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Eine Politik der Tränen

 
     
 
I n den vergangenen Wochen mußte die deutsche Öffentlichkeit aus einer breiten Berichterstattung in den Medien erfahren, daß einmal mehr Mitglieder der Bundesregierung im Ausland - meist mit Tränen im Auge - deutsche Schuld bekannten, Scham demonstrierten und um Vergebung baten: der Kanzler in Polen, der Innenminister in Italien und die Entwicklungshilfeministerin in Namibia
. Sie zelebrierten damit eine Politik der Tränen, die als urdeutsche Erfindung im Ausland keine Nachahmer findet, ohne daß allerdings dadurch unsere Top-Politiker nachdenklich ihr Vorgehen hinterfragen.

Die Medienberichterstattung beschränkte sich überwiegend darauf, die deutschen Untaten breit auszumalen, wobei für die Zahlen der dadurch Umgekommenen nach oben keine Grenze gesetzt war. Die Darstellung der Ursachen und der Vorgänge in den übrigen Teilen der Welt, was immerhin zum besseren Verständnis beigetragen hätte, suchte man meist vergeblich.

Trefflich lassen sich die ganz und gar schiefen und dadurch die historischen Abläufe verfälschenden politischen und sie willfährig begleitenden publizistischen Maßnahmen aufzeigen an der Darstellung der Vorgänge um die Niederschlagung des Herero-Aufstandes vor 100 Jahren in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.

Nahezu ganz Afrika wurde im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt mit dem Ziel, die dort vorhandenen Rohstoffe auszubeuten, der eigenen Wirtschaft den afrikanischen Markt zu erschließen, die überwiegend ihren eigenen Religionen anhängenden Bewohner für den christlichen Glauben zu missionieren, in den Kolonien Möglichkeiten für die Auswanderer der eigenen Nation zu schaffen und strategische Sicherheitsinteressen zu wahren. Großbritannien stand an der Spitze der Kolonialmächte, und das nicht nur in Afrika, sondern genauso in anderen Erdteilen. Nicht weniger expansiv waren Frankreich, Portugal, Belgien und Italien. An letzter Stelle wurde dann auch die deutsche Regierung - nicht zuletzt durch den Druck aus Wirtschaftskreisen - genötigt, übrig gebliebene Teile des schwarzen Erdteils unter den Schutz des Reiches zu stellen.

Vor allem Großbritannien pflegte, unter massivem Einsatz seines Militärs, weite Gebiete überall in der Welt sich untertan zu machen. Jedweder Widerstand wurde ohne Zögern zusammengeschossen. Noch 1925 schrieb ein britischer Distriktoffizier aus Zentralnigeria: "Es ist ein erbärmlicher Anblick, wenn ein Dorf dem Erdboden gleichgemacht wird, und ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, aber leider gibt es keinen."

Um einige Beispiele herauszugreifen, sei an den Krieg der Briten gegen die Zulus in Südafrika 1879 erinnert, an die Kämpfe gegen die Igbos 1919 in Nigeria, und früher, 1896, an die Niederschlagung der Ndebele-Aufstände durch britische Truppen wie auch im westafrikanischen Asante vier Jahre später.

1916/17 erhoben sich Tuareg-Stämme gegen die französischen Kolonialherren; die Erhebung wurde vom Militär niedergeschlagen.

21 Jahre lang benötigte Italien, um in gelegentlich unterbrochenen Feldzügen Libyen zu erobern, wobei ein Drittel der einheimischen Bevölkerung den Tod fand. 1899 berichtete ein britischer Konsul aus dem Gebiet des belgischen Kongo über die Art, wie die Kolonialmacht die Einheimischen zwang, für sie Kautschuk zu gewinnen und abzuliefern. Danach fuhren die Belgier in Kanus in die Dörfer; die Bevölkerung floh. "Die Soldaten gingen an Land und fingen an zu plündern. Sie nahmen alles aus den Häusern mit, Hühner, Getreide, etc., danach griffen sie die Eingeborenen an und bemächtigten sich ihrer Frauen; diese wurden als Geiseln festgehalten, bis der Häuptling die geforderten Kilogramm Kautschuk herbeibrachte." Die Greuel der Belgier im Kongo waren damals in der ganzen Welt bekannt und berüchtigt.

