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Es tut sich was im Königsberger Gebiet

 
     
 
Wenn man die innerostdeutsche Grenze vom polnisch in den russisch verwalteten Teil hinter sich gelassen hat, erinnert vieles daran, daß vor langer Zeit Zerstörung das Leben der Menschen bestimmte. Bis heute sind an fast jeder Ecke Reste der kriegerischen Auseinandersetzung sichtbar. Da sind nach 60 Jahren noch immer deutsche Hausaufschriften und kleine Denkmäler zu sehen, für die man keine Zeit fand, sie zu entfernen. Wie auf der Giebelwand eines kleinen Hauses das Wort "Düne
nblick". Und wenn man selbst noch nicht ganz 60 Jahre alt ist, beginnt es im Kopf zu schmerzen, weil man Erzählungen der Eltern kennt. Die jüngere Generation geht damit etwas lässiger um und sagt sich, so ist halt Geschichte. Alles ganz weit weg.

Erreicht man dann die Metropole von damals und auch heute wieder, begegnet der Besucher einem Königsberg, das sich immer mehr wieder zu dem entwickelt, was es einmal war, zum Mittelpunkt des Lebens in einer Region, die von der Jugend wiederentdeckt wird. Als Universitätsstadt und Kulturmittelpunkt verehrt man die alte historische Vergangenheit und identifiziert sich mit ihr. Eine wohltuende Verbindung zwischen den jungen Leuten, hüben wie drüben.

Eines der besten Beispiele ist die Rekonstruktion des schwer beschädigten Doms, einst die herausragende Dominante der Stadt. Er ist jetzt zu einem Zentrum des kulturellen und geistigen Lebens geworden. Das Grabmal des Königsberger Philosophen Immanuel Kant war vollständig erhalten geblieben und Ausgangspunkt der Wiederherstellung des Doms auf der Dominsel. Russische und deutsche Denkmalpfleger kamen 1993 einstimmig zu der Überzeugung: Der Dom kann nicht nur, sondern muß dringend gerettet werden. Parallel zum Neubau des Turmes begannen 1995 Mitarbeiter des Sankt Petersburger wissenschaftlichen Forschungsinstituts damit, die Domaußenseiten in Angriff zu nehmen. Beachtenswert erscheint in dem Zusammenhang, daß der detailgetreue Nachbau der Turmuhr in der Bundesrepublik Deutschland von russischer Seite finanziert wurde. Die sechs Glocken im Turm wurden in Königsberg gegossen und auch die Gewölbe wurden ausschließlich von russischer Seite finanziert.

Von deutscher Seite waren am Dom, wie auch an anderen Projekten, der Förderverein Königsberg e. V., die Zeit-Bucerius-Stiftung und die Evangelische Kirche in Deutschland beteiligt. Eine herausragende Arbeit aller Beteiligten, die 1972 mit den ersten Versuchen der Rettung begann und bis 1976 zahlreiche Sicherungsmaßnahmen nach sich zog, bis 2001 endlich die Hauptarbeit abgeschlossen werden konnte. Bis heute sind aber nicht alle gewünschten Erneuerungsmaßnahmen zu Ende gebracht.

Vor dem Dom stehen an schönen Tagen Mädchen einer höheren Schule und verkaufen selbstgemalte Bilder von Königsberg, bei denen alte Motive eine große Rolle spielen, um die Arbeiten am Dom mit dem Erlös zu unterstützen. Und es ist mit Freude erkennbar, daß sie sich mit recht guten Deutschkenntnissen ausgestattet an die Besucher wenden.

Es tut sich was in Königsberg. Die Anlagen und Spazierwege am Pregel und dem alten Schloßteich sind so einladend, wie sie es schon für unsere Eltern und Großeltern waren. Und der Hauptbahnhof erstrahlt in einem Glanz aus alten Tagen. Die Sauberkeit und der gepflegte Innenbereich zeugen von einer Ordnung, die sich breit macht und bis in die neuerstandenen fünf Einkaufszentren von Königsberg reicht. Mit Stolz wird dort die neue Generation und der aufkommende wirtschaftliche Wohlstand demonstriert.

