende Intoleranz gegenüber der Kirche und die Verunglimpfung religiöser Gefühle, wofür die gerade vergangene Karnevalszeit wieder einmal schlagende Beispiele lieferte.
Viele dieser Probleme sind nur noch international anzugehen. Die Globalisierung erleichtert den Informationsfluß über die Grenzen, hebt aber auch allgemeine Probleme der Menschheit auf ein globales Niveau. Beispiel: Im September wird die Uno wieder eine große internationale Konferenz ausrichten, das "Gipfeltreffen für Kinder". Man muß damit rechnen, daß die Sexualfa-natiker der Uno dabei versuchen werden, ihre totalitären Sexualprogramme diplomatisch absegnen zu lassen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch Euthanasie und andere Elemente der Kultur des Todes international salonfähig gemacht werden. Nur eine universale Struktur, über die die Kirche sowohl in ihrem hierarchischen Aufbau als auch in ihrer inhaltlichen Kohärenz und Logik verfügt, kann diesem unmenschlichen Treiben Paroli bieten. Eine deutsche oder sonstige nationale Bischofskonferenz hat da kein Gewicht. Wohl aber der Papst. Ein Kardinal, der vor allem in Demokratien etwas zu sagen haben will, muß sich auf den Bischof von Rom stützen, und das geht nur, wenn er selbst den Pontifex maximus stützt. Man kann also berechtigte Hoffnung hegen, daß auch die neuen deutschen Kardinäle Lehmann und Kasper sich weniger romkritisch verhalten als bisher. Die Probe aufs Exempel dürfte nicht allzu lange auf sich warten lassen.
Allerdings gibt es auch Stimmen, die eher warnen. Kardinal Kasper etwa habe in den letzten Monaten verschiedentlich verlauten lassen, welche Probleme er auf die Kirche zukommen sieht: Diakonat der Frau, Wiederheirat Geschiedener, Priestermangel und "viri probati", Wahrheitsanspruch der Kirche. Das sind nun Fragen, die sämtlich in klaren Worten und offiziellen Texten des Papstes beantwortet wurden, etwa in "Dominus Jesus" oder im Text über die Würde der Frau "De Dignitatis mulieribus". Das zeige aber an, daß man auf das nächste Pontifikat setze, und in diesem Zusammenhang sei auch die Ernennung Lehmanns zu sehen. Der nächste Papst solle einer sein, der diese Fragen neu aufwerfe und so den jetzigen Papst auch korrigieren könne. Um in einem vom jetzigen Papst weitgehend geprägten Konsistorium solch einen Nachfolger auf den Schild zu heben, brauche man einen erfahrenen Integrationsfachmann, einen, der Fraktionen bilden und zu Mehrheiten erweitern könne. So einer sei Lehmann.
Und für wenn solle er Fraktionen bilden und erweitern? Durchgesickert ist, daß die Kardinäle Lustiger (Paris), Vlk (Prag), Martini (Mailand) und Daneels (Holland) direkt und über Kardinal Sodano den Heiligen Vater erheblich unter Druck gesetzt hätten, Lehmann zum Kardinal zu ernennen. Angenommen, das trifft zu, dann dürfte mancher aus dem Kleeblatt der Kardinäle sich wohl selbst eine Chance ausrechnen, einschließlich Kardinal Sodano selbst. Aber Sodano hat eine Schwachstelle. Er war lange Jahre Nuntius in Chile, zu Zeiten, da dort der Diktator Pinochet die Menschenrechte massiv verletzte. Über heftige Proteste und Demarchen von seiten der Nuntiatur ist jedoch nichts bekannt geworden. Diese Schwachstelle macht Sodano für Argumente empfänglich.
Allerdings schmälert das auch seine Chancen. Ein auch nur ansatzweise oder medial belastbarer Papst träte das Amt mit einer gewissen Hypothek an. Das wäre auch für einen Mann des Übergangs, wie das nächste Pontifikat allgemein eingestuft wird, kaum vermittelbar, wie es so schön gedrechselt in der hölzernen Sprache der Politik heißt. Außerdem soll es ja wieder ein Italiener sein, die übrigens mit 40 Kardinälen die größte nationale Gruppe im Konsistorium stellen. Also Sodano und Lehman als Wegbereiter für Martini? Wird fortgesetzt
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