In den französischen, britischen und portugiesischen Kolonien war es selbstverständlich, die Eingeborenen zur Zwangsarbeit heranzuziehen, weil freiwillige Arbeitskräfte fehlten.

1936 führte Italien einen Krieg gegen das unabhängige Kaiserreich Abessinien, um es sich als Kolonie einzuverleiben. Es setzte dabei auch Gas gegen die Bevölkerung ein.

Aber auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die blutigen Kämpfe von Kolonialmächten gegen die einheimische Bevölkerung weiter. Als die algerische Nationale Befreiungsfront FLN das Land von der französischen Herrschaft zu befreien unternahm, entwickelte sich ein achtjähriger Partisanenkrieg, in dem eine halbe Million französische Soldaten eingesetzt waren. Zwei Millionen Algerier sollen dabei ihr Leben verloren haben.

1995 entstand in den Niederlanden eine Diskussion über die Frage, ob sich die Regierung entschuldigen sollte für die "Polizeiaktionen" zwischen 1945 und 1949 im damaligen Niederländisch-Indien. Eine Befreiungsbewegung wollte die niederländische Kolonialmacht abschütteln. Die Niederlande entsandten daraufhin mehr als 100.000 Soldaten. 6.000 von ihnen verloren in den erbitterten Kämpfen das Leben. Die Zahl der toten Indonesier ist offiziell nicht bekannt, doch ist davon auszugehen, daß sie ein Vielfaches der holländischen Verluste betrug.

Die niederländischen Parteien lehnten überwiegend eine solche Debatte und erst recht eine Schuldanerkenntnis ab. Die christlich-demokratische Fraktion sah "keinen Nutzen einer solchen Debatte", die rechtsliberale VVD rügte die Debatte als "Unhöflichkeit gegenüber den holländischen Indien-Veteranen". Nur 38 Prozent der holländischen Bevölkerung befürworteten eine Diskussion übe die Schuld der Niederlande an den Massakern im ehemaligen Niederländisch-Indien, heute Indonesien.

Niemand in den früheren großen Kolonialstaaten kommt auf die Idee, heute in Sack und Asche zu gehen. Sie dürften mit Unverständnis auf die deutsche Regierung blicken, die als Vertreterin der wohl kleinsten Kolonialmacht, die nicht länger als 30 Jahre über Kolonien verfügt hat, heute eine kleine Bevölkerungsgruppe in einer ehemaligen Kolonie "im Sinne des gemeinsamen Vaterunsers um Vergebung unserer Schuld" bittet, und mancher wird sich des alten Spruchs erinnern: "Nur Domestiken entschuldigen sich."

Tatsächlich hatte sich vor 100 Jahren ein großer Teil - beileibe nicht alle! - der Herero unter Führung ihres Oberhäuptlings Maharero an einem Aufstand gegen die deutschen Kolonialherren beteiligt. Dabei dürfte es kaum um Land gegangen sein: Seinerzeit gehörten nur vier Prozent des Landes Weißen. Viel eher spielte wohl der Herrschaftsanspruch über das Gebiet eine Rolle, denn auch die Herero fühlten sich als Herrenvolk, was sie in jahrelangen Kämpfen gegen andere Stämme und Völker bewiesen hatten. In der deutschen Berichterstattung vermißt man die Information, daß am Beginn des Deutsch-Herero-Krieges die Ermordung von 123 weißen Siedlern und Schutztruppensoldaten stand, darunter auch fünf Frauen, und daß gefangen genommene Weiße oft in entsetzlicher Weise abgeschlachtet worden waren.

