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Vom Nachbarn Frankreich ist in den Jahrhunderten viel Hilfreiches zu uns herübergeschwappt. Leckere Sachen zum Essen oder die Hugenotten oder auch allerlei grazile Lehnwörter, die wir heute nicht mehr missen möchten. Ohne das Wort „bizarr“ wüßten wir immer öfter gar nicht, was wir sagen sollten. Zum derzeit tobenden Schulhofsprachenstreit fällt einem außer „bizarr“ minutenlang nichts ein.
Um klarer zu sehen, drehen wir die Geschichte erst einmal auf den Anfang zurück. Vor über einem Jahr war es, da bemerkten die Schüler einer Realschule in Berlin-Wedding mit 90prozentigem Ausländeranteil , daß sie sich reichlich wenig zu erzählen haben auf dem Schulhof, weil sie einander ihrer vielen Sprachen wegen nicht verstanden. Ganz schön langweilig! Da sie offenbar nicht zu jenen Jugendlichen gehören wollten, die das Sprachdefizit mittels „nonverbaler Kommunikation“ (vulgo: Schlägerei) ausgleichen, ersannen sie Abhilfe: Eine Sprache für alle mußte her.
Bis hierhin ging alles gut und keiner hatte etwas auszusetzen. Hätten sich die ahnungslosen Schüler auf Englisch geeinigt, wären sie gelobt worden für ihre „offensive Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung“. Redeten sie künftig alle Türkisch miteinander, sprängen die Zeitungen von Istanbul bis zur persischen Grenze im Dreieck vor Begeisterung und Claudia Roth wäre vielleicht sogar höchstpersönlich vorbeigekommen, um den Realschülern zu ihrem Beitrag für die Fortentwicklung der Bundesrepublik zur Multikulturellen Gesellschaft zu gratulieren.
Sie einigten sich aber auf – Deutsch! Das Reizwort war gefallen, das auf der politischen Bühne des Landes regelmäßig wirkt wie glühende Nadeln unter der Haut. Große Teile der diskutierenden Klasse befällt bei der Erwähnung des Wortes „Deutsch“ die Panik, man könnte ihnen später vorwerfen, „geschwiegen zu haben“ wie „damals“. „Geschwiegen“ oder „zu spät reagiert zu haben“ ist ein politisches Todesurteil, weshalb wir alle immerzu ein wenig nervös sind und umgehend drauflosmahnen, wenn es auch nur sein könnte, daß es paßt. Daß Claudia Roth die erste war, die „das Schweigen brach“, hatten wir bereits berichtet. Das hat niemanden überrascht. In der hohen Zeit der Lichterketten wäre es für die anderen nun darauf angekommen, die Grünenchefin mit möglichst apokalyptischen Auswürfen noch zu übertreffen, um auch ins Rampenlicht zu gelangen.
Die Nordelbische Kirche wähnt sich noch immer in der Lichterkettenära. Synodenpräsident Hans-Peter Strenge warnte daher düster vor dem Deutschsprechbeschluß der Berliner Schüler: „Da ist es nicht mehr weit zu: ,Wir kaufen nur bei Deutschen!‘“ Zack! Mit fester Hand zog der Kirchenchef eine gerade Linie von den Weddinger Realschülern zu Hitlers SA. Sensibilisiert wie wir sind, können wir dem Mann nur eine bewundernswerte Wachsamkeit attestieren (statt, wie in dumpfer Vorzeit nach solchen Äußerungen üblich, uns nach der Temperatur seines Badewassers zu erkundigen). Gewiß hört er auch Stimmen und Schritte in seinem Haus, die den ignoranten Mitbewohnern völlig entgehen.
Nun hätte sich eigentlich eine wunderbare Zeit für Herrn Strenge und Frau Roth anschließen müssen, in der sie in Talkshows und „Expertenrunden“ unter der gebannten Anteilnahme einer verschüchterten Zuhörerschaft darüber hätten fabulieren können, ob „es“ schon wieder soweit sei und wo die „Zivilgesellschaft versagt hat“.
