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Wohl jedem Custos eines Kunstmuseums in Flandern oder in den Niederlanden ist heute vertraut, daß ab der Mitte des 16., verstärkt ab dem 17. Jahrhundert der Austausch von Kunstnachrichten über riesige Entfernungen funktionierte und zum Beispiel die neuesten flämischen bzw. niederländischen Malstile bereits nach kurzer Zeit in den Magnatenhöfen im polnischen Osten bekannt waren.
Wie sehr das aber auch und gerade für das südöstliche Europa und vor allem für Siebenbürgen gilt, wissen nur wenige. Ebenso, daß im siebenbürgischen Hermannstadt mit dem Brukenthal-Museum das erste seit 200 Jahren nicht nur öffentlich zugängliche, sondern auch im öffentlichen Besitz befindliche Kunstmuseum Europas existiert.
Immerhin ist zu hoffen, daß im Gefolge einer Ausstellung im Münchner Haus der Kunst beides stärker ins Bewußtsein tritt. Seit dem 7. Februar (bis zum 11. Mai) widmet sich dort unter dem Titel "Barocke Sammellust" eine Doppelausstellung den seit fast hundert Jahren unzugänglichen Kunstsammlungen der Familie Schönborn-Buchheim in und bei Wien und eben jenen Hermannstädter Schätzen des siebenbürgischen "Regierungspräsidenten" Baron Samuel von Brukenthal.
Dieser Siebenbürger Sachse war eine der erstaunlichsten Sammlerpersönlichkeiten des 18. Jahrhunderts. Gelebt hat er von 1721 bis 1803. Beim Rundgang durch die Schau erfährt man, daß Brukenthal aus "kleinen Verhältnissen" stammte. Dennoch durchlief er in Wien 1762 als "Provinzialkanzler" der "transsylvanischen Hofkanzlei" sowie von 1765 bis 1774 als Leiter der Hofkanzlei von Maria Theresia und Joseph II. eine imponierende Beamtenlaufbahn. Ihren Höhepunkt und Abschluß fand diese mit dem Amt als Präsident des "transsylvanischen Guberniums" in Hermannstadt (1777-87).
Brukenthals Sammlertätigkeit begann 1759 in Wien und endete etwa 1774. Vom Umfang und dem Rang der bevorzugten Künstler her entstand eine Sammlung, die keinen Vergleich mit jenen der höchsten Fürstenhäuser Europas zu scheuen brauchte. Der siebenbürgische Baron besaß 1200 Bilder, darunter zahlreiche Werke niederländischer und flämischer Maler, dazu deutsche, italienische, spanische etc. Auffallend ist, daß er der regionalen Malerei und Graphik offenbar eine untergeordnete Rolle beimaß, da diese nur durch einzelne Porträts vertreten ist.
Am Großen Ring in Hermannstadt (dem heutigen "Platz der Republik") steht das Palais, das Brukenthal ab 1785 errichten ließ. 1817 wurde es nach der Verfügung des Stifters, der keine Nachkommen hatte, für das breite Publikum geöffnet und ist damit die früheste Museumsgründung Europas, die von Anfang an für die Allgemeinheit bestimmt war.
Samuel von Brukenthal dachte "museumspädagogisch modern" und ordnete seine Sammlung nach Malschulen, das heißt er orientierte sich nicht mehr an den dekorativen Vorstellungen der Barockzeit. Zweifellos hat er den Lebensstil der Wiener Adelseliten nachgeahmt, die den Besitz von Kunst auch als Selbstdarstellung verstanden, gleichzeitig war er jedoch Enzyklopädist, der es als "patriotische Aufgabe" ansah, die kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung und die "Aufklärung des Volkes" zu fördern.
Um auszuschließen, daß die Sammlung nach seinem Tod zerstreut würde, bestimmte Brukenthal 1803 testamentarisch, daß seine "Bibliotheque, die Bilder und Kupferstiche, dann die Mineralien, Antiken und Münzensammlungen" in einer Stiftung als unveräußerliches Erbe zusammengefaßt werden sollten. Im Falle des Erlöschens der männlichen Linie seiner Familie sollte alles zum immerwährenden Eigentum des Hermannstädter Evangelischen Gymnasiums werden.
