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Lieber Schwarzarbeit als Sozialhilfe

 
     
 
Deutschland befindet sich sozialpolitisch in einer höchst widersprüchlichen Lage. Für die vier Millionen Arbeitslosen werden ABM- und SAM-Programme entworfen, die Arbeitslosen können zwischen verschiedenen Fort- und Weiterbildungskursen wählen – doch es hilft ihnen nur selten. Andererseits mangelt es im Land immer stärker an Arbeitskräft
en – nun fordern sogar schon das Hotel- und Gaststättengewerbe eine "green card" für Köche, Kellner und Zimmermädchen. Sind die Deutschen am Ende auch noch faul geworden?

Diesen Vorwurf erhebt nun ausgerechnet einer, dem man soviel Kämpfergeist – zumindest an dieser Front – gar nicht zugetraut hätte: Nach Ansicht von Harald Ringstorff (SPD), Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, wollen viele Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosen-Leistungen in Wirklichkeit gar nicht mehr arbeiten. Und er spricht Zusammenhänge an, bei denen bislang auch Liberale und Christdemokraten lieber schweigen: Leistungsmißbrauch und Schwarzarbeit untergraben zunehmend die Moral der Arbeiter.

Ringstorff sagte, es gebe "das Bestreben, gering bezahlte Arbeitsplätze nicht anzunehmen", und zunehmend Klagen von Arbeitgebern, daß offene Stellen nicht besetzt werden könnten. Daneben existiere "ein gerüttelt Maß" an Schwarzarbeit, insbesondere auf dem Bau. Dieser Mißbrauch könne nicht mehr tabuisiert werden, sagte Ringstorff. Ihn treibe die Sorge um, daß die Arbeitsmoral der Arbeiter darunter leiden könne, daß andere "den ganzen Sommer grillen" und es ihnen ebenso gut gehe wie denen, die einer regelmäßigen Arbeit nachgingen.

Ringstorff wiederholte erneut seine Ankündigung, "Menschen aus ihrer Passivität herauszuholen". So seien etwa 40 Prozent der Sozialhilfeempfänger arbeitsfähig. Die Erfahrung in Rostock zeige, daß ein Teil der Antragsteller sogar lieber auf die staatliche Sozialhilfe verzichte, als sich von der Stadt in eine Beschäftigungsgesellschaft vermitteln zu lassen.

Postwendend meldeten sich die Verteidiger des derzeitigen Sozialsystems – eine bunte Allianz unter anderem aus PDS, DGB, Ärztebund und CDU. Scharf widersprach der Deutsche Gewerkschaftsbund der Darstellung des Ministerpräsidenten, daß Leistungsmißbrauch durch Arbeitslose zunehme. "Herr Ringstorff kann keinen Beleg für seine These bringen, der einer Nachprüfung standhält. Seine Zahlen sind einfach falsch", meinte der stellvertretende Landesvorsitzende des DGB, Ingo Schlüter, in Schwerin.

Über 180 000 Menschen seien im Nordosten derzeit auf Jobsuche. "Das ist das wahre Problem. Wenn Ringstorff statt dessen populistisch Sperrfristen für Leistungsempfänger fordert, muß er selbst nach Ablauf der Legislaturperiode mit einer Sperrfrist für sich rechnen", sagte Schlüter.

Auch die CDU in Mecklenburg-Vorpommern erhebt schwere Vorwürfe gegen den sozialdemokratischen Regierungschef. Mit seiner Kampagne gegen angeblich arbeitsunwillige Arbeitslose treibe Ringstorff die Menschen aus dem Land, sagte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Harry Glawe in Schwerin. Der seit Monaten anhaltende "unsachliche und pauschale Feldzug Ringstorffs gegen Arbeitslose" verfolge nur das Ziel, die geplatzten Wahlversprechen von SPD und PDS zu überdecken. Das sei "menschenverachtende Politik".

Mit der Diskussion um Leistungsmißbrauch und Schwarzarbeit werde nicht ein Arbeitsplatz geschaffen, sagte PDS-Landtagsfraktionschefin Angelika Gramkow. Die übergroße Mehrzahl der 180 000 Arbeitslosen im Land wolle arbeiten. Die Kürzung der ABM-Mittel für Mecklenburg-Vorpommern um 100 Millionen Mark traf auch bei Gramkow auf scharfe Kritik. Sie forderte Ringstorff auf, den Bundeskanzler an sein Versprechen von der "Chefsache Aufbau Ost" zu erinnern, statt die Mißbrauchsdebatte weiterzuführen.

Auch die Ärzteschaft kritisierte Ringstorff. Die Mediziner wehren sich gegen den Vorwurf des Regierungschefs, wonach sie durch das Ausstellen von Attesten für Arbeitslose dazu beitrügen, daß bestimmte Angebote der Arbeitsämter nicht angenommen würden. Der Präsident der Landesärztekammer, Andreas Crusius, bezeichnete eine solche "pauschale Diffamierung eines ganzen Berufsstandes" als nicht hinnehmbar.

Am vergangenen Wochenende erhielt der so gescholtene Ministerpräsident aber Unterstützung von kompetenter Seite: In Deutschland suchen nach Ansicht von Wirtschaftsexperten nur etwa halb so viele Menschen Arbeit wie von den amtlichen Statistiken ausgewiesen. "3,8 Millionen Arbeitslose halte ich für einen statistischen Fehler, es sind wohl eher zwei Millionen", sagte der Europachef der Unternehmensberatung McKinsey, Herbert Henzler, der "Welt am Sonntag".

Auch nach Einschätzung des Chefs des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, Meinhard Miegel, gibt es nur zwei Millionen Erwerbsfähige, die ernsthaft vermittlungsfähig und -bedürftig sind. Die Bundesanstalt für Arbeit bleibt dagegen bei ihren rund vier Millionen Arbeitslosen. Friedrich Nolopp

 
     
     
 
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