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Der Politiker und sein willfähriges Publikum, die Masse und die Macht der Rede, Rhetorik und Botschaft - und über allem: wie konnte ein Redner namens Adolf Hitler, der die wichtigsten Regeln der Redekunst außer acht ließ, solche Triumphe als Agitator feiern?
Diese und ähnliche Fragen beherrrschten die am 25. März in Wien abgehaltene Podiumsdiskussion anläßlich der Aufführung des Theaterstückes "Schüler Hitler". Es handelt sich um die Dramatisierung der Tagebuchaufzeichnungen von Paul Devrient (alias Paul Stieber) aus dem Jahre 1932, als dieser ein halbes Jahr hindurch Hitler Sprechunterricht erteilt und die Dialoge schriftlich festgehalten hatte. Stieber war durch Adoption Mitglied der Schauspielerfamilie Devrient geworden und hatte Karriere als Opernsänger gemacht. Nach 1945 spielte er als Paul Stieber nur mehr Nebenrollen in Filmen und geriet langsam in Vergessenheit. Jedoch fühlte er sich mitschuldig am Aufstieg Hitlers, da er meinte, durch seinen Unterricht zu dessen Macht-ergreifung beigetragen zu haben. 1971 überließ er seine Unterlagen Professor Dr. Werner Maser, der diese mit umfangreichen Kommentaren versehen erstmals 1975 veröffentlichte. Vor wenigen Tagen wurde eine Neuauflage vom Verlag Langen Müller vorgelegt.
Die Podiumsdiskussion stand unter der Moderation von Univ. Prof. Dr. Wolfgang Mühl-Benninghaus, dem Spezialisten für Filmtheorie und Filmgeschichte aus Berlin. Im Mittelpunkt des Geschehens stand Prof. Maser, der dem Publikum ausführlich die Lebensgeschichte Devrients und sein Verhältnis zu Hitler nahebrachte. Er deutete - in Übereinstimmung mit den übrigen Teilnehmern - die geistige Einstellung Devrients im Jahre 1932 als ausgesprochen unpolitisch, der seinen Ehrgeiz daran setzte, Hitler eine regelgerechte Aussprache und Atemtechnik beizubringen, aber am brisanten Inhalt von dessen Reden nichts auszusetzen hatte.
Er merkt zum Beispiel nicht, welche Animosität und Aggression aus vielen Passagen hervorquellen, und hilft sogar, noch schärfere Ausdrücke zu finden. Maser stellte heraus, wie abstoßend und verletzend diese Passagen für die politischen und ideologischen Feinde Hitlers gewesen sein müssen: es handelt sich um einen aufwühlenden, äußerst radikalen Ton, der die heutigen Zeitgenossen vor den Kopf stößt, der aber genau die Stimmungslage der damaligen Zuhörer getroffen hat. Waren diese Zuhörer bereits fanatisiert, ohne sich der Brisanz des Inhalts bewußt zu werden, haben sie sich von Hitler mitreißen lassen oder wollten sie gar etwas Anderes, Unbestimmtes? Dieser Frage gingen der Theaterwissenschaftler Univ. Prof. Dr. Wolfgang Greisenegger und der Schriftsteller Dr. Donon Rabinovici nach, wobei Untersuchungen zufolge Hitler zwar vielfach gegen die Regeln der Rhetorik verstoßen, aber dennoch bekanntermaßen erstaunliche Erfolge erzielt habe. Wie ist dies zu erklären? Eine Antwort lautete, daß es die Person Hitlers, seine Ausstrahlung oder Suggestivkraft gewesen sei, die genau solche Gefühle wachgerufen habe, die in den Zuhörern bereits geschlummert hätten. Eine diffuse, aber mächtige Erwartungshaltung diente als unverzichtbare emotionale Voraussetzung, die der Redner Hitler brauchte, um von ihr getragen zu werden und sie zu erfüllen. Bei vielen Gelegenheiten schwang ein geradezu messianisch-religiöses Pathos mit, eine Art "Glaubensbotschaft", die von der Menge begierig aufgesogen und enorm verstärkt wurde. Die Massen der Zuhörer beachteten nicht die Fehler der Aussprache, sondern ließen sich vom Redeschwall in einen gefühlsmäßigen Taumel versetzen, der mit dem Inhalt der Rede kaum etwas zu tun hatte. Wahrscheinlich war es die Kraft der Überzeugung, die den Zuhörer in Bann schlug und der jeweiligen Botschaft zustimmen ließ. Maser berichtete von Experimenten mit ehemaligen Studenten, die beim Anhören von Hitlers Reden ihre Kritik an die fehlerhafte Form hefteten, aber vom Inhalt so gut wie nichts im Gedächtnis behielten. Dieser Umstand wurde auch Greisenegger bestätigt, wonach selbst eine Rhetoriklehrerin sich bei der Analyse von Hitlers Reden nicht seiner Faszinationskraft entziehen konnte.
Wie auch Rabinovici ausführte, kam und kommt es bei politischen Veranstaltungen auf die Erwartungshaltung des Publikums entscheidend an. Indem Hitler diese Erwartungshaltung erfüllte, gewann er seine Zuhörer, ja er begeisterte sie, auch wenn sie im nachhinein kaum mehr wußten, worüber er gesprochen hatte. Im heutigen Sprachjargon könnte man Devrient einen "spin doctor" nennen, also einen Berater des Politikers in Sachen öffentliches Auftreten und Medienpräsenz. Es fiel einigen Diskutanten, auch dem Hitler-Darsteller Hubert Kramar, auf, daß im Theaterstück der Antisemitismus als durchgehendes Motiv aufscheint. Man erklärte dies aber so, daß Hitler antisemitische Phrasen als Stichworte benötigte, um gewissermaßen "in Fahrt zu kommen". Wie Maser nachdrücklich betonte, könne man diese polemischen Phrasen nur mit tiefem Bedauern zur Kenntnis nehmen.
Die Diskussion bewegte sich zeitweise in Richtung Gegenwart, indem etwa geäußert wurde, daß gerade populistische Politiker als Redner nur so lange Erfolg hätten, solange ihm die realen Zustände und Verhältnisse in einer bestimmten Situation entgegenkämen. Außerdem sei die weitaus überwiegende Mehrzahl der Bürger in der westlichen Welt heute an eine ganz andere Sprache als an die der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts gewöhnt. Pathos, Leidenschaftlichkeit und Inbrunst würden heutzutage entschieden weniger "Abnehmer" finden als 1932, da die Erwartungen des Publikums anderen Impulsen folge. Die Macht des Wortes bewegt sich heute offenbar auf einer anderen Wellenlänge.
Am 29. März brachte der Sender 3-Sat ein Interview mit Prof. Maser, in dem dieser Entstehung und Weg des Tagebuchs Devrients schilderte. Angereichert wurde die Sendung durch eine Einblendung in die Theateraufführung und durch den umstrittenen Auftritt des Schauspielers Kramar in einer Hitler-Uniform auf dem Wiener Opernball im Februar 2000. Daß sein Schüler Hitler posthum noch zu zweifelhaften Ehren als Schauspieler kommen würde, hätte sich Devrient gewiß nicht träumen lassen. |
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