Bernsteinmuseum und Wrangel-Turm, viele Kirchen und Stadttore, die Börse und die Kunstakademie, sind ebenso wieder ein Blickfang wie die Oberpostdirektion und das Stadtarchiv der Provinz Ostdeutschland, direkt an der von den Russen "Prospekt Mira" (Friedensallee) genannten Hufenallee, einer der großen Hauptstraßen. Und in denen wird nach Gehör und der Regel "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" gefahren. Manche Ampeln sind nur Staffage, meistens fehlen sie ganz. In eindeutiger Überzahl sind größere deutsche Automarken zu erkennen.

Im Zentralpark steht die restaurierte Luisenkirche, die dem Bombenhagel unbeschadet entgangen ist. Jetzt beherbergt sie ein Puppen- und Marionettentheater. Zugegebenermaßen ein würdiger Rahmen für eine so alte Form von Theater. Im Park selbst ist ein Kinderland errichtet und die Königsberger beleben den Park an sonnigen Tagen.

Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt, denn der Zoo, einst ein Vorzeigetiergarten, stirbt an Altersschwäche und die desinteressierten Pfleger verstehen wenig von artgerechter Tierhaltung. Die Sauberkeit der Tiere und der Gehege lassen zu wünschen übrig und machen traurig. Der Eintrittspreis ist zwar für bundesdeutsche Verhältnisse niedrig, aber nicht gerechtfertigt, wenn etwa 90 Prozent der Anlagen leer sind und dem Zerfall anheimfallen. Es ist zu befürchten, daß die Bemühungen für den Bau neuer Gebäude zu spät kommen. So ist der Zoo kein Anziehungspunkt mehr.

Die Verkehrssituation paßt sich den Straßenverhältnissen an, etwas chaotisch. Die Straßenbahnen und Busse müssen sich teils über desolate und hügelige, noch mit Kopfsteinpflaster versehene Straßen mühen. In verschiedenen Stadtteilen haben alte Gebäude aus Vorkriegszeiten überlebt, sind aber dem Zerfall preisgegeben. Ein trauriges Bild für Menschen, die jetzt ihre ehemalige Behausung noch finden.

Erfolgversprechend und eine bessere Zukunft verheißend sind aber die vielen Angebote für die Menschen, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Die Kultur und die wirklich gute Gastronomie in Königsberg werden die Menschen zusammenführen, neue Wege werden dabei erkundet und beschritten. Die Bewohner Königsbergs sind begierig, sich Richtung Westen zu öffnen.

Ein Student sagte: "Es ist doch schön, wie sich immer mehr Leute in deutscher Sprache verständigen können. Und bevor wir Königsberger irgendwo im russischen Mutterland studieren oder in einen Beruf gehen, muß es schon knüppeldick kommen!"

Sie fühlen sich alle als Königsberger ("... unser Herz hängt daran ..."), auch wenn sie aus dem entfernten Tilsit oder Insterburg kommen. Oder vielleicht aus Pillkoppen, dem letzten Ort vor der Grenze zum litauisch verwalteten Teil der Kurischen Nehrung. Wenn man Glück hat, bekommt man auf der Busfahrt an die Nehrung eine lustige und auch sehr engagierte Begleitung an die Seite. Etwa die Schriftstellerin Albina Beljaewa, die im hohen Alter mit Ehemann an die Kurische Nehrung unterwegs ist. Klein und quirlig, mit einer deutschen Sprache, die überzeugt und von der man sich wünscht, daß alle es so können müßten.

"Sehen sie, da kommen immer mehr Menschen nach Königsberg, ist das nicht herrlich? Und alle wollen meine Bücher und meinen Bernstein kaufen!" Albina verdient sich mit dem Verkauf an den wenigen Touristenplätzen ein Zubrot. Ihr schweigsamer Mann grinst nur bei ihren überschwenglichen Ausführungen. Die Stille und die Weite der atemberaubenden Landschaft der Kurischen Nehrung haben ihn geprägt.

Albina betont, daß sie unter junges Volk müsse, denn da passierten die Dinge, die sie in ihren Beschreibungen und Büchern festhalte. Viele ihrer Texte in den Büchern schreibt sie in russischer und gleich daneben in deutscher Sprache. Und die meisten Beschreibungen beschäftigen sich mit der Historie und der deutschen Vergangenheit, die sie niemals als Belastung empfand.

