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Gerechtigkeit für alle Seiten

 
     
 
Innerhalb weniger Monate sind zwei Bücher erschienen mit Titeln, die eine Verwechslung leicht möglich machen, eine Verwechslung, vor der man aber dringend warnen muß. Als erstes kam der Band "Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert" auf den Markt, der von Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär herausgegeben wird, dem dann im Herbst 2002 das Buch "Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert" folgte, dessen Herausgeber
die namhaften Historiker Franz W. Seidler und Alfred M. de Zayas sind.

Stimmen die Titel auch fast überein, so kann es kaum größere Ge-gensätze geben als die in diesen beiden Büchern zu Tage tretenden Auffassungen von historischer Wissenschaft.

Schon die Herausgeber des älteren Buches, Wette und Ueberschär, müssen stutzig machen. Beide zählt man gemeinhin zur sogenannten "roten Zelle" des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, einer inzwischen ausgeschiedenen Gruppe, die unter ihrem damaligen Vorgesetzten und geistigen Vater, Prof. Manfred Messerschmidt, es sich angelegen sein ließ, die deutsche Seite mit Schuldvorwürfen zu überhäufen, die Sieger hingegen weitgehend freizusprechen. Dieses Buch ist denn auch dem damaligen Leitenden Historiker im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Messerschmidt, zum 75. Geburtstag ge- widmet, jenem Mann, der der Erfinder des Grundsatzes ist, die deutsche Wehrmacht dürfe keine traditionsbildende Kraft für die Bun- deswehr haben. In volkstümliche Propagandaaktionen umgesetzt hat die Thesen der "roten Zelle" dann Jan Philipp Reemtsma mit seiner Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht". Bezeichnend für das angeblich wissenschaftliche Buch, zu dessen Autoren auch Hannes Heer und Walter Manoschek gehören, beide maßgeblich beteiligt an der Konzipierung der so jämmerlich gescheiterten Reemtsma-Ausstellung, ist das Nachwort Ralph Giordanos, dessen wutschäumender Antifaschis-mus nur noch übertroffen wird von seiner Eitelkeit. Er verleiht Manfred Messerschmidt den Ehrentitel "Ne-stor der kritischen Militärwissenschaft".

Von gänzlich anderer Qualität ist das neueste Buch von Franz W. Seidler und Alfred M. de Zayas, "Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert", das sich auszeichnet durch Sachlichkeit, das strikte Bemühen um Wissenschaftlichkeit und die Anstrengung, allen Seiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In dem Buch haben Seidler und de Zayas die Arbeiten von 52 Autoren aus dem In- und Ausland zusammengefaßt, die Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht unter Nennung ihrer Quellen darstellen, Verstöße, die nach der Rechtslage der Zeit, in der sie geschahen, tatsächlich Kriegsverbrechen waren. Damit der Leser die rechtliche Bewertung nachvollziehen kann, ist der Schilderung von 140 Fällen die Rechtslage in einer Übersicht vorangestellt, die dann am Schluß ergänzt wird durch eine ausführliche Arbeit des Völkerrechtlers Prof. Dr. Steinkamp über die Rechtsgrundlagen. Die Herausgeber haben auch behauptete "Kriegsverbrechen" aufgenommen, die überwiegend den Verlierern des Zweiten Weltkrieges zur Last gelegt wurden, und sie daraufhin untersucht, ob die heute vor allem in der Publizistik behaupteten Verbrechen tatsächlich stattgefunden haben. Dabei kommen die Autoren häufig zu erstaunlichen Ergebnissen.

Das Buch beginnt mit einer Untersuchung, wie weit die britischen Konzentrationslager und die Kriegführung im Burenkrieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts Kriegsverbrechen waren. Es werden Kriegsverbrechen während der Balkankriege 1912/13 geschildert. Kritisch prüfen namhafte Historiker die angeblichen deutschen Greueltaten in Belgien im Jahre 1914. Die britische Blockadepolitik im Ersten Weltkrieg wird ebenso untersucht wie der Gaskrieg sowie wirkliche und angebliche Kriegsverbrechen im Rahmen des Seekriegs beider Seiten.

