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Der sogenannte Clash of Cultures, der zur Zeit in aller Munde ist, beruht zum Teil auf gegenseitigem Unverständnis. So haben viele im Westen kein Verständnis dafür, daß die islamisch-arabische Welt Freiheit und Demokratie abzulehnen scheint. Anders können diese es sich nicht erklären, daß jene auf die Willenserklärung der USA, dem Nahen und auch Mittleren Osten Freiheit und Demokratie zu bringen, statt mit Begeisterung mit Ablehnung reagiert. Um diese Reaktion verstehen zu können, muß man jedoch nicht Moslem oder Religionswissenschaftler sein. Es hilft bereits ein gutes Stück weiter, wenn man sich vor Augen führt, welche Erfahrungen die Araber mit angelsächsischen Freiheits- und Demokratieversprechen vor knapp neun Jahrzehnten gemacht haben.
Im Ersten Weltkrieg suchten die Briten Verbündete, und deshalb umwarben sie auch die Araber im Osmanischen Reich. So versprach die englische Regierung Hussein aus dem Stamm der Beni Haschem, Abkömmling des Propheten Mohammed und Scherif von Mekka in der 38. Generation, in dessen Korrespondenz mit dem britischen Hochkommissar in Ägypten, Henry MacMahon, die Anerkennung eines unabhängigen arabischen Staates einschließlich des geographischen Syriens und Mesopotamiens (des Irak), wenn denn die Araber auf der Seite der Entente in den Krieg eintreten. Die Araber erfüllten die von den Engländern genannte Vorbedingung und begannen einen teilweise opferreichen Aufstand in der Wüste gegen die Osmanen.
Das hinderte die Briten jedoch nicht daran, das den Arabern als Gegenleistung für ihre Kriegsbeteiligung versprochene Territorium zwischen den Franzosen und sich aufzuteilen. Wenige Wochen vor dem Beginn der Erhebung der Araber, am 16. Mai 1916, schlossen die beiden Entente-Mächte das Sykes-Picot-Abkommen. In diesem aus gutem Grunde geheimen Abkommen fanden die Franzosen ihre Ansprüche auf Syrien berücksichtigt. Hinsichtlich des ebenfalls von Frankreich beanspruchten Palästina einigte man sich darauf, daß es internationaler Verwaltung unterstellt werden soll.
Um auch die Zionisten und insbesondere die amerikanischen Juden für die Sache der Alliierten zu gewinnen, gab die englische Regierung eine Sympathieerklärung ab, die von Außenminister Arthur J. Balfour dem Zionistenführer Lionel W. Rothschild übermittelt wurde. In dieser sogenannten Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 sagt die britische Regierung ihre Unterstützung für "die Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk" zu.
Es sind die Bolschewiki, die das doppelte Spiel der Engländer aufdecken, indem sie nach der erfolgreichen Oktoberrevolution des Novembers 1917 mit anderen zaristischen Geheimdokumenten auch das Sykes-Picot-Abkommen und die Balfour-Deklaration veröffentlichen. Heute sind die Araber schlauer, aber damals waren sie noch derart naiv im Umgang mit den Angelsachsen, daß sie der britischen Regierung Glauben schenkten, als diese sich im ersten Halbjahr des darauffolgenden Kriegsjahres 1918 in mehreren Erklärungen erneut zur "vollständigen und souveränen Unabhängigkeit der Araber" und zu einer Nachkriegsregelung nach dem Prinzip der Zustimmung der Regierten, um nicht zu sagen: zur Demokratie, bekannte.
Am Ende jenes Jahres war der Erste Weltkrieg zu Ende. Die Osmanen hatten ihn verloren und zogen sich aus Arabien in die Türkei zurück. Die Araber hatten ihn mit den Engländern gewonnen und forderten nun ihren Lohn ein. Nachdem in Syrien Teilwahlen stattgefunden hatten, trat dort am 2. Juli 1919 ein "Allgemeiner Syrischer Kongreß" zusammen, der die sofortige Unabhängigkeit Syriens einschließlich Libanons und Palästinas forderte.
Der Westen jedoch reagierte, wie er auch heute reagiert, wenn in der Region Wahlen Ergebnisse zeitigen, die ihm nicht passen: Er ignorierte sie. Auf einer vom 19. bis 26. April 1920 in San Remo tagenden Konferenz einigten sich die Alliierten darauf, die arabischen Provinzen des Ottomanischen Reiches im Geiste des Sykes-Picot-Abkommens einvernehmlich unter sich aufzuteilen. Frankreich sollte ein Mandat für Syrien einschließlich Libanon und Großbritannien eines für Mesopotamien erhalten. Palästina sollte Mandat des Völkerbundes werden, der es wiederum England übertragen sollte. Angesichts dessen, daß der Völkerbund nicht nur vom Westen gegründet, sondern auch von diesem dominiert wurde, kann es niemanden verwundern, daß er die Ergebnisse der Konferenz bestätigte und die Mandate billigte.
