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Gerhart Hauptmanns Wirken für die Nation

 
     
 
Bert Brechts, des Stalinpreisträgers, 100. Geburtstag wurde heuer durch eine Festrede von Bundespräsident Herzog gewürdigt. Man überbot sich mit Jubelveranstaltungen jeglicher Art. Beim 50. Todestag Gerhart Hauptmanns, der 1996 zu begehen gewesen wäre, ging es vergleichsweise still zu. Ist der Dichter der "Weber" und "Hanneles Himmelfahrt" geringer zu achten als der Mann, der den "Macky-Messer-Song" verfaßt hat? Selbstredend wäre es töricht, einen Autor zu verketzern, weil er Stalin verherrlicht und die Berliner Arbeiter 1953 im Stich gelassen hat. Aber warum kreidet man es Hauptmann immer noch an, daß er 1933 nicht emigriert ist?

Der Kritiker Alfred Kerr, früher mit dem Dichter befreundet, ließ damals seinem rasenden Haß besinnungslos die Zügel schießen: "Es gibt seit gestern keine Gemeinschaft mehr zwischen mir und ihm, nicht im Leben und nicht im Tod. Ich kenne diesen Feigling nicht. Dornen sollen wachsen, wo er noch hinwankt. Und das Bewußtsein seiner Schande soll ihn würgen in jedem Augenblick." Ähnlich gehässig geiferten manche Stimmen, als Hauptmann, unmittelbar bevor man ihn aus seiner schlesischen Heimat vertreiben wollte, die Augen für immer schloß. Und nun schickt man sich an, über den Dichter, der den Nobelpreis
für Literatur erhielt, den England und die USA, den die Dichter Rußlands bewundert haben, das Leichentuch des Verdrängens und des Vergessens zu breiten. Dabei war er niemals Mitglied der NSDAP, hat sogar eine Einladung zur Audienz bei Adolf Hitler nicht angenommen. Trotzdem trifft ihn der Bannfluch. Denn sein Wesen und sein Werk waren, wie er einmal bekannte, "in Heimaterde verwurzelt." Immer nahm er Partei für sein Volk, immer für die Unterdrückten und Entrechteten. Seine "Weber" sind ein Denkmal für die Generation seines Großvaters, der 1844 den Aufstand der hungernden schlesischen Weber erlebt hat. Bei den Milieustudien, die Hauptmann für sein Drama in den Weberdörfern unternahm, fand er zu seinem Entsetzen, daß sich an der Not ein halbes Jahrhundert später kaum etwas geändert hatte. Die Hütten waren zerfallen, die Menschen zerlumpt, ihre Körper von der Arbeit am Webstuhl gekrümmt, ihre Augen erblindet. Der Aufschrei seiner Dichtung galt also der damaligen Gegenwart des Wilhelminischen Deutschland, in dem Profit und Kapital regierten. In einer Schlüsselszene dieses Dramas hocken die Weber mutlos beisammen, als ihnen jemand die Strophen des historischen Weberlieds von 1844 vorliest. Der Vortrag ist schülerhaft, die Verse sind holprig, aber sie treffen die Menschen ins Herz. Einer von ihnen springt, am ganzen Leib zitternd, wutbebend auf. "Der das geschrieben, Mutter", ruft er seiner Frau zu, "der sagt die Wahrheet. Das kannst du bezeugen … Wie heeßts? Hier werden Seufzer … wie? hier wern se viel gezählt … Du weeßt’s, was mir aso seufz’n een Tag um a andern, ob m’r stehn oder liegen … Jedes Wort … da is all’s aso richtig wie in d’r Bibel!" Von Wort zu Wort, das erschütternd und befreiend aus ihm herausbricht, schwillt seine Erregung, bis ein anderer Weber aufspringt und aufbegehrt: "Und das muß anderscher wern, sprech ich, jetzt uf der Stelle. Mir leiden’s nimeh, mag kommen, was will." Welche Macht das Wort hat, ist in dieser Szene von Hauptmann wie im Sinnbild gestaltet. Die Dichtung macht dem Menschen bewußt, wie unsäglich er leidet, und drängt ihn, seine Ketten zu sprengen.