Angemessenen Raum nimmt im Abschnitt "Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg" der Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung ein, der sorgfältig, beginnend mit den längst vor Kriegsausbruch entwickelten Luftkriegsdoktrinen der kriegführenden Mächte bis zu den Tieffliegerangriffen auf die Bevölkerung, dargestellt wird. Die Massenmorde der Einsatzgruppen im Osten, die Massenvergewaltigungen bei der Besetzung Ostdeutschlands durch die Rote Armee, die Massenmorde an den Jugoslawien-Deutschen, Erschießungen englischer Kriegsgefangener durch Einheiten der Waffen-SS sowie die schrecklichen Ereignisse im Partisanenkrieg nicht nur im Osten, sondern ebenso im Südosten, im Süden und im Westen werden daraufhin untersucht, wie weit sie als Kriegsverbrechen zu bewerten sind. Dabei wird manches als Legende entlarvt. Übrig bleiben nackte Tatsachen, die, da sie von Propaganda frei sind, um so mehr beeindrucken. Waren die deutschen Luftangriffe auf Warschau, Guernica oder Coventry wirklich völkerrechtswidrig? Kann man die Versenkung der "Wilhelm Gustloff" als Kriegsverbrechen bezeichnen? Wie sind die Geiselerschießungen in Italien, Serbien, Griechenland zu bewerten? Diese und viele andere Fragen werden nüchtern untersucht, wodurch die Ereignisse auf den Boden der Tatsachen zurück-geholt werden.

Mit dem Zweiten Weltkrieg beenden die Herausgeber die Untersuchungen nicht. Sie fragen vielmehr auch, welche Nachkriegsverbrechen die Besatzungsstreitkräfte begangen haben. Die dargestellten Fälle reichen von der Auslieferung nichtdeutscher Kriegsgefangener an die Sowjetunion über die Vertreibungsverbrechen der Sowjets, der Polen und der Tschechen, die Internierungslager in den Besatzungszonen sowie die Behandlung deutscher Kriegsgefangener durch die französische Armee bis zu den Repressionen gegen deutsche Volksgruppen.

Diesem Kapitel schließen sich Untersuchungen über Kriegsverbrechen im Algerienkrieg 1954 bis 1962 an sowie Darstellungen von Greueltaten im israelisch-arabischen Konflikt zwischen 1948 und 1990. Kriegsverbrechen, die im Bewußtsein der Öffentlichkeit kaum vorhanden sind. Ein weiterer Abschnitt befaßt sich mit irakischen und US-amerikanischen Kriegsverbrechen im Golfkrieg sowie mit den blutigen Geschehnissen während der Balkankriege ab 1990.

Seidlers und de Zayas Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung der zeitgeschichtlichen Dis-kussionen um die Kriegsereignisse im vorigen Jahrhundert. Die Autoren schonen keineswegs die deutsche Seite, aber sie folgen den Tatsachen, und dabei stellt sich heraus, daß sich keine Seite von entsetzlichen Kriegsverbrechen freisprechen kann. Und das Schreckliche: Solche Kriegsverbrechen haben mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht aufgehört, sondern sie wurden und werden in nicht nachlassender Brutalität weiter begangen.

Man sollte das Buch "Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert" unse- rem Bundespräsidenten auf den Schreibtisch legen und ihn veranlassen, es vor Auslandsreisen zu lesen, auf daß er in Zukunft nicht dort deutsche Schuld und Reue bekennt, wo es durch Tatsachen nicht gerechtfertigt ist. Dr. Hübner

Franz W. Seidler, Alfred M. de Za-yas: "Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert", Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg 2002, gebunden, 380 Seiten, Euro 49,90
 
     
     
 
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