Doch plötzlich geschah etwas, was vor wenigen Jahren undenkbar war: Die breite Öffentlichkeit hatte gar keinen Appetit mehr auf Empörung und Ermahnung und fragte spröde nach, worüber man sich denn aufrege: Die Schüler haben das mit dem Deutschsprechen doch selber beschlossen? Der Versuch, den jungen Leuten einzutrichtern, daß hinterhältige Deutschnationale ihnen den Entschluß eingetrichtert hätten, zerschellte an den nüchternen Entgegnungen des türkischstämmigen Schülersprechers: „Wir brauchen die deutsche Sprache. Wir wollen unseren Realschulabschluß, und wenn wir eine Lehrstelle finden oder das Abitur machen wollen, dann müssen wir gut Deutsch sprechen.“
Das also kommt heraus, wenn man es 17jährigen Schnöseln überläßt, ihre Sache selber in die Hand zu nehmen, statt dies anerkannten Interessenvertretern zu überlassen, die das besser und vor allem viel soziologischer können als sie. Die Interessenvertreter lassen jedoch nicht locker und forschten nun nach der „verdeckten Diskriminierung“, die hinter dem Unerklärlichen stecken muß. Sehr entgegenkommend wäre es gewesen, wenn sich die Schüler irgendwelche Strafen für Sprachverstöße ausgedacht hätten. Da würde man sie dann vor aller Welt festmachen können, die Diskriminierung. Deshalb verlegten sie die Diskussion nach den ersten Enttäuschungen auch geschwind auf die Frage, wie man das Deutschsprechen denn „durchsetzen“ wolle. Nur ein einziger töffeliger Hamburger CDU-Politiker machte ihnen daraufhin den Deppen und bellte: „Den Schulhof fegen!“ In Ketten am besten, würde Synodenpräsident Strenge jetzt gern noch gehört haben, um für seine SA-Predigt eine zweite Chance zu erhalten.
Abermals waren es die Weddinger Schüler, die alles vermasselten. Auf die Frage nach Strafen zuckten sie bloß mit den Schultern. „Wieso Strafen? Es halten sich eben alle dran und basta“, hieß es sinngemäß.
Es war zum Haareraufen! Frustriert vom völlig unbefriedigenden Verlauf der Affäre, die partout keine werden wollte, zogen sich etliche Schulpolitiker und andere Berufene darauf zurück, pfiffige Leimruten auszulegen, etwa mit dem guten Rat, statt auf dem Schulhof Deutsch zu verlangen sollte man die Sprache lieber schon im Vorschulalter verabreichen. Die naheliegende Rückfrage, was ein 16- oder 17jähriger Realschüler mit dieser Empfehlung anfangen soll, stellte zu ihrem Glück niemand.
Doch es half nichts, alles Gezeter vepuffte. Unser Land hat sich verändert. Der „interkulturelle Dialog“ hat merkwürdige Formen angenommen, man könnte fast sagen: Er findet statt, auf deutsch. Auf einem Schulhof im Wedding. Ganz ohne fachliche Betreuung. Es wird lange dauern, bis wir uns daran gewöhnt haben.
Wir hatten uns schließlich darauf geeinigt, daß es weder Leitsprache noch -kultur geben dürfe, sondern lediglich westliche Werte wie die Meiungsfreiheit etwa, an die man sich zu halten habe, und schon sei man „integriert“. Die Dänen sind sehr stolz auf die Meinungsfreiheit in ihrem Lande und versäumen es nicht, diesen Sachverhalt des öfteren ins Gespräch zu bringen. Diese Freiheit sei den Dänen ein teures Gut.
Wie teuer, wurde nicht verraten. Die islamische Weltgemeinde hat dies dazu animiert, den Preis auszuloten. Sie brauchte nicht lange, was uns nicht weiter verwundert hat. Erstaunt waren wir nur, als sich erwies, daß der Preis des dänischen Stolzes tatsächlich in Geld besteht! Man ist ja immer überrascht, wenn sich die Wahrheit viel banaler zeigt als lange angenommen.
Erst als eine Reihe islamischer Länder begann, dänische Produkte wegen der Mohammedbilder in der Zeitung „Jyllands-Posten“ zu boykottieren, überschlugen sich die Nachbarn in Beteuerungen ihres Bedauerns, Gefühle verletzt zu haben, nachdem sie bis dahin alle Schimpfkanonaden mit dem stoischen Hinweis pariert hatten, daß bei ihnen „Meinungsfreiheit“ herrsche und sich da niemand einzumischen habe.
Zwar betonen die Dänen, daß diese Freiheit unversehrt fortbestehe. Hinter den Bekundungen des Bedauerns blinzelt indes das Versprechen hervor, es nie wieder zu tun. Die Schere wandert vom Finger in den Kopf: Wer sowieso nur sagt, was er auch sagen darf, der merkt die Einschränkung gar nicht. So bleibt die dänische Presse trotz allem frei wie ein Vogel – sie macht gewisse Sache nur eben nicht mehr – „freiwillig“.
Synodenpräsident warnt: Wo Deutsch gesprochen wird, da ist die SA nicht mehr weit!
Pausen-Pflicht-Predigt der Missionsschwestern aus dem Regierungsviertel |
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