Die damals Herrschenden haben entsprechend reagiert. Die Aufführung der "Weber" wurde 1892 untersagt. Als das Verbot schließlich aufgehoben wurde, kündigte der Kaiser die Hofloge im Deutschen Theater in Berlin. Einige Jahre später hatte sich Hauptmann auf der Bühne durchgesetzt. Dennoch bereitete das Publikum seinem "Florian Geyer" einen glatten Durchfall. Nach wenigen Aufführungen wurde das Stück, das den Bauernaufstand von 1525 zum Stoff hatte, abgesetzt. Im historischen Gewand ging es auch hier um die Ausbeutung der Armen durch die leuteschindenden Junker. Aber Hauptmanns Werk zielt auf mehr. Als die Aufständischen sich versammeln, zeichnen sie einen Kreidekreis auf eine Tür, in den einer nach dem andern sein Messer stößt, um zu sagen, wen er damit treffen will: Allen Fuggern und Welsern – allen Schindern und Schabern – allen pfäffischen Königen und königlichen Pfaffen mitten ins Herz! Zuletzt tut Florian Geyer seinen Spruch: "Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz!"

Dieser harte Stop, der Kapital und Klassenkampf in gleicher Weise traf, erregte rechts und links. Enttäuscht schrieb der Dichter in die Buchausgabe seines Dramas: "Das deutsche Nationalgefühl gleicht einer zersprungenen Glocke: ich schlug mit dem Hammer daran, aber es tönte nicht." Dennoch hat Hauptmann an diese große Glocke immer wieder wuchtig geschlagen, vor allem in den Tagen der Not. Als nach der Niederlage von 1918 die Demütigung durch die Sieger und die Verhetzung durch den linken Mob das deutsche Volk erniedrigten, rief der Dichter den Menschen zu: "Sucht das Kleinod der Einheit, ihr Deutschen!" In einem Manifest schrieb er im Namen der Künstler Worte, wie sie von 1945 bis heute von keinem Literaten zu hören waren: "Wir Gestalter mit Meißel, Palette und Feder, wir Baumeister und Musiker, Männer und Frauen, die wir von ganzer Seele Deutsche sind, zweifeln nicht daran: Unser Volk, unser Land wird bleiben und nicht untergehen."

In einem "Offenen Brief an den Kongreß der Alliierten" protestierte Hauptmann gegen die Willkür der Franzosen, die 800 000 deutsche Kriegsgefangene im Zwangsarbeitseinsatz festhielten. Als die Siegermächte den Anschluß von Deutsch-Österreich an das Deutsche Reich, den alle Parteien einmütig beschlossen hatten, willkürlich verboten, trat der Dichter gegen diesen Bruch des Selbstbestimmungsrechtes auf. Der Wiener Universität, die ihn 1921 mit der Verleihung der Ehrenkette würdigte, dankte er mit dem Vortrag "Deutsche Wiedergeburt". Daß ihn Karl Kraus darum hämisch bespöttelte, ehrt den Dichter noch mehr.

Mit dem vollen Gewicht seiner Persönlichkeit trat Hauptmann für seine schon damals bedrohte schlesische Heimat ein und sprach als Hauptredner der Protestkundgebung "Für ein ungeteiltes deutsches Oberschlesien". Im Gegensatz zu den von Deutschenhaß triefenden Staatspreisträgern von heute rief er seinen Landsleuten zu: "Deutsche, wenn ihr nicht müßig zusehen wollt, wie euer blühendes Land noch weiter zerstückelt wird, so verhindert es. Ihr braucht darum nicht zu den Waffen greifen, es ist auf friedlichem Wege möglich." Aus dieser Gesinnung heraus, aus dieser Verbundenheit mit Volk und Heimat, hat es der Dichter abgelehnt, Deutschland 1933, wie es andere getan haben, zu verlassen. Er hat sich nach keiner Seite hin angebiedert und aufrecht erklärt, er sei "auch hierin Deutscher genug, um mich in einem gewissen Sinn auf Gedeih und Verderb mit meinem Volk zu identifizieren."

