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Immerhin - wenigstens wurden die Deutschen nicht auch noch Fußball-Weltmeister. Die britische Presse gibt sich sichtlich erleichtert. Auf der Insel hat man es sich angewöhnt, Erfolge der deutschen Nationalelf als persönliche Beleidigungen aufzufassen. Das Massenblatt Sun muß zwar unbedingt noch nachtreten, aber sonst prägte doch meist stille Genugtuung die englischen Blätter.
Nicht die Weltkriege - der Wiederaufstieg Deutschlands nach 1945, parallel zum Niedergang des Empires, hat jenseits des Kanals das Gefühl genährt, um die Früchte des militärischen Sieges betrogen worden zu sein. Von den Deutschen. Aus diesem Mißvergnügen ist eine Art bösartiges Magengeschwür erwachsen, das nach jedem deutschen Erfolg für üblen Atem und schmerzhafte Krämpfe sorgt. Dann hilft nur noch fluchen, so laut es geht.
In diesem Jahr hatte der "War of Words" mit den Preußen indes schon früher begonnen, lange vor der WM. Auslöser waren diesmal übrigens Deutsche. Meist ist es umgekehrt. Der Spiegel hatte die britische Monarchie unter die Lupe genommen und war zu dem Schluß gelangt, daß Elisabeth das letzte gekrönte Haupt Englands sein werde. Die möglichen Nachfolger nämlich sind laut Spiegel kaum noch vorzeigbar, auf Droge , inkompetent oder einfach nicht willig. Das Reich sei längst auf europäisches Normalmaß geschrumpft, die Fundamente der Monarchie hohl usw. usf. Kurzum: Alles ein überkommenes, lächerliches Spektakel.
Beim langjährigen britischen Deutschland-Korrespondenten Andrew Gimson hat dieser Affront eingeschlagen wie die peinliche Erinnerung an Wellingtons "Ich wünschte, es würde Nacht oder die Preußen kämen" vor Belle-Alliance. "Bei Gelegenheiten wie diesen", schnaubt der Schreiber des Magazins The Spectator "ist es praktisch unmöglich, den Redakteur dieses Magazins davon abzuhalten, in die Kanzel seines Lancaster-Bombers zu steigen, um über die Nordsee zu fliegen und den Jerries die Hölle heiß zu machen." "Jerries" ist eine unfreundliche Abwandlung von "Germans".
Sogleich geht der Brite zu der für Deutschen-Beschimpfungen auf der Insel so beliebten Frageform über: "Wer hat die Deutschen vorm Faschismus gerettet?" (Rückfrage: Wer hat Weimar den Würgedraht Versailles angelegt und Hitler dann jahrelang voller Respekt behandelt?) Oder: "Wer hat die meisten Deutschen vor dem Kommunismus gerettet?" (Wie? Ein Blick auf die Landkarte des Kalten Krieges scheint geboten: Wer stand da vor wem? Und wer hat Deutschlands Teilung und Amputation beschlossen?) Weiter: "Wer leitete sie (die Deutschen) auf die Wege von Gerechtigkeit und Wahrheit nach dem Krieg?" (Zu "Wahrheit und Gerechtigkeit nach dem Krieg" sollte man die Vertriebenen befragen.) Und schließlich fragt Gimson: "Wer hat Mannesmann gekauft?" (Geschenkt - und wem gehört Rolls Royce?)
Dem giftigen Fragespiel fügt der Autor noch einige Schmähungen an: "Die Deutschen sind die zweitfettesten Leute auf der Welt, und obwohl ihre Küche dürftig ist, ist der Service in den Restaurants unglaublich langsam." Letzteres stimmt leider. Sollten unsere Kellner uns aber damit bedrohen, ein typisch britisches Mahl wie gekochten Hammel mit Pfefferminzsoße aufzutischen, wünschten wir uns, sie wären noch langsamer - oder am besten: sie kämen nie.
