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Gemeinsame Erinnerungen

 
     
 
Wegen unkalkulierbarer notwendiger Baumaßnahmen nach der Übernahme durch den Landkreis München der Liegenschaften der Ost- und Westpreußenstiftung in Oberschleißheim konnte die traditionelle Gedenkstunde für die Opfer von Flucht und Vertreibung zum 8. Mai 2005 nicht durchgeführt werden und wurde auf die Volkstrauertagsveranstalt
ung 2005 vertagt, wobei auch hier ein weiterer Aufschub notwendig wurde, so daß dieses Gedenken erst am Totensonntag 2005 erfolgen konnte. Es war zwangsläufig das letzte Mal, daß man sich noch einmal zusammenfand im alten Genre der bisherigen Einrichtungen der Stiftung (im ehemaligen "Königsbergzimmer"), denn der bis Jahresende 2004 fast fertige Um- und Ausbau des Wirtschaftsgebäudes durch den Landkreis wird künftig - wenn auch weiter in der Zweckbindung als Ausstellungs- und Begegnungsräume - jedoch mit neuen modernen und weitaus besseren Aspekten der Darbietung ausgestattet sein.

Die Veranstaltung - unter der Schirmherrschaft des Landrats des Landkreises München Heiner Janik - begann am Ehrenmal mit dem geistlichen Wort und einer Andacht von Pfarrer i. R. Werner Ambrosy für die Verstorbenen. Anschließend erfolgten die Kranz- und Blumen-Niederlegungen am Ehrenmal zu den Klängen eines Trompetensolos des Chorals "Ich bete an die Macht der Liebe" der Blaskapelle Unterschleißheim.

Danach begab man sich hinüber zum Mahnmal, wo Doro Radke die Totenehrung und die Worte zum Geläut der Kiwitter Kirchenglocke sprach, deren Erklingen an die Verpflichtung "zum Frieden und zur Verständigung unter den Menschen wie unter den Völkern" mahnt.

Die weiteren Ansprachen und der Ausklang der Gedenkfeier erfolgten im Königsbergzimmer des noch nicht (für letzte Baumaßnahmen) vollständig ausgeräumten Wirtschaftsgebäudes.

In seiner Begrüßung betonte Gustav Graf von Keyserlingk, der 1. Vorsitzende der Ost- und Wespreußenstiftung: Der Volkstrauertag sei ein Tag des stillen Gedenkens und des Rückblicks, der Erinnerung an die Gefallenen, an die Opfer des Bombenkrieges, des Einmarsches feindlicher Truppen und der Vertreibung. Und er fügte hinzu: "Hoffentlich gibt es diese Erinnerung noch, in der Mitte unserer Städte und Dörfer, in einem Ehrenmal, das all die Namen der Toten nenne, damit keiner verloren sei." Was sie auf sich genommen haben, leisten mußten, sei vielen heute unverständlich ... Wie konnten sie kämpfen, wie sie gekämpft haben, leiden, wie sie gelitten haben? Aber eines sei sicher: Sie würden es ebenso wenig verstehen, wenn wir die Erinnerung an sie nicht in Ehren halten, achtlos beiseite legen würden ... Wenn wir uns nach dem Sinn ihres Schicksals fragen, müssen wir bedenken, daß wir kaum anders als mit den Maßstäben unserer Zeit messen können. Wir denken heute an die Folgen der beiden großen Kriege, an denen Deutschland beteiligt war. Im Anschluß an diese waren wir aber auch Zeitzeugen von kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen Deutschland nicht beteiligt war - mit Flucht und Vertreibung, Aggression und Unterdrückung, Terror und Gegenterror, Rassismus und Völkermord, Fanatismus und Menschenverachtung und die immer noch nicht enden wollende Serie von Anschlägen ... Hat denn die Zahl der Opfer von Krieg und Terror in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgenommen? Droht nicht das 21. Jahrhundert seinem Vorgänger hierin nur allzu sehr zu ähneln?" So gewinnt der Volkstrauertag leider doch wieder den aktuellen Bezug, den wir ihm gern bestritten hätten.

Graf Keyserlingk schloß mit einem Zitat des französischen Staatspräsidenten François Mitterand vom 8. Mai 1995: "Europa, das bauen wir, aber unsere Vaterländer, die lieben wir. Bleiben wir uns selbst treu! Verbinden wir die Vergangenheit mit der Zukunft, und wir werden in Frieden den Geist dieses Zeugnisses an jene weitergeben können, die uns nachfolgen."

Die Veranstaltung 2005, die unter der vorgegebenen Prämisse "60 Jahre Flucht und Vertreibung" stattfand, stand aber auch unter dem Zeichen "Versöhnung und Verständigung zwischen ehemaligen Feinden", Begegnung und gegenseitige Aufarbeitung historischer Schicksalsverbindungen.

In ihrer Gedenkrede erinnerte Doro Radke, die 3. Vorsitzende der Ost- und Westpreußenstiftung, an den unermeßlichen Leidenstribut, der insbesondere die Menschen aus dem deutschen Osten im und nach dem Zweiten Weltkrieg betraf - 18 Millionen wurden hiervon erfaßt, rund 2,5 Millionen verloren dabei ihr Leben - der aber heutzutage mit zunehmendem Abstand immer mehr verschwiegen, verharmlost, herabgemindert und letztendlich der Vergessenheit überantwortet werde.

