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Kurt Beck hatte Mühe, seine "Unterschicht"-Bemerkung wieder vom Hals zu kriegen. "Hab ich ja gar nicht gesagt", beteuert der Arme seit Wochenbeginn. Aber so ist das mit dem unverständigen Volk und den skrupellosen Medien. Aus so fein ziselierten Soziologenschöpfungen wie "sozial auffälliger Jugendlicher" etwa machen die einfach "kleiner Gauner" und "das abgehängte Prekariat" der Friedrich-Ebert-Stiftung verkam in der öffentlichen Verkürzung zur banalen "Unterschicht".
Die war natürlich auch gemeint, aber solche Wörter verwendet man nicht, weil sie die Atmosphäre stören und Gefühle verletzen. Wer will das schon? Wird unser Land schöner durch solch brachialen Straßenjargon? Eben! Daher haben wir uns vor langer Zeit geeinigt: Wenn wir ein Problem nicht lösen können, lassen wir es nicht einfach herumliegen, sondern packen es hübsch ein in einen behaglichen Begriff - damit es wenigstens nicht auch noch unsere gepflegte Debattenkultur verlaust.
Da nun mal die Probleme nicht weniger werden, die Lösungen der Politiker aber schon, benötigen wir immer mehr passend beschriftete Verpackungen. Die Armut etwa wird in den Terminus "sozial benachteiligt" gewickelt, der ausgeprägte Hang zu Faulheit und Kriminalität ruht gut versteckt in der "Tendenz zu dyssozialem Verhalten".
Allerdings machen sich viele der Hüllen doch recht mehlig und bieder aus, weshalb wir die Friedrich-Ebert-Stiftung für ihr innovatives Design nur bewundern können: "Das abgehängte Prekariat". Wie sind die nur darauf gekommen? Fühlen wir uns nicht alle hin und wieder ein bißchen "abgehängt", ja manchmal sogar regelrecht "prekär"? Gehören wir in solchen Momenten schon zur ... ? Aber das Wort benutzen wir ja nicht mehr.
Nein, gemeint sind Leute, die nicht nur keine Arbeit finden, sondern auch keine wollen, weil sie entweder a) zu faul sind oder b) nach langer Suche resigniert haben. Für die b)-Leute ist es sicher eine interessante Erfahrung, daß sie mit den a)-Leuten nun gemeinsam im Bündelbegriff "Prekariat" verschnürt wurden.
Solche Menschen seien es, die gar nicht mehr wählen gehen oder gar ihr Kreuz bei der NPD machen, weshalb man sich nun wieder für sie zu interessieren beginnt. Oftmals gehörten die "Prekarier" auch "bildungsfernen Schichten" an (ins Trockene übersetzt: dumm geboren und nichts dazugelernt), was sie anfällig mache für die dumpfen Parolen der Nationalsozialisten. Allerdings haben offenbar auch die Aktivisten der Antifa-Szene Bildung nur in homöopathischen Dosen zu sich genommen. Vor dem Schweriner Landtag demonstrierten sie gegen die NPD mit der Parole "Für ohne Nazis". Hättet ihr doch nach der Zwoten weitergemacht!
Die tapferen Demonstranten sollte man aber - trotz ihr dokumentierten "Bildungsferne" - nicht vorschnell ins Prekariat abschieben. Immerhin sind sie ja engagiert und bemühen sich um einen Platz in der Gesellschaft, beispielsweise als Planstellenfüllmasse bei einem der vielen, wertvollen Projekte gegen Rechts. Im Landtag schärft die PDS ihr soziales Profil, indem sie sich eifrig für die Fortsetzung und Aufstockung der Zuschüsse für diese Projekte ins Zeug legt, in denen Antifaschisten auch "für ohne Bildung" ein stabiles Auskommen finden.
Dabei stellt der allseitige Kampf gegen Rechts allerdings Anforderungen, die sich bisweilen selbst im Wege stehen. So gilt es einigen der aufrechtesten Anti-Rechts-Kämpfer, den sogenannten "Antideutschen", schon als rassistischer Übergriff, wenn Ausländerkinder in Schulen und Kindergärten genötig werden, deutsch zu sprechen oder sich gar unseren kulturellen Vorstellungen anzunähern. Das sei "Germanisierung" und also von Grund auf "Nazi". Zum Glück der Antideutschen lernen viele der Zuwandererzöglinge weder die deutsche Sprache noch die Kultur kennen, was indes schwer erklärbare Blüten treiben kann, welche eine Feldstudie von Studenten der Berliner "Alice-Salomon-Fachhochschule" vergangenes Jahr ins Licht rückte.