"Sehen sie sich die Dünen an, die Ostsee mit hohen Wellen auf der einen und das sanfte Haff auf der anderen Seite. Und Menschen sind hier an den Stränden so selten wie die Elche. Wo soll man denn sonst hinfahren, wenn nicht hierher?"

Das mit den wenigen Menschen relativiert sich, denn an den Wochenenden und in der Ferienzeit ist schon etwas Betrieb. Wer aber einen kleinen Fußmarsch nicht scheut, ist wirklich nur mit sich und der Natur allein. Albina ist an ihrem Verkaufsstand zurück und sie legt Wert darauf, noch mit auf ein Bild zu kommen. In der Welt sagt man überall "Cheeeeeese", um zu lächeln. Albina sagt mit freudiger Hingabe "Ameisenscheiße, Ameisenscheiße ..."

Die dichten Wälder rechts und links der Straße, die man zu den Dünen und dem Strand durchqueren muß, haben fast schon tropischen Charakter. In kleinen Süßwasserteichen hat sich eine Menge von Tieren niedergelassen, die man dort nicht vermutet. Frösche und Ringelnattern in großer Zahl. Libellen, Schmetterlinge und bunte Käfer.

Von den Aussichtsplattformen der großen Dünen kann man die gewaltigen Sandformationen erkennen, die unendlichen Weiten nur erahnen. Auf der einen Seite rauscht das Meer, auf der anderen herrscht biblische Ruhe - Erholung in ihrer reinsten Form. Das Naturschutzgebiet ist ohne großen Tourismus in seiner urigen Form erhalten.

Nur bei drei kleinen Orten der Nehrung, Sarkau, Rossitten und Pillkoppen, kommt so etwas wie Tourismusgefühl auf, weil man dort eine spärliche Gastronomie und kleine Hotels, mehr noch aber private Unterkünfte findet. Und das ist gut so. Eine Busverbindung zwischen Cranz und der Staatsgrenze der Republik Litauen befördert, gelegentlich nicht ganz pünktlich, Touristen an sechs verschiedene Stellen der Nehrung, damit sie entweder ans Haff oder an die Ostsee gelangen. Es ist ratsam, nicht zu vergessen, Verpflegung mitzunehmen.

Neben dem Bernstein, den man mit etwas Glück am Ostseestrand finden kann, ist das Nehrungsmuseum zu erwähnen, das sehr viel aus vergangenen Tagen präsentiert, vieles im Original und in deutscher Sprache.

Die Attraktion seit 1901 ist die Vogelwarte in Rossitten, jetzt Biologische Station. Besucher aus aller Welt finden sich ein, um eine Führung mitzumachen, bei der von den Anfängen bis in die heutigen Tage alles erklärt wird, was mit dem Vogelzug zu tun hat. Vogelkundler und Wissenschaftler aus ganz Europa haben dort schon gewirkt. In der Feldstation Fringilla, der Name für den häufigsten Gast, den Buchfinken, werden die Vögel auf ihrem Zug in den Süden und bei der Rückkehr in großen Fangnetzen gefangen und katalogisiert, untersucht, beringt und dann wieder freigelassen. Die Fangnetze mit riesigen Ausmaßen werden auch "Rybachyreusen" genannt. Sie sind im Einflugbereich 30 Meter breit und 15 Meter hoch, bei einer Länge von fast 70 Metern. An ihrem Ende befinden sich drei kleine Kammern, in denen die Wissenschaftler die Vögel mit der Hand einsammeln können und in Leinenbeuteln verstaut zur Untersuchung bringen. Die ehemalige Vogelwarte ist wie eh und je der Anziehungspunkt auf diesem "Landfinger" Kurische Nehrung, die zu den faszinierendsten Landschaften Europas gehört. Sahara-Gefühle kommen auf, wenn man durch die Sandwüste streift und die bis 60 Meter hohen Dünen erklimmt.

Wilhelm von Humboldt sagte einst: "Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, daß man sie ebenso wie Spanien oder Italien gesehen haben muß, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen sollte !"

Der Königsberger Dom ist zu einem Zentrum des kulturellen und geistigen Lebens geworden.
 
     
     
 
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