Im Jahre 1867 verfügten die Erben, daß auch das Haus am Großen Ring vor einer Teilung bewahrt werden und im Fall des Aussterbens der männlichen Nachkommenschaft ebenfalls in den Besitz des besagten Gymnasiums übergehen sollte. Nachdem 1872 tatsächlich der letzte männliche Erbe verstorben war, gelangte nach der Sammlung auch das Palais in den Besitz der Evangelischen Kirche, der das nun nach Brukenthal benannte Gymnasium gehörte.
1948 wurde das Museum dann unter kommunistischer Herrschaft verstaatlicht. Ceausescu hat später 19 der bekanntesten Bilder (darunter Jan van Eycks "Der Mann mit der blauen Sendelbinde") an das Nationale Kunstmuseum in Bukarest übergeben lassen. Diese Gemälde standen auch für die Ausstellung in München nicht zur Verfügung.
Allerdings gibt es die Aussicht, daß die Bilder bald nach Hermannstadt zurückkehren. Wie die Hermannstädter Zeitung berichtete, beantworte Kulturminister Razvan Theodorescu am 10. März angesichts des bevorstehenden 200. Todestages Brukenthals eine Anfrage des rumäniendeutschen Abgeordneten Wolfgang Wittstock mit den Worten: "Wir erwähnen, daß das Brukenthalmuseum die Rückgabe der Arbeiten beantragt hat. Das Gesuch wurde in der Sitzung der Nationalen Kommission der Museen und Sammlungen besprochen, die die Rückgabe der Güter befürwortet hat." Zum Zeitpunkt der Rückerstattung sagte Theodorescu, daß diese "erst nach der endgültigen Verwirklichung des hochmodernen und leistungsfähigen Schutz- und Sicherheitssystems im Brukenthalmuseum stattfinden kann".
Entsprechende Arbeiten, die im von Kunstdieben regelrecht tyrannisierten Siebenbürgen mehr als nötig sind, laufen bereits und sollen voraussichtlich Ende 2004 abgeschlossen sein. Dann kann das großartige Museum im Herzen der nicht minder sehenswerten Hermannstädter Altstadt hoffentlich wieder das gesamte Kunsterbe Brukenthals (einschließlich seiner ursprünglich fast 16 000 Bände umfassenden Bibliothek) vorzeigen sowie außerdem die wertvollsten Schätze der Siebenbürgischen Evangelischen Kirche.
Die Münchner Brukenthal-Schau gibt einen tiefen Eindruck, wie er hierzulande noch nie zu sehen war. Dabei gerät nicht nur der Kunstbeflissene ins Grübeln, sondern mindestens ebenso der Wirtschaftshistoriker. Denn, so fragt man sich, wie sind alle diese Schätze eigentlich finanziert worden? Etwa aus dem Beamtengehalt des für seine Verdienste geadelten Brukenthals? - Gewiß hat schon das theresianische Österreich seine Spitzenbeamten nobel bezahlt (Preußen übrigens auch, nur gab es dort viel weniger), dennoch kann man nicht davon ausgehen, daß ein Beamtenleben für eine Kapitalbildung dieses Umfangs ausgereicht haben könnte.
Leider ist weder in den Ausstellungstexten noch in den dazugehörigen Katalogen eine Antwort auf diese Frage zu finden. So bleiben nur Spekulationen, ob vielleicht Produktion, Wirtschaftswachstum und Kapitalbildung in dieser südöstlichen Region Europas im späten 18. Jahrhundert weit höher und vor allem stabiler waren, als wir uns das heute vorstellen.
Weitere Auskünfte: Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, 80538 München, Tel.: 089/21127-0, Internet: www.hausder kunst.de; für beide Ausstellungsteile gibt es einen eigenen Katalog (beide zusammen kosten 55,- Euro) |
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