Bereits wenige Monate später, im Juli 1920, marschierten die Franzosen in Damaskus ein und nahmen Syrien in ihren Besitz. Die Briten stießen in den ihnen zugestandenen Gebieten jedoch auf Widerstand. In Mesopotamien kam es zu schweren antienglischen Unruhen. Und in Palästina begannen sich die Araber gegen die Durchführung des zionistischen Programms zu organisieren. Die Briten beschlossen daraufhin, die Söhne des 1853 geborenen Scherifen Hussein von Mekka zu korrumpieren. Den Ältesten, Faisal, machten sie 1921 zum König des Irak. Der Begriff "König" darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Land erst ein knappes Jahrzehnt später, 1930, in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Und den arabischen Kritikern ihrer prozionistischen Politik kamen die Engländer insoweit entgegen, als sie den Geltungsbereich der Balfour-Deklaration auf Palästina westlich des Jordans beschränkten. Das abgetrennte Gebiet übergaben sie am 28. März 1921 Faisals jüngerem Bruder Abdullah (Abdallah) zur Verwaltung. Zwei Jahre später, am 25. März 1923, wurde das Gebiet zum selbständigen Emirat Transjordanien unter britischer Mandatsverwaltung. Es bedurfte erst noch eines zweiten Weltkrieges, bis dieser Teil der islamisch-arabischen Welt in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Am 22. Mai 1946 gewährte England Transjordanien im Vertrag von London die Unabhängigkeit. Drei Tage später nahm der Emir den Königstitel an.
Die Entlassung in die Unabhängigkeit, der knapp zwei Jahre später die Gewährung der Souveränität durch den britisch-jordanischen Vertrag über die Neuregelung der Truppenstationierung vom 15. März 1948 folgte, war der Dank der Kolonialherren für Abdullahs militärische Unterstützung im kurz zuvor beendeten Zweiten Weltkrieg. Auch nach dem Krieg setzte Abdullah seine proenglische und prowestliche Politik fort. Angesichts der hier nur ansatzweise beschriebenen Erfahrungen mit der angelsächsischen und westlichen Nahostpolitik wurde Abdullah diese Zusammenarbeit seitens seiner Landsleute als Kollaboration ausgelegt, was ihn das Leben kostete. Am 20. Juli 1951 Juli fiel er vor der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem einem Attentat zum Opfer.
Sein Nachfolger wurde sein wegen dessen physischer Labilität von ihm stets verachteter ältester Sohn Talal. Dessen Regierungszeit währte nicht lange. Jordaniens zweitem König wurde unterstellt, geisteskrank zu sein, und auf einer geheimen Parlamentssitzung wurde der Thronwechsel beschlossen. Am 11. August 1952 verzichtete Talal auf die Krone zugunsten seines noch minderjährigen Sohnes Hussein. Bis zur Erlangung der Volljährigkeit führte ein Kronrat die Regierungsgeschäfte.
Am 2. Mai 1953 wurde Hussein inthronisiert. Der junge König war zu diesem Zeitpunkt siebzehneinhalb Jahre alt, aber nach dem arabischen Lunar-Kalender nunmehr volljährig. Hussein blieb sowohl das Schicksal seines Großvaters, von fremder Hand getötet zu werden, als auch jenes seines Vaters, die Krone zu verlieren, erspart. Vielmehr war ihm die bisher längste Regierungszeit der bis heute vier jordanischen Könige vergönnt. Sie endete erst nach über viereinhalb Jahrzehnten, als der "politische Methusalem der arabischen Welt" am 7. Februar 1999 in seiner Hauptstadt Amman einem Krebsleiden erlag.
Seitdem regiert Abdullah (Abdallah) II. Jordanien, dieses Haschemitische Königreich, das mehr oder weniger sinnig und treffend auch schon einmal als "künstliches Gebilde, resultierend aus einer kuriosen Kombination von Großmacht-Rivalitäten, sich widersprechenden Abmachungen, Geheimverträgen und einer Vielzahl persönlicher, familiärer und Stammes-Loyalitäten", als "Kunstprodukt, das auf der Landkarte wie ein Schnittmusterbogen aussieht, wie ein kurzgeratenes Kinderhemd mit einem langen Ärmel und einem ganz und gar verkorksten Kragen", als ein "Gebiet, das wie ein Schraubstock zwischen Ägypten, Syrien und Israel eingepreßt ist" oder als "zufällige Spätgeburt aus imperialistischen Interessenverschlingungen und arabischen Erneuerungsträumen" charakterisiert wird.
Abdullah I. (sitzend): Jordaniens erster König im Jahre der Erlangung der Unabhängigkeit |
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