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Wieder einmal hat der französische Staatspräsident Chirac bewiesen, daß er es sich mit keinem verderben will und daß er seine Fahne nach dem Wind hängt. Gleich nachdem die französische Nationalversammlung am 12. Oktober einen Gesetzentwurf angenommen hatte, der die Leugnung des armenischen Genozids von 1915 bis 1917 unter Strafe stellt, griff er zum Telefon und bedauerte gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan diese "Entgleisung" der Parlamentarier. Inzwischen hat er in einer offiziellen Botschaft an Erdogan bestätigt, daß er ihm "vollkommen Recht gibt".
Im Mai war es dem Parlamentspräsidenten gelungen, eine erste Lesung dieses von der sozialistischen Partei eingebrachten Gesetzentwurfes zu verhindern. Lange davor, am 13. Juli 1990, als der kommunistische Abgeordnete Jean-Claude Gayssot einen zusätzlichen Artikel 24 zum Pressefreiheitsgesetz vom 29. Juli 1981 durchsetzte, der die öffentliche Leugnung des jüdischen Holocaust unter Strafe stellte, war schon versucht worden, dieses Verbot auf den armenischen Genozid auszudehnen. Aber ohne Erfolg.
Die von 105 Abgeordneten gegen 19 Stimmen jetzt durchgeboxte Gesetzesvorlage droht den Leugnern des Völkermords an den Armeniern mit bis zu einem Jahr Haft und 45000 Euro Geldbuße. Eine Einschränkung zugunsten der historischen Forschung, die der ehemalige Minister armenischer Abstammung und Berater von Nicolas Sarkozy Patrick Devedjian eingebracht hatte, wurde abgewiesen. Sarkozy, Devedjian und andere in der Mehrheitspartei UMP gehören dennoch zu den Befürwortern des Gesetzes.
Kein Wunder, daß das Unternehmen jetzt gelang, denn Frankreich, eine in dieser Hinsicht im Vergleich zum Nachkriegsdeutschland "verspätete Nation", holt jetzt alles mögliche an Selbstanklage nach. Da war die Bestätigung der Teilnahme des französischen Staates am Holocaust der Juden durch Chirac; jetzt wird vom Präsidentenehepaar Bernadette und Jacques Chirac demonstrative Begeisterung für den Film "Indigènes" zur Schau gestellt, der das Opfern von Soldaten aus Kolonialgebieten in der französischen Armee anprangert; es ist auch dem Präsidenten gelungen, das von seiner eigenen UMP befürwortete Gesetz vom 23. Februar 2005 beerdigen zu lassen, das die "Wohltaten der Kolonialära" hervorhob und eine Protestwelle bei den Linksintellektuellen auslöste.
Dagegen hält sich die Türkei an die Lehre des "Vaters" der türkischen Republik Kemal Atatürk, daß man die osmanische Vergangenheit und deren Tragödien "vergessen" sollte. Einfach Schwamm darüber ... Schwamm über die 600000 bis 1,5 Millionen ermordeten Armenier, ganz abgesehen von den ermordeten Griechen und Christen und ganz zu schweigen von den Kurden. Ankara hält den Deckel über dieser blutigen Büchse der Pandora fest zu. Diese Doktrin akzeptierte offensichtlich Chirac, als er seinem türkischen Kollegen hoch und heilig in dem Telefonat versprach, daß er sich bemühen werde, das "Armeniergesetz" auf dem parlamentarischen Weg "abzublocken".
Damit meinte er wohl dessen endgültige Absegnung durch die zweite Kammer, den Senat, was so viel heißt, daß er die Einflußnahme eines fremden Staates, der nicht einmal EU-Mitglied ist, auf ein laufendes politisches Verfahren in Frankreich gutheißt.
Er "verstehe durchaus und teile die Gefühle der Entrüstung des türkischen Volkes", sagte er seinem Gesprächspartner und betonte, daß diese "Initiative des französischen Parlamentes ihn traurig gemacht" habe.
Jacques Chirac versucht wieder einmal, zwischen den Widersprüchen seiner Politik opportunistisch zu lavieren, denn andererseits reiste er nach Armenien, da 400000 bis 500000 Armenier nach dem Pogrom eine neue Heimat in Frankreich gefunden haben.
Von ihnen und ihren Kindern und Kindeskindern leben heute 150000 in der Pariser Umgebung, aber auch im wirtschaftlich blühenden "Rhônetal-Korridor", besonders in der Stadt Valence, wo sie zehn Prozent des Bevölkerung ausmachen.
Ihr Leuchtturm ist der Sänger und Schauspieler Charles Aznavour, geboren in Frankreich aber mit Armenien stark verbunden. |
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