Unerwartet dann schaltet der Spectator-Kolumnist von Gift und Galle auf zuckersüß: "Ich bin ein Bewunderer Deutschlands und habe viele deutsche Freunde." Ungläubig, nein sogar ein wenig angewidert liest man nach der fiesen Eröffnung solche Zeilen. Aber Vorsicht, wie schrieb doch die Frankfurter Allgemeine zu dem Spiegel-Spectator-Zank: So seien sie eben, die Engländer, "entweder über-höflich oder über-vulgär". Oder sie springen von einer Sekunde zur nächsten von eifernder Schmährede zu erstaunlich sachlicher Analyse.
So auch Andrew Gimson, der den Spieß der Kritik an Englands Staatssystem elegant umdreht und die Verfaßtheit der Bundesrepublik einer rücksichtslosen Kritik unterzieht: "Die Absurdität von Deutschlands sogenannter Demokratie liegt in der offenen Tatsache, daß sie verblüffend undemokratisch ist. Das Gleiche kann über alle sogenannten Demokratien gesagt werden, unsere eigene eingeschlossen. Aber es ist schwer eine politische Klasse zu finden, welche die ganze Farce ausgebeutet hat mit solch einer feierlichen, selbsttäuschenden Gründlichkeit wie die abgelegenen, selbstzufriedenen Cliquen von Deutschen, die sich nach dem Krieg in Ost-Berlin und Bonn gesammelt haben."
Der Brite beschreibt, wie sich die Parteiapparate üppige staatliche Mittel zuschanzen und (in Anspielung auf jüngste und nicht mehr ganz so junge Spendenskandale) auch noch große Summen illegaler Spenden einheimsten - "von den frühesten Jahren der Republik bis heute". Das unterminiere das Vertrauen der Menschen in die Demokratie. "Sie beginnen zu denken, die ganze Sache sei eine Fiktion."
Immerhin hätten die Westdeutschen ihre Wirtschaft zur Erfolgsgeschichte gemacht. Darauf seien die einfachen Deutschen zu Recht stolz. "Innerhalb weniger Jahre stieg die Deutsche Mark aus dem Nichts auf, um eine der großen Weltwährungen zu werden. Dann gaben deutsche Politiker sie weg. Die Deutschen hätten dem nie zugestimmt. Aber ihnen wurde ein Referendum zu dem Thema verwehrt."
Für den Engländer Gimson offenbar ein ungeheuerlicher Vorgang, den er gleichwohl für symptomatisch hält für die Arroganz der deutschen politischen Klasse gegenüber dem deutschen Volk: Von Zeit zu Zeit habe er während seiner sechs Jahre in Berlin verschiedene Deutsche befragt, ob sie es nicht in irgendeiner Weise bedauerlich fänden, daß dieses außerordentliche Projekt gegen den Wunsch des Volkes durchgezogen worden sei. "Bis auf den letzten Mann antworteten sie mit Nein, und einige beharrten sogar darauf, daß sie dem deutschen Volk trotzten, zeige gerade, wie edelgesinnt sie seien."
Andrew Gimson räumt zwar ein, daß es auch in seiner Heimat Politiker gibt, die dem Volkswillen trotzten. Doch, und hier berührt er den Kern: "Das Problem in Deutschland ist das Motiv, aus dem heraus sich die politische Klasse entschlossen hat, so zu handeln: Sie ist erschrocken davon, deutsch zu sein."
Zur Erläuterung, was "deutsch" sein kann, zitiert Gimson Sebastian Haffner, der eine Zusammenfassung deutscher Eigenschaften im englischen Exil 1939 veröffentlicht habe, die dieser in Gefahr sah, verlorenzugehen: "Menschlichkeit, Offenheit nach allen Seiten, philosophische Tiefe der Gedanken, Unzufriedenheit mit der Welt und mit sich selbst, der Mut, stets etwas Frisches zu versuchen und es wenn nötig aufzugeben, Selbstkritik, Wahrhaftigkeit, Objektivität, Ernst, Strenge, Vielseitigkeit, eine gewisse Ausgewogenheit und doch Begeisterung für die freieste Improvisation, Langsamkeit und Eifer und doch spielerischer Erfindungsreichtum, der immer neue Ideen erzeugt und schnell als wertlos verwirft, Respekt vor Ursprünglichkeit, Großzügigkeit, Sentimentalität, Musikalität und vor allem Freiheit, etwas Umherschweifendes, Ungehemmtes, Hochfliegendes, Schwereloses, Himmelstürmendes."