Sie befragten 100 muslimische Jugendliche Berlins nach ihrer Haltung zu Juden und fanden heraus, daß weit über die Hälfte agressiven (und durch saftige Bemerkungen stolz zur Schau getragenen) antisemitischen Vorstellungen folgten. Erschüttert waren die Studenten vor allem darüber, daß der Judenhaß selbst dort stark ausprägt war, wo "ausgezeichnete präventive Arbeit bezüglich der Bekämpfung des Antisemitimus geleistet" werde. Offenbar haben die jahrelangen, eindringlichen Reden der Pädagogen keinen Eingang gefunden in die Hirne jener Schüler, die eh nur die Hälfte verstehen und sich ansonsten ein Ei drauf pellen, was ihnen ungläubige Lehrer von der Geschichte erzählen. Sie haben ihr eigenes Weltbild im Schädel.
Und in der Faust. Als ebenfalls 2005 eine Schülergruppe des Jüdischen Gymnasiums Berlin-Mitte in der S-Bahn mit einer Gruppe muslimischer Hauptschüler zusammentraf, gingen die Moslems unter Brüllen antisemitischer Hetzparolen auf die jungen Juden los. Besonders unangenehm: Die Lehranstalt der Hauptschüler schmückt sich mit dem offiziell verliehenen Ehrentitel "Schule ohne Rassismus".
Immerhin hatten Politik und Pädagogen schnell eine Lösung parat: Ein Entschuldingungsschreiben wurde aufgesetzt, das die muslimischen Jugendlichen bereitwillig unterschrieben. Warum, sollte sich indes schnell herausstellen. Auch sie waren offenbar von allen übertriebenen Germanisierungsattacken verschont geblieben. Eine spätere Diskussion mit einem Vertreter der Berliner Bildungsverwaltung ergab, daß sie "überhaupt nicht verstanden, was sie in ihrem Entschuldigungsbrief unterschrieben haben", wie der Beamte bekümmert erklärte. Von dem antisemitischen Müll in ihren Köpfen rückten sie offenbar keinen Deut ab.
Es berührt einen an der Seele, in welch gräßliche Dilemmata das gleichzeitige Ringen gegen "deutschen Kulturchauvinismus" und Antisemitismus treiben kann. Dabei hatten es alle Engagierten doch nur gut gemeint!
Die Studie und die Vorfälle von Berlin sind hinderlich bei dem Bestreben, der Öffentlichkeit ein scharf konturiertes Bild davon zu malen, wer die Guten sind und wer die Bösen. Daher hat man von der kleinen Studie auch kein weiteres Aufhebens gemacht und verzichtet lieber darauf, den Antisemitismus junger Muslime in Deutschland wissenschaftlich fundiert zu untersuchen. Das Resultat wäre multikulturell wahrscheinlich kaum zu verantworten.
Ganz anders ist natürlich der Vorfall von Sachsen-Anhalt zu bewerten, wo drei Teenager einen Mitschüler mit antijüdischer Hetze vor dem Bauch über den Hof jagten. Der Skandal ist zwar kaum so repräsentativ für die einheimischen deutschen Jugendlichen wie der Berliner Studie zufolge die Hetzsprüche der jungen Muslime für ihresgleichen. Aber was nicht repräsentativ ist, kann Ralph Giordano ja repräsentativ machen: "An dieser Untat ist ganz Deutschland beteiligt", scharfrichtert der Schriftsteller - für ohne Scherz! Warum er das macht? Eine Theorie wäre, daß er so auf Dauer klarstellen will, daß die Deutschen grundsätzlich üblerer Natur sind als alle anderen. Dafür muß man seine Anschuldigungen der jeweiligen Lage anpassen. Wenn also mehr als die Hälfte der jungen Muslime tatsächlich Antisemiten sein sollten, dann müssen wir eben behaupten, bei den Deutschen sind es alle! Sonst geht das Gefälle flöten.
In anderen Ländern geht man ähnliche Wege. "British Airways" hält die Gut-Böse-Konstellation dadurch stabil, daß es seinen Angestellten das Kopftuchtragen zwar als legitimen Ausdruck ihrer Religion erlaubt, ein kleines Kreuz um den Hals aber als Diskrimierung der nichtchristlichen Kollegen verbietet. Somit wird jeder Kreuzträger zum Diskriminierer, während Muslime diesen Status gar nicht erreichen können. Eine uneinsichtige Kreuzträgerin wurde bereits gefeuert. |
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