Die allgemeine Darstellung, die deutsche Schutztruppe hätte die am Waterberg versammelten Herero eingekesselt, um sie durch eine planmäßig offen gelassene Lücke in die Wüste ausweichen zu lassen, sie dort dem Dursttod auszusetzen, ist erwiesenermaßen falsch. Die Umfassungslinie betrug 100 Kilometer, während das ganze Kontingent der Schutztruppe (der Begriff wird von besonders gesinnungsforschen Redakteuren in Anführungsstriche gesetzt) am Waterberg nicht stärker war als 1.500 Mann. Die Herero machten sich vielmehr, da sie sich nicht ergeben wollten, aus eigenem Antrieb unter der Führung ihres Oberhäuptlings auf den Weg durch die Omaheke in die britische Kolonie Betschuanaland, wie vorher mit der britischen Kolonialmacht vereinbart.

Überall gern zitiert wird ein bramarbasierender Aufruf des deutschen Oberbefehlshabers v. Trotha, an die aufständischen Herero gerichtet, in dem er androhte, sie müßten das Gebiet von Deutsch-Südwest verlassen, wenn sie nicht erschossen werden wollten. Er werde auch "keine Weiber und Kinder" mehr aufnehmen. Verschwiegen wird in der Regel die kurz danach an die Truppe gerichtete Proklamation, in der es hieß, "daß das Schießen auf Weiber und Kinder so zu verstehen ist, daß über sie hinweg geschossen wird, um sie zum Laufen zu zwingen". Er verbot ausdrücklich jede Grausamkeit "gegen Weiber und Kinder". Und wenige Wochen darauf wurde dieser Befehl aufgehoben.

Die in den letzten Wochen hierzulande verbreiteten Zahlen der umgekommenen Herero sind Phantasieerzeugnisse. Sie wurden meist übernommen aus den gegen den "westlichen Imperialismus" gerichteten Propagandaschriften der DDR, beziehungsweise aus den im Rahmen der psychologischen Kriegführung von Großbritannien während des Ersten Weltkrieges herausgegebenen "Blaubüchern", in denen erfundene deutsche "Kolonialgreuel" aufgelistet waren, um den Deutschen die Fähigkeit zum Kolonisieren abzusprechen. Niemand weiß genau, wie viele Herero es vor Beginn des Aufstandes gab; auch die Zahlen der Entkommenen sowie jener Gruppen, die sich am Aufstand nicht beteiligt hatten, und jener, die von deutscher Seite gefangengenommen wurden, sind nicht bekannt.

Journalisten wie Politiker haben allein auf solche Schriften zurück-gegriffen, die die deutschen Greuel ins Unermeßliche gesteigert haben. Dabei gibt es durchaus seriöse, wissenschaftlich fundierte Darlegungen, wie die Bücher von Klaus Nordbruch "Der Hereroaufstand 1904" (2002) und "Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika?" (2004). Mit Nachdruck sei hingewiesen auf die in den "Befunden und Berichten zur deutschen Kolonialgeschichte" veröffentlichten Beiträge, speziell in den Bänden 5 und 8, herausgegeben vom Internationalen Arbeitskreis für kolonialwissenschaft-

liche Forschung (Postfach 11 61, 63551 Gelnhausen). Ihm ist das Zitat von Prof. Dr. August W. Epple von der Thomas-Jefferson-University, Philadelphia/USA, entnommen, was da lautet: "Zusammenfassend sei gesagt, daß Deutschland als Kolonialmacht zu spät gekommen war. Seine koloniale Herrschaft dauerte nur 30 Jahre ... Die Methoden des kaiserlichen Deutschlands ... waren typisch für jene Zeit. Versuche, Aktionen gegen die Herero mit irgendwelchen nationalsozialistischen Grausamkeiten in Verbindung zu bringen, sind absurd."

 

Voller Scham und Schuldgefühle: Entwicklungsministerin Wieczorec-Zeul entschuldigte sich beim Oberhaupt der Hereros in Namibia mehrmals für die deutschen Untaten an seinem Volk.
 
     
     
 
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