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In Zeiten wie diesen sollten wir uns an den alten Spruch erinnern, daß auch das Schlechte seine guten Seiten hat. Das Schlechte ist nämlich mal wieder Gesprächsthema, diesmal: Das schlechte Benehmen unserer Jugend. Alles reaktionäre Propaganda, weiß der Chef der saarländischen Junggrünen, Christian Klein. Der hat schnell in einem zukunftsorientierten Pädagogik-Handbuch von 1970 nachgeschlagen, wo er fand, daß "freche, kritische, aufmüpfige" Jugendliche den "dumpfen Angepaßten" vorzuziehen seien. Die dumpfen Angepaßten sind nämlich diejenigen, die guten Tag oder danke sagen und dann Weltkriege führen, so steht s bei Klein.
Zunehmend indes gehen gerade jenen Leuten die Früchte der fortschrittlich en Erziehung auf den Wecker, die diese einst selbst ausgesät hatten. 55jährige Lehrer etwa, die Anno 68 ausgezogen waren, um die "Angepaßten" auszutilgen, haben keine rechte Freude mehr an ihren Ergebnissen. So war das nicht gemeint, rufen sie uns zu. Klar: Respekt muß sein. Nur weil eine Generation von Lehrern die dumpfen Tugenden auf den Müll geworfen hat, heißt das noch lange nicht, daß ihre Schüler das auch dürfen.
Doch das Kind ist wohl im Brunnen. Mittlerweile zeigen sogar hohe Bundeswehr-Offiziere schlimme Zeichen sittlicher Verwahrlosung. Mit nichts sind sie mehr zufrieden. Jetzt forden die Chefs der Teilstreitkräfte gar in aller Öffentlichkeit neue Waffen, weil den verwöhnten Herren das gute alte Material nicht mehr gut genug ist. Peter Struck ist außer sich vor Wut. Hat sich der Leopard II in den vergangen drei Jahrzehnten nicht bestens bewährt? Und die Transall-Transporter aus den 60ern? Die haben unsere halb so alten Rekruten in nur zwei Wochen bis nach Afghanistan getragen. Nicht mal Marco Polo war schneller. Sogar Minenräum-Roboter soll Struck für die Uniformierten anschaffen. Schnösel. Früher hat man den Dreck selber weggemacht.
Wenn dieser Niedergang der Sitten wenigstens unter uns hier in Deutschland bliebe, wäre ja alles nur halb so peinlich. Bleibt er aber nicht. Der türkische Ministerpräsident Erdogan kam voll freudiger Erwartung nach Berlin, wie es jeder fürsorgliche Landesvater tut, der die Gegend inspiziert, in der seine Landsleute einmal leben sollen - später, nach dem EU-Beitritt, wenn die häßlichen Zuwanderungsschranken weg sind. Statt höflich in seine Freude einzustimmen, blamierten uns ungezogene CDU/CSU-Politiker mit der frechen Bemerkung, die Türkei passe nicht zu Europa und für noch mal mehrere Millionen Türken sei in Deutschlands sozialem Netzen kein Platz. Die Menschenrechts-Beauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne), nennt das rassistisch. Und Tayyip Erdogan weiß auch warum: Die Türkei sei schließlich schon zu osmanischer Zeit sehr wohl eine europäische Macht gewesen.
Stimmt, wir erinnern uns: Dank der intensiven Islamisierungsbemühungen der Sultane ist der Balkan noch heute eine der buntesten und interessantesten Regionen des Kontinents. Ohne die Osmanen würden dort jetzt vermutlich lauter stink-langweilige Nationalstaaten nebeneinanderher leben. So aber ist da unten immer was los! Und hätten abendländische Eiferer den Türken nicht vor Wien die Tür vor der Nase zugeschlagen, dann gäbe es jetzt auch keine CSU, sondern höchstens eine bajuwarische Hisbollah-Miliz. Mit der könnte Claudia Roth immerhin Friedensgespräche führen, was im Falle der CSU ja wohl nicht in Frage kommt. Feindseligkeit herrscht heute auf dem Balkan übrigens nur noch in Gegenden wie dem Kosovo, wo sich die christliche Restbevölkerung bockig weigert, den muslimischen Nachbarn das zu geben, was ihnen zusteht, also alles.