Vergessen helfe indessen nicht, künftige Kriege und Gewaltauseinandersetzungen mit ihren schrecklichen Folgen zu verhindern, auch nicht, ehemalige Feinde zu versöhnen und sie einem friedlichen Miteinander zuzuführen, sondern nur das ehrliche Bekenntnis, die Aufarbeitung und damit Bewältigung von Verhängnissen und Verfehlungen auf allen Seiten - nach den Worten von Marcel Proust: "Gemeinsame Erinnerungen sind manchmal die besten Friedensstifter!".

Erinnern bedeute nicht Wehklage oder Anklage, sondern sei verbunden mit der Hoffnung und Zuversicht, daß heutige und kommende Generationen auch aus den dunkelsten Kapiteln der Geschichte lernen: Zu Frieden und Freiheit gibt es keine Alternative, Krieg, Völkerhaß, Gewalt und Terror müssen geächtet werden und endlich aufhören!

Unsere Trauer gebühre an diesem Tage daher zunächst dem Gedenken all jener, die damals auf den Straßen der Flucht, in den Fluten von Haff und Meer (bei der Tragödie der Flüchtlingsschiffe "Wilhelm Gustloff", "Goya" und "Steuben" ertranken bei Kriegsende rund 20000 Menschen in der Ostsee), im Bombenhagel der Luftangriffe (und hier gilt das Wort "Dresden" als Synonym für den Massentod von geschätzten 20000 bis 30000 Menschen) sowie in den Deportations- und Gefangenenlagern und bei den gewaltsamen Massenaustreibungen nach Kriegsende ums Leben kamen.

Sie gelte gleichfalls den deutschen Soldaten, die ihr Leben opferten und durch ihr Ausharren auf verlorenem Posten unzähligen Zivilisten die Flucht nach Westen ermöglichten sowie nicht zuletzt jenen, die fern der Heimat starben, deren Namen niemand mehr kennt und für die die hier in die Gedenkmauer eingelassenen Glasziegel mit Heimaterde letzte Ruhestätte symbolisieren.

Einbeziehen in die Trauer wollen wir heute auch "alle Opfer, die in und nach der Katastrophe der Weltkriege Gewalthandlungen und Greueltaten ausgesetzt waren wie die Holocaust-Opfer der Massenmorde in den Konzentrationslagern des verbrecherischen NS-Regimes sowie auch die Opfer von Vertreibungen, Massakrierungen, Zerstörungen ihres Lebensraumes in den nachfolgenden Kriegen, ob in Pakistan, im Kosovo, im Irak, in Tschetschenien und an weiteren Krisenschauplätzen und nicht zuletzt auch jene Bundeswehr-Soldaten und ihre Nato-Kameraden, die im Einsatz für den Friedensdienst im nahen Osten den Tod erlitten.

In unmittelbarer Nähe der beiden Gedenkstätten wird im Zusammenwirken mit dem Landkreis und dem Kreisjugendring München in Oberschleißheim eine Begegnungsstätte für die Jugend osteuropäischer Nachbarvölker entstehen, um gegenseitiges Kennenlernen, Verständnis füreinander, friedliches Miteinander und auch Freundschaft zueinander zu wecken und zu festigen. Hier könnte ein Anfang gemacht werden, unter anderem durch die Einbringung und Bewahrung althergebrachten ostdeutschen Kulturgutes in eine abendländische historische Gemeinsamkeit - für die Entwicklung eines gesamteuropäischen Zusammengehörigkeitsgefühls kommender Generationen.

Grußworte auch in diesem Sinne übermittelten die Oberschleißheimer Bürgermeisterin Elisabeth Ziegler und Landrat Heiner Janik. Frau Ziegler erklärte: "Wir wollen die Toten, die so schrecklich gestorben sind, nicht vergessen ... und wenn wir der Trauer und der Betroffenheit angesichts so vieler Opfer einen Raum, einen Ort, einen Tag in unserem Leben, in unserer Gesellschaft geben, dann setzen wir ein Zeichen. Wir wollen uns nicht mit Krieg und Gewalt abgeben, wir haben andere Werte ... Der heutige Tag erinnert an dunkle Tage unserer Geschichte, doch ihm wohnt auch ein Lichtblick inne, Trauer und Gedanken können Wege in die Zukunft weisen, können zur Aussöhnung, Frieden und der Wahrung der Menschenrechte führen".

Landrat Heiner Janik brachte zum Ausdruck, daß es bei diesem Gedenken nicht um die Relativierung von Schuld gehe, sondern um ein würdevolles Andenken an Menschen, die unter Unrecht gelitten haben und Opfer geworden sind. "Ich bin der Ost- und Westpreußenstiftung dankbar für ihre wertvolle Arbeit, die sowohl Erinnerungsarbeit als auch Versöhnungsarbeit ist. Beides muß sein, Erinnern und Erinnerung behalten, was an Leid, Schmerz und Trauer Millionen von Menschen widerfahren ist, Unrecht nicht in Vergessenheit geraten lassen. Aber nach dem Blick zurück den Blick nach vorn zu richten auf eine Zukunft, die die Hand reicht zwischen Menschen und zwischen Völkern. Genau aus diesem Grunde sind diese beiden Gedenkstätten wichtig und erhaltenswert. Sie sollen auch dazu beitragen, daß das Leid und die Opfer der Kriege nicht aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt und damit vergessen werden."

"Wider dem Vergessen" ist nicht nur eine leere Worthülse für die Teilnehmer des traditionellem Totengedenken.
 
     
     
 
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