|
Wolf Biermann, selbst 1976 spektakulär aus der DDR ausgebürgert, schließt seinen Kommentar zum Film "Das Leben der anderen" mit leiser Hoffnung: "Der Film ... bringt mich auf den Verdacht, daß die wirklich tiefere Aufarbeitung der zweiten Diktatur in Deutschland erst beginnt."
Das erste große Werk des Regie-Neulings Florian Henckel von Donnersmarck hat eine nachdenkliche Diskussion ausgelöst. Auf den ersten Schock von 1989 / 90 über das, was man zuvor nicht sehen konnte oder wollte, ging die öffentliche Erinnerung an die DDR-Geschichte im Verlauf der 90er Jahre zunehmend in bizarren Klamauk über. Das Leben habe auch im SED-Staat aus mehr bestanden als aus Stasi, Stacheldraht und Schießbefehl, argumentierten die Macher und Freunde von DDR-Komödien, die wegen ihrer Menge schon zum eigenen Film-Genre aufgestiegen waren. Was überdies in lustigen Fernsehsendungen wie der "DDR-Show" feilgeboten würde, gehöre zur Biographie vieler Deutscher und sei unverfänglich. In der Tat: Wer wollte sich über die Präsentation ulkiger Konsumartikel der sozialistischen Mangelwirtschaft ereifern? Wenn Moderatoren und "Stargäste" dann allerdings breitgrinsend im FDJ-Hemd auf uns einlächelten, konnte einem schon mulmiger werden.
Kritiker solcher "Weichspülungen", unter ihnen eine große Zahl von SED-Opfern, mochten sich der gelassenen Heiterkeit sowieso nicht anschließen. Dem beruhigenden Einwand, all das stehe einer ernsten Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen nicht im Wege, mißtrauten sie.
Am 14. März wagte es eine Schar ehemaliger Stasi-Mitarbeiter ausgerechnet in dem zur Gedenkstätte umfunktionierten ehemaligen MfS-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen, anwesende SED-Opfer offen zu verhöhnen. Der beiwohnende Berliner Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei / PDS) mußte später zugeben, nichts gegen diese Unverfrorenheit unternommen zu haben. Ob die "witzigen" DDR-Nostalgiefilme und -shows die alten Dunkelmänner zu ihrer neuen Frechheit mit ermutigt haben, bleibt Spekulation. Diejenigen, die genau das befürchtet hatten, dürften sich jedoch bestätigt fühlen.
"Das Leben der anderen" ist nicht komisch. Der Film erzählt die Wandlung eines Stasi-Offiziers zum besseren Menschen. Er überwacht einen gar nicht mal sonderlich oppositionellen Theater-Regisseur, um ihm irgendetwas anhängen zu können. Die Bespitzelung hat der DDR-Kulturminister veranlaßt, ein zynischer Schmerbauch, der sich in die Freundin des Regisseurs verguckt hat und den Mann aus dem Weg haben will. Der Spitzel geht zunächst mit professioneller Akribie an sein schmutziges Werk. Mit dem "Leben der anderen", dem richtigen Leben, konfrontiert, wird ihm jedoch die entsetzliche Leere seines eigenen Daseins klar und er beginnt heimlich die Seiten zu wechseln. Er fälscht Abhörprotokolle, nachdem der zunächst noch ziemlich SED-loyale Theatermacher tatsächlich Kontakt in den Westen aufnimmt und einen kritischen Artikel über die horrende Selbstmordrate in der DDR an den "Spiegel" lanciert.
Die Freundin preßt der Offizier noch zum Verrat als "Inoffizielle Mitarbeiterin". In dem Glauben, sie habe ihren Lebensgefährten ans Messer geliefert, wirft sie sich vor einen Lastwagen - nicht ahnend, daß der Stasi-Mann längst die Fronten getauscht und das Beweismaterial gegen ihren Freund beseitigt hatte - eine Schreibmaschine und verfängliche Manuskripte -, damit ihr "Verrat" folgenlos verpuffe. Dem Vorgesetzten des geläuterten Spions dämmert derweil, daß sein einst knallharter Mann doppelt spielt. Nachweisen kann er ihm allerdings nichts, so versetzt er ihn nur zum "Briefeaufdampfen" in den Keller.
Erst Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR erfährt der Theaterregisseur von seinem heimlichen Schutzengel, der sich nun als Zeitungsausträger traurig durch die schmuddeligen Straßen Berlins schleppt. Vom persönlichen Kontakt schreckt er in letzter Sekunde zurück, doch widmet er ihm sein neues Buch - eine Erzählung seiner Erlebnisse? Der Film endet damit, daß der Ex-Spitzel das Buch endeckt und die Widmung, die nicht seinen Echtnamen trägt, sondern seine Personalnummer bei der Stasi.
SED-Opfer beklagen, daß sie solch eine Saulus-Paulus-Geschichte leider nie erlebt hätten. Vera Lengsfeldt berichtet von einer Begegnung mit "ihrem" Stasi-Aufseher nach 1990 und erzählt von einem Menschen, "an dem nichts echt war".
Henckel von Donnersmarcks Geschichte ist konstruiert, und zwar reichlich. Indem er aber seinen zunächst eiskalten und intelligenten Stasi-Offizier innerlich überlaufen läßt zu dessen Opfern, macht er den Abgrund für den Zuschauer erst spürbar, der zwischen der verachtungswürdigen Welt des MfS und dem Leben der gewöhnlichen Menschen, der "anderen" klafft. Er ließ den von Ulrich Mühe glänzend gespielten "Kämpfer an der unsichtbaren Front" die Wüste seiner kläglichen Existenz vor den Augen des Publikums schmerzhaft durchschreiten. Ohne diesen Kunstgriff wäre seine Person maskenhaft geblieben, fern, eigentlich unerklärlich - und damit auch all die verwerflichen Mechanismen jenes verdorbenen Schattenreichs.
Ein neues Klischee - das des "im Kern guten Stasi-Spitzels" - will Henckel von Donnersmarck trotz aller gewollten Einfühlung ganz ausdrücklich nicht entwerfen. Die typische Erscheinung des ungerührt in seinen Lügen und seiner feisten Anmaßung weiterstolzierenden Alt-Funktionärs läßt er in der Person des abgesägten Kulturministers nach dem Ende des SED-Regimes noch einmal persönlich auftrumpfen.
Überwacher und Überwachte: Kinofilm zeigt die dunkle, gern verdrängte Seite der DDR. Filmszene (2): Buena Vista |
|