"Haffner setzt hohe Standards", schränkt Andrew Gimson ein (dem man seine Bewunderung für Deutschland spätestens nach dieser Stelle abnehmen will), doch der Ärger mit Deutschlands gegenwärtiger politischer Klasse sei, "daß sie in ihrer panik-bestimmten Prägung, ja nicht übermäßig nationalistisch zu klingen, sogar unfähig wurde, die deutsche Kultur zu verteidigen. Das Kind wurde mit dem Bad ausgeschüttet und gewöhnliche Deutsche spüren, was geschieht. Sie wissen, daß sie von einer politischen Klasse verraten werden, die sich - weit davon entfernt, all das zu repräsentieren, oder wenigstens zu respektieren, was das Herrlichste ist an der deutschen Kultur - auf eine feige und korrupte Flucht vor der Verantwortung begeben hat."
Man merkt, hier spricht kein deutscher Journalist. Derlei harsche Worte verbieten wir uns hierzulande gleich selber. Gimson hingegen setzt sogar noch nach: "Die politischen Parteien sind seit langem in den Händen von halbgebildeten Viechern wie Kohl oder Schröder" schimpft der Ex-Korrespondent und geht gleich über zu Pisa-Studie, Arbeitslosenrekord und Deutschlands Schlußlichtposition in der EU-Wirtschaft. Für den Briten besteht zwischen mangelndem Patriotismus, schlechter Bildung, mittelmäßigen Politikern und schleppender Wirtschaftsentwicklung ein unmittelbarer Zusammenhang.
Die Möllemann-Friedman-Kontroverse aufgreifend stöhnt Gimson, die Deutschen drehten sich offenbar immer um die gleichen Fragen, ohne von der Stelle zu kommen.
Als Beleg führt er an, daß nur eine Folge nach der gemeinen Attacke auf die englische Monarchie Hitler auf dem Spiegel-Titelbild prangte. Hitler, schon wieder Hitler: "Du kannst für ein paar Jahre (aus Deutschland) weggehen. Wenn du wiederkommst, reden sie über genau dieselben Sachen. Die Frage für die Deutschen ist, wie lange sie diese fromme Mischung aus Pseudo-Politik und Pseudo-Moral noch ertragen können. Die gewöhnlichen Deutschen sehnen sich nach einem Patriotismus, den die Partei-Politiker nicht besitzen. Das ist keine Frage des Versuchs, die Schuld für die Schrecken von 1933-45 wegzudeuten, aber des Versuchs, weiterzuleben ohne die erniedrigende Lüge, vorzugeben, nicht deutsch zu sein."
Am Schluß gibt uns der Autor einen Rat, der wiederum auch nur von jener eigentümlichen Insel stammen kann: "Eine konstitutionelle Monarchie, tatsächlicher Macht entblößt, aber fähig, als Fokus des Patriotismus zu wirken, wäre ein Weg, die Deutschen - die, wie wir (Briten), eine unschuldige Freude hegen an Hierarchie und Zeremoniellen - zu versöhnen mit der Langeweile und dem Humbug, welche die Durchführung einer reinen Demokratie begleiten."
Demokratie-Theoretiker hätten sicher großes Vergnügen daran, diesen Vorschlag lächerlich zu machen, ahnt auch Andrew Gimson. Doch täten sie das nur, "um vor sich selbst zu verstecken, wie ignorant sie gegenüber den Neigungen der wirklichen Menschen sind, in deren Namen sie sich erdreisten, uns Lehren zu erteilen".
Deutschland wieder Monarchie? Realistisch klingt das nicht, aber ein charmanter Gedanke ist es dennoch. Zumal unser Thronanwärter Prinz Georg Friedrich von Preußen jung, willig und drogenresistent ist - was ihn gegenüber so manchem seiner europäischen Vettern auszeichnet.
"Eine konstitutionelle Monarchie wäre ein Weg, die Deutschen mit der Langeweile und dem Humbug der Demokratie zu versöhnen": Englands Königin Elisabeth II. auf der Fahrt durch London zu ihrem 50. Thronjubiläum vor einem Monat |
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