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Zwar wirkt der Eingangsbereich des "Pei-Anbaus" beim Deutschen Historischen Museum in Berlin großzügig, gläsern, luftig, doch seine Räumlichkeiten sind für eine Großausstellung ungeeignet. Sie sind klein, die Decken nied-rig, so daß man sich bei Besucherandrang wie in einem Bunker fühlt. Vielleicht hätten die Organisatoren diesen Effekt in der aktuellen Ausstellung über den Ersten Weltkrieg nutzen können, um die frontnahen Unterstände und die klaustrophobischen Ängste der Soldaten nachempfindbar zu machen.
Aber die Ausstellung "Der Weltkrieg 1914 bis 1918. Ereignis und Erinnerung" will mehr. Viele Blickwinkel will sie erfassen ("multiperspektivisch"), die Wechselwirkungen zwischen dem geschichtlichen Ereignis und der späteren Erinnerung sollen aufgezeigt werden, und dies in einem international en Rahmen statt in nationaler Verengung. Drei große Themenschwerpunkte, Erfahrung, Neuordnung, Erinnerung, wurden gesetzt, die wiederum in Unter- und Unter-Untertitel (etwa Raum, Entscheidungsträger, Material, Psyche) aufgesplittert sind. Was ein Mehr an historischer Erkenntnis bringen soll, ist schließlich ein Weniger. Daß mit dem Kriegsausbruch am 1. August 1914 die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts begann, deren Erschütterungen bis heute nachklingen, wird dauernd behauptet, aber kaum sichtbar.
Wenig erfährt der Besucher über die Nationalismen, das Revanchestreben, über die geopolitischen Konstellationen und die gärenden revolutionären Stimmungen im Vorkriegseuropa. Statt dessen wird gleich am Anfang auf einer Schrifttafel mitgeteilt, daß Deutschland die Hauptverantwortung am Weltkrieg trage. Beweise? - Überflüssig! Den Abschnitt "Kriegsschuld", der weit hinten als Unterabteilung des Erinnerungs-Schwerpunktes präsentiert wird, kann man sich damit sparen. Richtig ist ja, daß die deutschen Politiker nicht klüger waren als die anderen, aber ausgerechnet den angstschlotternden Reichskanzler Bethmann-Hollweg als Rädelsführer herauszuheben ist lächerlich. Schon lange vor Kriegsausbruch zweifelte Bethmann-Hollweg daran, ob es noch Sinn habe, auf seinem Gut in Hohenfinow bei Berlin die Allee neu zu bepflanzen, weil ohnehin bald die Russen da seien. Gab es in Deutschland und insbesondere im östlichen Preußen denn keine Furcht vor der russischen Dampfwalze? Und war die Gefahr nicht real?
Kriegsgreuel werden nur bebildert, soweit sie den Deutschen zugewiesen werden - im Spiegel der feindlichen Propaganda. Daß die russische Armee während der kurzen Besetzung von Teilen Ostdeutschlands eine Schreckensspur hinterließ, wird knapp erwähnt, aber nicht durch Fotos beglaubigt. Es bleibt abstrakt.
Die konzeptionelle Voreingenommenheit wird mit einer Überfülle von Preziosen kaschiert: Stahlhelme, Prothesen, Gewehre, Feldtelefone, die zersprungene Glasscheibe eines Autos, das zur Wagenkolonne des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand gehörte. Der war bekanntlich am 28. Juni 1914 in Sarajewo von einem serbischen Nationalisten erschossen worden, was den Funken am europäischen Pulverfaß bildete. Aber die ausgestellten Teile fügen sich zu keinem überzeugenden Gesamtbild.
Die giftige Wirkung des Versailler Vertrags wird nicht ansatzweise aufgegriffen. Da liest man einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz des deutschen Außenministers von Brockdorff-Rantzau: Wenn man das moralische Beiwerk des Vertrags wegließe, dann ließe sich über die Einzelheiten reden. Also alles halb so schlimm! Daß es dem Minister immerhin um die vertraglich fixierte deutsche "Alleinschuld" und die Verweigerung des deutschen Selbstbestimmungsrechts durch die Sieger ging, bleibt im Dunkeln. Und am Ende kommen sowieso Hitler und danach die EU, und alles Nachfragen nach dem Kleingedruck-ten erübrigt sich.
Soll nicht auch das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" übernational und "multiperspektivisch" ausgerichtet sein? Die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg ist eine Warnung, was das unter Umständen bedeuten kann.
Die Fülle an Exponaten kann die inhaltlichen Schwächen nicht kaschieren: Die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im Deutschen Historischen Museum, Berlin, Unter den Linden, läuft bis zum 15. August. Der Eintritt ist frei. Der Katalog kostet 25 Euro. |
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