Angesichts der rassistischen Entgleisungen aus dem Unionslager mögen sich Rot-Grüne die kritische Frage stellen, warum sie die Union nicht gleich mit verboten haben, damals, beim Kampf gegen rechts vor drei Jahren. Jetzt mühen sie sich wenigstens um Schadensbegrenzung. In Hamburg heißt das Mittel dazu Neuwahlen. Nach Schills Rauswurf sei der Senat, der sich nach 44 Jahren SPD-Regierung mit Hilfe des Pöbels ins Rathaus geputscht hat, nicht mehr derselbe wie 2001. Kleinlich beginnen allerdings die Kommentatoren aufzurechnen und halten der Bundesregierung vor, daß nach ihrer Wahl und Wiederwahl auch nicht alles so gekommen sei, wie s geschrieben stand im Wahlprogramm. Was soll das heißen? Schröder hatte versprochen, er wolle nicht alles anders, aber vieles besser machen. Nun ja, besser sind die Dinge vielleicht nicht geworden, doch anders wurde uns schon. Das muß reichen.
Das Beste am Kanzler ist und bleibt jedoch seine Bürgernähe. Wir einfachen Gemüter wissen bei ihm stets, woran wir sind, weil alles so übersichtlich ist. Volk und Regierung verstehen sich auf Zuruf. Beginnt ein Minister ein Wort mit "Steuer...", weiß das Publikum sogleich, wie es weitergeht: "...erhöhung". Die neue Übersichtlichkeit drückt sich ab diesem Montag sogar in der Art der Abgabeneintreibung aus. In vergangenen Tagen sprachen wir grimmig von "verdeckter Wegelagerei", wenn uns der Staat mal wieder heimlich, still und leise ans Portemonnaie gegangen ist. Dazu haben zumindest die Spediteure nun keinen Anlaß mehr, seit ihnen der Fiskus ohne falsche Scham direkt am Wegesrand auflauert. Damit es deutsche Spediteure demnächst überhaupt noch gibt, fordern diese allerdings einen finanziellen Ausgleich. Na ja. Die Regierung hat elegant darauf reagiert: Man werde das Ansinnen "prüfen", hieß es aus Berlin. Jeder Politfuchs weiß, was diese Formulierung bedeutet: Ihr könnt warten, bis ihr schwarz werdet.
George Bush hingegen kann definitiv nicht warten. Die Zahl der im Irak getöteten US-Amerikaner übersteigt bald die Menge derer, die der Präsident als texanischer Gouverneur zum Tode verurteilt hat. Dem Wahlvolk versprachen begeisterte US-Medien einen Blumen-Empfang in Bagdad. Die Enttäuschung könnte 2004 gefährlich werden. Bush will dann erstmals ordentlich zum Präsidenten gewählt und nicht bloß mit Richterhilfe ins Amt "gelocht" werden wie letztes Mal. Doch Hilfe naht. Deutsche Politiker raunen bereits, wir könnten uns "unserer Verantwortung nicht länger entziehen". Mit anderen Worten: Es geht bald los. Und die Kriegsgründe? Waren die nicht gelogen? Nun, da können die Bush-Fans endlich die Terrorgefahr einbringen: Zwar gab es zu Saddams Zeiten keine islamischen Bombenleger im Irak. Jetzt aber sind wohl alle bekannten Gruppen am Tigris vertreten. So fügt sich am Ende doch noch alles wundersam zueinander. N
Dank der Osmanen wurde der Balkan eine der interessantesten Regionen Europas |
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