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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Daß der prachtvolle Silvio, von Volkes Gnaden Berluskönig von Italien, sich nicht von einem giftig keifenden Heini aus den Sümpfen Germaniens straflos ans Bein pinkeln läßt, sollte niemanden überraschen. Daß seine Retourkutsche nicht eben stilvoll war, ebensowenig. Schon Kaiser Nero konnte nicht singen und tat es trotzdem. Den Ton zu verfehlen ist also gute Tradition in Silvios Reich. Und doch kamen viele von uns ins Grübeln ob dieser eigentümlichen Nachbarn im Süden. Viel zu lange hatten wir uns nur mit Amerikanern, Russen, Franzosen, Briten etc. befaßt und die da unten aus den Augen verloren. Jetzt stellen wir uns Fragen. Etwa: Was müssen das für Menschen sein, die sich einen Erdteil zur Heimat wählen, der auf der Landkarte einem zerbeulten Damenstiefel gleicht?

Das herauszubekommen fahren alljährlich Millionen von Deutschen über die Alpen. Was denen da unten nicht sonderlich gefällt, wie uns ein Staatssekretär namens Stefani wissen ließ. "Lärmend" seien die Deutschen. Ja, da ist es wieder, das alte Leiden: Die schüchternen, reservierten Südländer haben seit jeher ihre Probleme mit der fröhlich-lauten Offenherzigkeit der Nordeuropäer. Diese wiederum beschweren sich im Gegenzug oft über die stille, nüchterne Ernsthaftigkeit der Mediterranen. Die kühlen Südlichter und die heißblütigen Nordmänner - wirklich nahekommen werden sie sich wohl nie.

Aber der Italiener Stefani wußte noch mehr zu beklagen: Supernationalistisch
seien die Deutschen. Das ist nicht mehr zu bestreiten seit dem Getöse um den Mauerfall. An jeder Ecke dröhnten 1989 die hyperpatriotischen Deutschen die Welt in penetrantem Stolz mit ihrer Nationalhymne voll ("So ein Tag, so wunderschön wie heute ..."). Manche sangen den Text schamlos in allen drei Wiederholungen, nur 44 Jahre nach Ichweißnichtwas! Dazu soll zwischen Brandenburger Tor und Glienicker Brücke ein Haufen Unbelehrbarer im völkischen Rausch ihre Fahne geschwenkt haben (von Hertha BSC Berlin).

Der dritte Vorwurf aus Rom traf uns mitten ins Herz, so daß der Kanzler grimmig die Absage seines Italienurlaubs erwog: Die Deutschen seien "einförmig", pöbelt Stefani. Wir stellen verblüfft und beschämt fest: Er hat recht. Der gewöhnliche Deutsche hat in der Tat dauernd dasselbe Gesicht auf. Drinnen sieht s nicht besser aus: "Ein Mann, ein Wort" - deprimierend. Italiener sind uns hier in jeder Hinsicht schmerzlich überlegen. Worte haben sie viele. Manchmal fallen ihnen selbst mitten im Kriege noch vollkommen neue ein. Wenn sie dabei mal ihr Gesicht verlieren, ist stets Ersatz zur Hand. So gingen sie als mit Hitler verbündete Achsenmacht in den Weltkrieg hinein und kamen als alliierte Siegermacht Seit an Seit mit den USA wieder heraus - mit allen moralischen Rechten versehen, die sie jetzt billigerweise gegen uns Deutsche in Anspruch nehmen.

Na gut, Kritik können wir vertragen, aber man soll gerecht mit uns sein. Wir können uns doch bessern! Aus Cäsars "einförmigen", ordnungs- und arbeitssüchtigen Römern sind am Ende schließlich auch bunte Italiener geworden. Warum sollte uns so ein Qualitätssprung nicht ebenfalls gelingen? Die Zeichen stehen günstig. Natürlich fängt so eine Wandlung zunächst in der Elite an. In Rom waren es Kaiser wie der weise Commodus oder der geniale Caligula, die dem Fortschritt eine Bresche schlugen. Letzterer ernannte sein Pferd zum Konsul. Unser Kanzler hat, wenn man den Kabarettisten glauben mag, seins sogar geheiratet. Nicht nur diese Parallele stimmt optimistisch. Von stumpfer germanischer Eintönigkeit kann auch im politischen Alltag keine Rede mehr sein. Über die gesamte Herbst-, Winter- und Frühjahrssaison hat sich das Schröder- Ensemble abgestrampelt, uns mit einem farbenfrohen Reform-Potpourri bei Laune zu halten. Sie stemmten diese Aufgabe mit einer Kreativität, die jeden venezianischen Karnevals-Impressario aufs Altenteil zwingt. Zufrieden sitzen Schröders Artisten nun auf der Sommerlochtribüne.

Langweilig wird es aber auch in der Unterbrechung nicht. Denn wenn die Stars aus der Manege verschwinden, stürmen mit furiosem Krawall die Pausenclowns aus der Kulisse. Die Truppe heißt "Union" und wird von einer schnippischen kleinen Frau angeführt, die in der Garderobe keiner ernst nimmt. Ihre Aufführung ist dennoch großartig. Erst plappern einige Clowns breitmäulig die pathetischen Texte der eben abgetretenen Stars nach. Dann brabbeln andere schwarz bemalte Spaßvögel genau das Gegenteil, und am Ende fangen sie alle unter dem feixenden Gejohle des Publikums an, sich wie von Sinnen zu prügeln, sich Beine zu stellen, zu beschimpfen und an den Haaren zu ziehen. "Einförmig"? Diese Italiener haben doch gar keine Ahnung, wie lustig es bei uns inzwischen zugeht!

Die Fehler unserer dunklen Vergangenheit wollen wir jedenfalls niemals wiederholen. Daher haben wir den angsteinflößenden Transrapid endgültig in die Garage geschoben. Der war nämlich eines der letzten Zeugnisse jenes wandalischen "Wirtschaftswunders", das bekanntlich von alten Nazis gemacht wurde. Münchens Oberbürgermeister Ude (SPD) war darob dermaßen erschrocken, daß er mit Klage gedroht hat, falls man ihm das Magnetmonster in die Stadt pflanzen will. Der Politiker weiß, wovon er spricht - Bayern hat eine lange Erfahrung mit teutonischem Technologie-Wahn. Statt weiterhin auf die bewährte Rad-Hufeisen-Technik zu vertrauen, bauten fanatische Ingenieure dort 1835 die erste deutsche "Eisenbahn". Und alle machten den Quatsch nach. Noch heute ärgern wir uns krank über die geldvernichtenden Investitionsruinen kreuz und quer im Land. Die Postkutschen, die kamen wenigstens! Männer wie Ude haben die Lehren aus der Geschichte gezogen.

Freudig begraben haben wir auch den (schon in seinen Ausmaßen deutsch-penetranten) "Cargolifter", jenes Riesenluftschiff, das uns den letzten Rest Sonne vom Himmel gefischt hätte. In der gigantischen Produktionshalle bei Berlin wollen britisch-malaysische Investoren nun den größten überdachten Tropischen Regenwald der Welt schaffen. Statt ödem Fachgesimpel blasser Luftfahrtexperten wird bald mächtiges Affengebrüll den Bau erfüllen! Will da noch jemand behaupten, unserer Epoche sei die Fähigkeit abhanden gekommen, sich würdige Denkmäler zu setzen?
 
     
     
 
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