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Erwartungsgemäß haben die Teilnehmer an dem G8-Gipfel, der dieses Jahr Anfang Juni im französischen Evian am Genfer See stattfand, sich hinsichtlich einer Erholung der Weltwirtschaft optimistisch geäußert. Im Grunde spalteten sich die Gipfelteilnehmer in zwei Lager. Da waren zum einen die angelsächsischen Mächte Großbritannien und USA, die ein Wirtschaftswachstum von mehr als zwei Prozent verbuchen können, zum anderen Japan und die Kontinentalmächte außer Rußland, die unter Stagnation leiden. Dies hatte zur Folge, daß im Schlußkommuniqué viel geredet und nichts Konkretes verkündet wurde. Für George W. Bush, der nur einen Tag am Gipfel teilnahm und dann nach Ägypten und Jordanien weiterreiste, um die Nahostkrise zu besprechen, war die Anwesenheit in Evian fast ein Höflichkeitsbesuch, der ihm erlaubte, die Unilateralität seiner Politik noch einmal zu bestätigen. Das Schlußkommuniqué erwähnt so überhaupt nicht die brisante Frage der Wechselkurse der Hauptwährungen.
Die französischen Zeitungen verbergen unter solchen Umständen nicht ihre Enttäuschung über die mageren Ergebnisse des Gipfels, und selbst der regierungsnahe Le Figaro äußert den Verdacht, daß die Zeit für das halbstündige Vier-Augen-Gespräch zwischen Chirac und Bush noch nicht reif gewesen sei. Gemäß der Presseerklärung von Chiracs Pressesprecherin Catherine Colonne beharre Frankreich auf einer größeren Rolle der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates. Im Gegensatz zu Washington wolle sich Paris in seiner ambitionierten eigenständigen Politik auf die Drittstaaten stützen. Und so wurden nach Evian elf zusätzliche Staaten eingeladen, die dazu bestimmt waren, die von Paris erwünschte "Multipolarität der Staatengemeinschaft" zu illustrieren. Unter diesen Regierungs- und Staatschefs, von China bis Südafrika, wurde besonders die Anwesenheit des brasilianischen Staatschefs Lula registriert, der kurz danach eine Rede vor der Genfer internationalen Arbeiterorganisation hielt, in der er den Protektionismus der Großmächte brandmarkte.
Mit seinem in Evian präsentierten Vorschlag, die Exportsubventionen für Agrarprodukte zu kürzen, blieb Chirac erfolglos. Da die Amerikaner ihre Ausfuhren nach Afrika stark subventionieren, ist es seit langem ein Hauptanliegen der französischen Diplomatie, ein Verschwinden jener Subventionen zu erreichen. Nach Ansicht von Paris benachteiligt nämlich die US-amerikanische Politik der Subventionierung der Agrarpreise die Kernwirtschaft zahlreicher Staaten der dritten Welt, da deren Landwirtschaft dadurch nicht mehr konkurrenzfähig bleiben könne.
Näheres zu diesem Thema dürfte man kommenden Herbst im mexikanischen Cancun erfahren, wo ein Gipfel der Welthandelsorganisation WTO geplant ist. In Cancun soll auch das Problem angesprochen werden, daß die Pharmaunternehmen der Industriestaaten nicht bereit sind, ihre Produkte in der dritten Welt produzieren zu lassen.
Bezüglich des Irak wurde in Evian nichts Neues erzielt. Freilich drück-
ten die Gipfelteilnehmer ihre Erleichterung über das Ende des Krieges und ihre Zuversicht aus, daß das Kriegsende der wirtschaftlichen Entwicklung förderlich sein werde.
Hinsichtlich des Irak waren die Wirtschafts- und Finanzminister bereits bei ihrem Treffen vor zwei Wochen in Deauville, einem Badeort an der französischen Küste des Ärmelkanals, übereingekommen, daß dem Irak kein Schuldenerlaß eingeräumt werde, obwohl Hans Eichel bemerkte, daß gegenwärtig der Irak zahlungsunfähig sei. Weltbank und Internationaler Währungsfonds wurden damit beauftragt, eine Umschuldung der Auslandschulden des Irak, dessen größter Gläubiger Rußland ist, vorzubereiten.
Insgesamt wurde das diesjährige Gipfeltreffen der führenden Industrienationen zwar nicht unbedingt ein Mißerfolg der französischen Diplomatie, aber so doch völlig von den Sozialunruhen in Frankreich überschattet. Jetzt sind erst einmal die Angelsachsen als Gastgeber dran, denn im kommenden Jahr wird der Gipfel in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfinden und im übernächsten im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Gipfel in Evian: Bewußt lud Chirac auch Nicht-G8-Politiker ein |
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