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Kurz vor dem Staatsbankrott?

 
     
 
Schon im Vorfeld der für Ende November 2004 angesetzten Debatte war lautes Feldgeschrei über den Haushalt 2005 zu vernehmen. Im Verlauf der Aussprache kam es zu harten Wortgefechten. Und doch: Der Öffentlichkeit wurde dabei nicht bewußt, wie ernst die Situation unserer Staatsfinanzen inzwischen geworden ist. Außer gegenseitigen Beschuldigungen brachte die Diskussion im Bundestag nicht viel.

In den gegenseitigen ritualisierten Beschuldigungen der Politiker wurde mit gespielter Entrüstung konkret nur gerügt, daß mit 43,5 Milliarden Euro
das höchste Defizit seit Bestehen der Bundesrepublik zu verzeichnen sei. Dieses horrende Jahresdefizit allein sagt indessen wenig aus. Ausschlaggebend ist die Gesamtverschuldung, und zwar nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder und Gemeinden, zusammenfassend "Schulden der öffentlichen Haushalte" genannt. Diese sind seit 1950 von 20,6 Milliarden DM auf inzwischen 1,5 Billionen Euro oder rund 3,0 Billionen DM und damit um das 150fache angewachsen. Die Schuldenstandsquote - Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt - beträgt jetzt 67 Prozent und überschreitet damit die nach dem Stabilitätspakt zulässige Grenze von 60 Prozent. Jedem privaten Kreditnehmer hätte seine Bank längst die Geschäftsverbindung gekündigt.

Die übermäßige Verschuldung setzte 1990 mit der Wiedervereinigung ein. Eine Folge von Faktoren ließ sie weiter steigen: höhere Aufwendungen für Arbeits- und Beschäftigungsmaßnahmen, vermehrte Sozialhilfe, hohe Transferzahlungen für die neuen Bundesländer, überproportionale Beitragszahlungen an die EU und internationale Organisationen, Stationierungskosten deutscher Soldaten in ausländischen Krisengebieten, die ungebremste Zuwanderung von Wohlfahrtsmigranten und Kontingentsflüchtlingen, Scheckbuchpolitik und unvertretbare Schuldenerlasse durch deutsche Bundeskanzler sowie viele andere Gefälligkeiten deutscher Politiker. Da die Mehrausgaben nicht mehr durch Steuereinnahmen gedeckt werden können, müssen sie zunehmend durch Kredite finanziert werden.

Die Defizite der Haushalte sind längst nicht mehr durch Konjunkturschwankungen der Volkswirtschaft bestimmt; sie sind ein dauerhaftes Strukturproblem geworden. Die meisten Rezepte, diesen verhängnisvollen Trend zu stoppen oder gar umzukehren, haben sich als untauglich oder politisch nicht durchsetzbar erwiesen. Weder Einsparungen im Sozialetat, noch weitere Reduzierung der Finanzhilfen oder der Abbau von Subventionen führten zu einer fühlbaren Entlastung. Auf der Einnahmenseite klammert sich Finanzminister Eichel, nachdem sich seine Erwartungen auf Einnahmensteigerungen aus der erhöhten Mineralöl- und Tabaksteuer als Fehleinschätzung erwiesen hatten, an den Hoffnungsanker Privatisierungserlöse. Daß dieser Mix aus Sparen und einmaligen Einnahmen, deren Ergebnis bei weitem zu hoch bewertet wird, nicht für die Erstellung eines gesetzgemäßen Haushaltes ausreicht, ist auch Eichel bewußt. Sein Sinnen und Trachten richtet sich daher auf weitere potentielle Einnahmequellen. Er bot eine Steueramnestie für Steuerflüchtlinge an. Statt der ursprünglich geplanten Einnahmen von rund fünf Milliarden Euro muß er mit "Rückkehrgeldern" von bisher unter einer halben Milliarde auskommen. Er verfiel dann auf den Trick, die Ruhegeldforderungen von Bediensteten der ehemals staatseigenen Post und Telekom sowie ERP-Sondervermögen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu verschieben, wobei er klammheimlich Mittel abzweigte. Als auch das nicht reichte, verkaufte er Forderungen der Bundesrepublik gegenüber anderen Staaten - ein reputationsschädliches Geschäft. Enttäuscht mußte er zur Kenntnis nehmen, daß die früher reichlichen Bundesbankgewinne keinen nennenswerten Notgroschen mehr darstellen. Deshalb wurde in Erwägung gezogen, Goldbestände der Bundesbank durch Höherbewertung zur Finanzierung von "Zukunftsinvestitionen" zu verwenden. Als sich Protest erhob, wurde das Vorhaben abgeblasen. Wenigstens erhielt Deutschland aus der Haushaltskasse der EU in der Eigenschaft als größter Nettozahler (Anteil 22 Prozent) eine Gutschrift von 1,2 Milliarden Euro, die gleich für die Beitragszahlung 2004 einbehalten wurde.

Da mehr als 90 Prozent der Steuereinnahmen für Zinsendienst der Bundesschuld sowie für laufende Renten- und Pensionszahlungen nebst Sozialleistungen beansprucht werden, bestehen für die dringend gebotene Sanierung der Staatsfinanzen faktisch keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr. Der Finanzminister ist damit praktisch handlungsunfähig. Für die Kernaufgaben des Staates, wie Wirtschaft, Verkehr, Verteidigung bleiben nur sieben Prozent. Für den Bürger unfaßbar, daß der Bundesfinanzminister über 100 Millionen Euro täglich für den Zinsendienst - von Tilgung ist schon lange keine Rede - aufwenden muß. Angenommen, der Staat nähme ab sofort keine Kredite mehr auf und tilge jährlich zwölf Milliarden Euro seiner aufgelaufenen Schulden, bräuchte er 113 Jahre, um schuldenfrei zu sein. Aber außer unverbindlichen Vorschlägen hat die Regierung nichts unternommen.

Die Verschuldung der öffentlichen Hand ist auf einem Niveau, von dem höchste Absturzgefahr droht. Die ausgewiesenen Verbindlichkeiten in Höhe von 1,5 Billionen Euro sind jedoch nach Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Raffelhüschen um zusätzlich 5,9 Billionen für unterlassene Rücklagen zur Erfüllung gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen, insbesondere der Ruhegehälter der Staatsdiener, zu erhöhen. Nach aktien-

rechtlichen Grundsätzen hätte der Finanzminister längst Konkurs anmelden müssen. Nach Verkauf des restlichen Tafelsilbers wird er der derzeitigen und kommenden Generation ein total überschuldetes Erbe hinterlassen, das der Staatsbürger nicht ausschlagen kann: Entweder kommt es zum erklärten Staatsbankrott oder - was wahrscheinlicher ist, aber auf das Gleiche hinausläuft - der Staat entledigt sich seiner Schulden durch eine Währungsreform.

 
     
     
 
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