Die Nationalsozialisten haben den Dichter der "Weber" und des "Biberpelz" respektiert und ihm zu seinem 80. Geburtstag 1942 im Wiener Burgtheater eine Festwoche veranstaltet, in der sich bei der Aufführung seiner Dramen viele deutsche Dichter um ihren ungekrönten König versammelten. "Es war mir ein Stolz", schrieb Hauptmann damals, "den schlesischen Dialekt in Wien in dem weltberühmten Burgtheater der Habsburger, gesprochen von den größten Schauspielern Europas, erklingen zu hören." An diesem Theater, das nun zur Schmiere Claus Peymanns herabgesunken ist, hört man die herzergreifende Mundart schlesischer Menschen aber schon lange nicht mehr. Noch weniger kennt man auf unseren Bühnen das große Alterswerk der "Atridentetralogie", obwohl doch gerade in dieser Dichtung die deutsche Katastrophe im Gewand der griechischen Sage prophetisch vorhergesagt ist: "Tod ist Wahrheit – Leben nicht! ’s ist, was ein wenig flattert, wenn du willst, ein Irrwisch. Das Chaos brach herein!"

Das hereinbrechende Chaos hat der Dichter am 13. Februar 1945 nahe bei Dresden persönlich erlebt. Als er nach dem Terrorangriff, der eine bis heute nicht faßbare Unzahl von Menschenleben vernichtet hat, den Luftschutzkeller verläßt, ist das Elbflorenz seiner Jugend ausgelöscht. "Wer das Einen verlernt hat", schrieb er erschüttert, "der lernt es wieder beim Untergang Dresdens. Dieser heitere Morgenstern der Jugend hat bisher der Welt geleuchtet. Ich weiß, daß in England und Amerika gute Geister genug vorhanden sind, denen das göttliche Licht der Sixtinischen Madonna nicht fremd war und die von dem Erlöschen dieses Sternes allertiefst getroffen weinen. Und ich habe den Untergang Dresdens unter den Sodom- und Gomorra-Höllen der feindlichen Flugzeuge persönlich erlebt … Ich stehe am Ausgangstor meines Lebens und beneide alle meine toten Geisteskameraden, denen dieses Erlebnis erspart geblieben ist … Ich bin nahezu 83 Jahre alt und stehe mit einem Vermächtnis vor Gott, das leider machtlos ist und nur aus dem Herzen kommt. Es ist die Bitte, Gott möge die Menschen mehr lieben, läutern und klären zu ihrem Heil als bisher."

Die Bitte des Dichters blieb vergeblich. Die Rote Armee dringt in seine Heimat Oberschlesien ein. die Polen nehmen das Land in Besitz. Die Deutschen, die noch nicht geflohen sind, werden vertrieben. Obwohl ihm die Russen, die den Dichter der "Weber" verehren, zunächst einen Schutzbrief ausstellen, fordern sie den alten Mann schließlich auf, sein Agnetendorf, das nun Jagniatkow heißt, zu verlassen. Sein Anliegen, in einer großen Rede dem deutschen Volk Mut zuzusprechen, kann der Vierundachtzigjährige nicht mehr erfüllen. Eine tödliche Krankheit befällt ihn und erspart es ihm, aus seiner Heimat deportiert zu werden. Drei Tage vor seinem Tod erlangt er noch einmal das Bewußtsein und fragt seine Frau: "Bin ich noch in meinem Hause?" Sein Sterbliches wird in Kloster auf Hiddensee bestattet. In sein Grab legt man eine Handvoll schlesische Erde.

Mehr als ein halbes Jahrhundert danach wird der deutsche Dichter Gerhart Hauptmann von den Chaoten des Regietheaters totgeschwiegen oder in verhunzter Inszenierung dem Gespött preisgegeben. Das Theater, in dem er das Elend der Weber zur Anklage gegen die Zeit gestaltete, in dem er das schwindsüchtige Hannele in den Himmel auffahren ließ, in dem er aus dem Mythos der Griechen den Kassandraschrei vor der kommenden Katastrophe formte, ist nun zur unmoralischen Anstalt verkommen. In Literatur und Kunst regiert die Diktatur des Häßlichen. Wir Deutschen sollen die Stimme unserer Dichter nicht mehr hören. Agitprop und Hohn auf das eigene Volk beherrschen die Szene. Wer Scham noch empfinden kann, fragt fassungslos: Sind wir noch in unserem Hause?

Trotzdem bleibt Hoffnung. Wenn auch, wie Josef Weinheber 1945 sagte, vieles untergegangen ist: "Das eigentlich Große kann nicht untergehen." Ein Dichter, dessen Werk in Heimaterde verwurzelt ist, lebt fort im Herzen seines Volkes.

 
     
     
 
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