Endlich: Rita Süssmuth abgewählt

In der CDU gab es über zehn Jahre eine große Legende: Mit der in der linkgsgeprägten veröffentlichten Meinung hochangesehenen Bundestagspräsidentin Süssmuth präsentiere sich die Partei weltoffen, fortschrittlich und liberal. Mit der Wirklichkeit hatte diese Einschätzung wenig zu tun. Dienstwagen- und Diätenaffären sowie ihre Oberlehrer- und Betroffenheit

smentalität dürften die Union weit mehr Wähler gekostet als Stimmen gebracht haben. Der neue CDU-Chef Wolfgang Schäuble darf sich glücklich schätzen: Die knapp 1000 Delegierten des CDU-Parteitages in Bonn ließen Frau Süssmuth bei den Vorstandswahlen durchfallen.

Frau Süssmuths Zwangsabschied bedeutet natürlich nicht, daß die Union in absehbarer Zeit die Regierungsgeschäfte in Berlin übernehmen wird. Die Niederlage des 27. September war einfach zu drastisch. Und nur Berufsoptimisten wie Kohls früheres Sprachrohr Hintze verbreiten die These, Rotgrün werde nur eine "kurze Episode" bleiben. Wenigstens über den Namen des Therapeuten herrscht Klarheit: Schäuble erhält als Nachfolger des zum Ehrenvorsitzenden erhobenen Helmut Kohl ein "Traumergebnis" von 93,4 Prozent. Das sieht nicht unbedingt nach einem mit Zähneknirschen gewählten Übergangsvorsitzenden" aus, wie vor Schäubles Wahl öfters zu hören war. Auch die neue Generalsekretärin Angela Merkel sammelt 93 Prozent Zustimmung ein. Bei der Wahl der vier Stellvertreter Schäubles wird die vor dem Parteitag als CDU-Geheimwaffe beschriebene baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan mit stolzen 88,8 Prozent ausgestattet, obwohl sie dem Süssmuth-Flügel zuzurechnen ist. Sie machte bundesweit von sich reden, als sie einer muslimischen Lehrerin den Zugang zum Staatsdienst verweigerte, weil die Frau im Dienst Kopftuch tragen wollte. Weniger bekannt ist der Hintergrund des Kopftuchverbots: Im Stuttgarter Landtag hatten mehrere CDU-Abgeordnete gedroht, in der Kopftuchaffäre mit den Republikanern stimmen zu wollen. Die Republikaner wollten sich an der in der Türkei geltenden Regelung orientieren und hatten ein Verbot von Kopftüchern an allen Schulen verlangt. Frau Schavan beugte sich dem Druck und gilt seitdem als "konservativ".

Für den ersten Knall sorgen die Delegierten bei Ex-Arbeitsminister Blüm. Klar abgeschlagen mit 60,2 Prozent landet Blüm auf dem letzten Platz der Liste von Schäubles Stellvertretern. Hätte der Stuttgarter Ministerpräsident Erwin Teufel gegen Blüm kandidiert, wäre Kohls ältester Minister durchgefallen.

Für den zweiten Knall sorgten die Delegierten bei der Wahl der sieben weiteren Präsidiumsmitglieder: Rita Süssmuth fällt im ersten Wahlgang mit der zweitschlechtesten Stimmenzahl (439) durch. Ins Präsidium kommt im ersten Durchgang allerdings der hessische Oppositionsführer Roland Koch (840 Stimmen), der die CDU in seiner Vorstellungsrede vor einem "Tanz mit dem grünen Kalb" gewarnt hatte und damit auf deutliche Distanz zu schwarz-grünen Bündnisüberlegungen gegangen war. Im zweiten Wahldurchgang verliert Frau Süssmuth nochmals. Ihre Niederlage kann durchaus als Signal gegen übertriebene Zeitgeisttendenzen gedeutet werden, doch an einen Richtungswechsel etwa hin zu mehr nationalen Positionen denkt Schäuble nicht. Die Union bleibe die Partei der politischen Mitte. "Pseudointellektuelle Begriffsspielereien" mache er nicht mit. "Unser Koordinatensystem wird nicht verschoben." Das ändert nichts daran, daß die CDU sich bereits seit langem nach links verschoben hat und zurechtgerückt werden müßte, falls die Partei nationalen oder auch nur konservativen Wählern wieder eine Heimat bieten will.

Das linke Lager sieht Schäuble in einer Phase der Zersplitterung, dagegen sei die Union strukturell mehrheitsfähig. An einer Wahrheit kommt Schäuble allerdings nicht vorbei: Die SPD kann sich vorerst Koalitionspartner nach Belieben aussuchen.